Jan Nadolny ist Koordinator der Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfte in der Flüchtlingshilfe des AWO Kreisverbandes Berlin-Mitte. Lena Reich, Quartiersrätin und aktiv bei der Unterstützungsinitiative „Wedding hilft!“, im Gespräch mit ihm über das Kochen in den Flüchtlingsunterkünften.
Sie koordinieren die Unterkünfte für geflohene Menschen in der Pankstraße und in der Gotenburger Straße, die derzeit 330 Menschen beherbergen. Wie sind die täglichen Mahlzeiten dort organisiert?
Jan Nadolny: In den Erstaufnahmeeinrichtungen werden die Bewohner solange voll verpflegt, bis ihr Asylantrag bearbeitet wird. Es gibt also Frühstück, Mittagessen und Abendbrot. Ein Wagen mit warmen und kalten Getränken steht 24 Stunden zur Verfügung. Die Unterbringung in einer Erstaufnahmeeinrichtung soll in der Regel nicht länger als drei Monate dauern.
Wird das Essen vor Ort zubereitet?
Jan Nadolny: Wir befinden uns in einer alten Schule, da gibt es keinen Raum für eine Großküche mit Maschinen für 180 Menschen. Eine Cateringfirma liefert uns das Essen täglich. Wir geben es aus der „Bain Marie“ (Speisenwärmer, Anmerkung der Redaktion) heraus auf Tellern raus. In einem Rhythmus von zehn Tagen wiederholt sich das Essen allerdings.
Es gibt aber keine Königsberger Klopse?
Jan Nadolny: Himmel, nein! Der Koch bemüht sich schon um die Leute, die aus dem Mittelmeerraum kommen: Reis, Fisch, Gemüse, Huhn. Der Koch erkundigt sich regelmäßig, ob es denn schmeckt, was er da so kocht. Das tut es. Natürlich haben die Bewohner wie alle anderen auch verschiedene Essgewohnheiten. Die hört er sich dann auch an. Vegetarier zu sein ist ja kein Privileg für Nichtflüchtlinge.
Können die Bewohner dennoch selber kochen?
Jan Nadolny: Erst wenn das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) den Geflüchteten Geld zuspricht, können sie auch selbstständig einkaufen und kochen. Idealerweise soll dies an einen Umzug in eine eigene Wohnung gekoppelt sein. Das ist aber leider für die Mehrzahl kaum möglich, weil der Wohnungsmarkt überlastet ist. Das LaGeSo stellt also innerhalb der ersten drei Monate vom Sachleistungs- auf den Geldleistungsbezug um. Das wiederum ist abhängig davon, ob die Geflüchteten in der Unterbringung kochen können.
Welche Kochmöglichkeiten gibt es in den Unterkünften?
Jan Nadolny: Der Platz ist begrenzt: Nur die Bewohner im Geldleistungsbezug kochen. In der Gotenburgerstraße haben wir die ehemalige Schülerküche in Betrieb genommen. Dort stehen nun erst einmal vier Herde, an denen vierzig Personen kochen dürfen. Das ist gesetzlich geregelt. In der Pankstraße sind es sechs Herde. Ich persönlich verstehe es schon, dass man denen, die nach einer langen Reise erschöpft ankommen, die Sorge um die Verpflegung erstmal nimmt. Aber, dass das bis zu drei Monate dauert, halte ich für zu lange.
Kann das auf Dauer reichen?
Jan Nadolny: Da es einerseits zu wenige freie Wohnungen, anderseits auch gut eingerichtete Wohnheime für Geflüchtete und Asylbewerber gibt, kann die Anzahl der Herde in den Notunterkünften zu einem Nadelöhr werden: Die Umstellung vom Sachleistungs- zum Geldleistungsbezug verzögert sich dadurch für die Bewohner. Denn Geldleistungen dürfen nur gewährt werden, wenn gleichzeitig die Voraussetzungen geschaffen sind, dass ein Mensch selbst kochen kann.
Wie sehen Sie die Selbstversorger, die bei ihnen wohnen?
Jan Nadolny: Sie können sich frei in der Stadt bewegen und das Essen holen, das nach ihrem Geschmack ist. Das muss schon ein irres Gefühl sein, wenn man Schritt für Schritt wieder über sich selbst bestimmen kann. Ich verstehe es schon, dass man denen, die nach einer langen Reise erschöpft ankommen, die Sorge um die Verpflegung erstmal nimmt. Aber, dass das bis zu drei Monate dauert, bis Geflüchtete das Geld bekommen, um selbst einkaufen und kochen und können, halte ich für zu lange.
Und wenn der Kreislauf dann gebrochen ist?
Jan Nadolny: Wenn Du Gastgeber sein kann, kannst Du das Gefühl der Hilfsbedürftigkeit nach und nach abschalten. Das ist enorm wichtig für alle. Es ist eine Frage der Würde, jemandem sein selbstgekochtes Essen anbieten zu können.
Das müssten doch viele Weddinger kennen…
Jan Nadolny: Es gibt wenige Orte in Berlin, an denen man von der Vielfalt der Kulturen so sehr profitiert wie im Wedding. Die Asylsuchenden können hier arabische, afrikanische und asiatische Lebensmittel einkaufen. Nach heimischen Gewürzen muss man nicht lange suchen. Auf der Straße sprechen viele die Muttersprachen der Geflüchteten. Wenn das nicht die ideale Aufnahmegesellschaft ist!
Der nächste Runde Tisch der Unterstützungsinitiative „Wedding hilft!“ findet am 21. April um 19 Uhr in der Kulthalle in der Prinzenallee 58 statt. Dort können sich Interessierte über die Aktivitäten von „Wedding hilft!“ informieren, Fragen stellen oder eigene Hilfesangebote einbringen. Mehr: www.wedding-hilft.de
Der Text ist im Kiezmagazin “Soldiner” im März 2015 erschienen. Der Weddingweiser kooperiert mit dem Projekt und übernimmt ausgewählte Beiträge. Redaktionsblog: www.dersoldiner.wordpress.com
Text: Lena Reich, Fotos: Dominique Hensel