Spielerei zum Ausklang oder echte Abstimmung? Am Ausgang steht eine Kiste mit rosaroten Tennisbällen. Jeder Bürger durfte nach zwei Stunden Begutachtung von vier Umbauplänen einen Ball in ein Glasrohr werfen. Dabei symbolisierte jedes Rohr einen Architektenentwurf, nach dem das Karstadtgebäude verändert werden soll. Über die Frage, wie viel Büros, Warenhaus, Wohnen und Sozialgewerbe die Müllerstraße 25 künftig haben soll, wurde bei einer öffentlichen Veranstaltung am 9. Mai nicht abgestimmt.
Warenhaus bescheidener, obwohl gleiche Fläche wie zuvor
Vor dem Hopp oder Top mit rosafarbenen Bällen hatte die Schwarmintelligenz der gut 100 Anwesenden ausgiebig Zeit, die Pläne zu studieren und sich zu ihnen zu äußern. Außerhalb der Beurteilung stand dabei die mengenmäßige Aufteilung der Flächen. Bauherr Signa will am Leopoldplatz 30.000 Quadratmeter für Büros schaffen. Für soziales Gewerben sollen es 2.000 Quadratmeter sein. Für ein Warenhaus sollen weiterhin 15.000 Quadratmeter zur Verfügung stehen. Das bedeutet unterm Strich, dass das Gebäude deutlich aufgepumpt wird, wobei die Verkaufsfläche nicht mitwächst. Der Effekt dieses Vorgehens: Shopping wird künftig weniger als die Hälfte an dem Haus ausmachen.
Die Visualisierungen und grafischen Animationen der Planer zeigen diesen Effekt eingängiger als es Zahlen vermitteln können. Der Wandel vom Warenhaus zum Büroblock wird daran sichtbar, dass in allen vier Entwürfen für den Einzelhandel ausschließlich Erdgeschoss und erstes Obergeschoss freigehalten werden sollen. In die darüberliegenden Etagen plus in die zusätzliche Aufstockung sollen Büros und Wohnen einziehen. Gut zu erkennen an den Zeichnungen ist zudem, dass für Gemeinwohl ein schmales Platzangebot übrig bleiben wird.
Als Einschub hier die Erklärung, wie es geht, dass das Warenhaus von jetzt vier Etagen auf zwei schrumpft und doch gleichzeitig die gleiche Fläche von 15.000 Quadratmetern herauskommt. So nzählen bislang Flächen wie Shops und Lebensmittelmarkt nicht als Warenhaus. Außerdem diente bislang die Etagen nicht vollständig als Verkaufsfläche. Mit Blick zur Antonstraße befinden sich Büros.
Ebenfalls wichtig zu wissen ist, dass nicht das Handelsunternehmen Galeria Karstadt Kaufhof baut, sondern das Immobilienunternehmen Signa. Das bedeutet, dass die in den Plänen vorgesehene Nutzung Warenhaus, heißt das nicht zwangsläufig zur Folge hat, dass nach dem Umbau wieder Galeria einziehen muss. Die Entwürfe planen nicht die Nutzung durch Galeria Karstadt Kaufhof, sondern sie schaffen Platz für großflächigen Verkauf mit überregionaler Bedeutung und Anziehungskraft – also für irgendeinen Händler, der in die Kategorie Warenhaus passt.
Ab dem 24. Mai stellt der Bauherr Signa die vier Entwürfe (plus vier weitere bereits vorab ausgeschiedene) im Erdgeschoss des Kaufhauses aus. Dann kann jeder beurteilen, ob der Umbau trotz gleicher Fläche für Shopping ein Warenhaus zum Ziel hat oder ein Bürogebäude mit anteiligem Einzelhandel.
Beschreibung der vier Entwürfe
Vier von acht Entwürfen haben die zweite Runde des Wettbewerbs erreicht und stellten sich der Meinung der Bürger.
Das Büro Baumschlager Eberle Architekten nennt ihren Entwurf “Ein Haus für alles – ein Haus für alle”. An ihrem Vorschlag dürfte den Bürgern gefallen, dass das Büro ihren Wunsch nach einem konsumfreien Teil auf dem Dach aufgenommen haben. Gestern Abend (10.5.) meldeten die Verantwortlichen, dass dieser Entwurf gewonnen hat.
Grüntuch Ernst Architekten überschreiben ihre Pläne mit “Anker im Kiez”. Sie erfüllen den bei der ersten Bürgerbeteiligung im Dezember geäußerten Bürgerwunsch nach ökologischer Bauweise mit einer eindrücklichen Zahl: 75 Prozent des Daches soll begrünt werden. Ihr Entwurf kam auf Platz 2.
Jasper Architects machen am entschiedensten ernst mit der Vorgabe der Bauherren, die einer Mauer gleichenden Fassade aufzubrechen. Zentrale Idee der Architekten ist, einige Treppen außen anzubringen. Die Besucher sollen an der Außenwand empor wandern können. Damit erinnert die Außenansicht an das Centre Pompidou in Paris, dessen außen aufgehängten Rolltreppen-Röhren eine Touristenattraktion sind. Zum Bürgerwunsch nach Gemeinwohlflächen bekennen sie sich am deutlichsten. Die öffentliche Nutzung soll im Plan von Jasper Architects die Erscheinung des Hauses prägen. Soziale Einrichtungen werden in überstehenden Quader entlang der Müllerstraße weithin sichtbar platziert. Der Vorschlag kam auf Platz 3.
Interessant am Vorschlag der White Arkitekter fanden die Teilnehmer der Veranstaltung am 9. Mai den geplanten Durchgang. Wege dieser Art waren vor 100 Jahren in der Welt der Berliner Hinterhöfe alltäglich. Eine übrig gebliebene Blockdurchquerung ist heute erlebbar zum Beispiel in den Gerichtshöfen. Hier kann der Spaziergänger von der Gerichtsstraße zur Wiesenstraße laufen. Diesen Entwurf setzte die Jury auf Platz vier.
Weiterer Zeitplan
Das Versprechen der Organisatoren ist, dass die Meinung der Bürger in den Juryentscheid zu einem gewissen Teil einfließen werden. Die Sitzung der Jury war gestern (10.5.). Damit konnte die Öffentlichkeit die Pläne vor dem Entscheid der Experten begutachten. Das ist gemessen an den Gepflogenheiten der Architekten und Planer ungewöhnlich. Außerdem dürfte es für die Architekten eine neue Erfahrung sein, noch vor der Jurysitzung die Präsentationen der Mitbewerber zu sehen – und von ihnen gesehen zu werden.
Der von der Jury gekürte Siegerentwurf wird der Bezirkspolitik in Ausschüssen und Bezirksverordnetenversammlung vorgestellt. Anschließend wird ein Bebauungsplan aufgestellt. Auch ein städtebaulicher Vertrag ist im Gespräch, um Zusagen des Konzerns verbindlich zu regeln.
Der Verkauf in der Müllerstraße 25 endet im Januar 2024. Baubeginn wird voraussichtlich Mitte 2025 sein.
Politik lobt und kritisiert Bürgerbeteiligung
Der Investor Signa betreibt mit den Dialogverfahren genannten Veranstaltungen eine umfangreiche – und teure – Bürgerbeteiligung zum Umbau des Karstadtgebäudes. Der Aufwand ist ungewöhnlich. In der Bezirkspolitik bleibt das Dialogverfahren zwischen Investor und Bürgern nicht ohne Kritik.
So sagt Martha Kleedörfer von der Linksfraktion im Bezirk: “Bei dieser Beteiligungsveranstaltung dürfen die Anwohner*innen nicht darüber abstimmen, ob sie die Schließung des Karstadts und den Umbau des Gebäudes hin zu einem Büro- und Luxuswohnturm wollen”. Es ginge nur darum, welchen Büro- und Luxusbau sie wollten. Und Tobias Schulze, für die Weddinger Linken ins Abgeordnetenhaus gewählt, sagt: “Der Bezirk muss alle baurechtlichen Hebel nutzen, um hier mehr soziale Nutzungen durchzusetzen.” Der Bezirk dürfe nicht den Aufwertungsstrategien des Investors politisch den Weg freiräumen.
Für die SPD sagen Fraktionsvorsitzenden Susanne Fischer und Dorothea Riedel, wir hätten uns “eine noch stärkere Gemeinwohlorientierung gewünscht”. Im aufzustellenden Bebauungsplan müsse das Bezirksamt alle Spielräume nutzen, “damit wir möglichst schnell zu einem Neubau kommen, der den Erwartungen der Weddinger:innen auch entgegenkommt.”
Tarek Massalme, Sprecher der Grünen-Fraktion blickt auf künftige Beteiligungen. So brauche es eine Debatte darüber, “in welchen Verfahren auch private Bauvorhaben öffentlich diskutiert” werden können. Dabei komme es auf die Zusammensetzung der Entscheidungsgremien an.
Sebastian Pieper, Fraktionsvorsitzender der CDU, denkt an “Drogenkonsum, Gewalt, Verwahrlosung und Kriminalität” auf dem angrenzenden Leopoldplatz: “Der bisherige Prozess einer ‘Verwaltung’ von Problemen, ohne ernsthaft Lösungen zu erreichen, hat sich als unzureichend erwiesen. Dies darf sich bei der Entwicklung des Warenhauses nicht fortsetzen.”
Heute wurde verkündet, dass Signa sämtliche Bauvorhaben stoppt. Finanzielle Schwierigkeiten. Was nun? Wie reagiert der Bezirk? Hoffentlich kein dauerhafter Leerstand.
Wir haben dazu bereits einige Informationen eingeholt. In den Sonntagsnews wird es dazu eine Meldung geben.
Natürlich ist es schön. dass es eine Art “Dachterasse” geben soll. Aber ist in den Entwürfen eigentlich zu erkennen, was mit der Fläche des jetzigen Parkhauses selbst geschehen soll? Denn das nimmt, inklusive der beiden Türme mit der Wendelauf- und abfahrt ja noch einmal fast soviel Platz ein, wie das Kaufhaus selber.
Rolf
Wir haben in der Müllerstr schon den leerstehenden Bau des Schiller-Park-Centers, wo sich gar nichts tut. Lässt sich denn da keine gemeinsame Nutzung entwickeln? Ich denke da an Event-Räume als Begegnungssstätten für die Menschen oder Indoor-Spielplätze, Spa, Kulturort, Schulungsräume usw.
Mit keinem Wort werden bei den Entwürfen die Parkplätze (Parkdeck 1 und 2) erwähnt! Fallen die ersatzlos weg? Und wenn ja – wo parken die (potentiellen) Kunden/Mieter?
Statt um Parkplätze wurde von Flächen für ein Mobilitätshub gesprochen – also ein Ort wo vom Leihrad bis zum Leihauto mehrere Angebote bereitstehen. Parkplätze spielen in allen Entwürfen eine untergeordnete Rolle.
Mit anderen Worten: Man hat also mal wieder einen Kotau vor der – von den Grünen initiierten – Anti-Auto-Bewegung gemacht!
Ergo kann die Konsequenz für mich nur lauten: Was soll ich auf der Müllerstr./Leopoldplatz, wenn man da keinen Parkplatz mehr findet! Aber Berlin hat ja glücklicherweise noch viele andere Gebiete, wo man sein gutes Geld lassen kann!
Ich würde sagen: Parkplätze sind nicht so richtig lukrativ für Investoren. Zumal, wie im Fall Karstadt am Leo, die meistens leer stehen. Und: Wenn man den Investor nicht politisch nötigen würde, würde er vermutlich weder Parkplatz noch Warenhaus bauen. Nichts davon rechnet sich. Vermutlich wären da ohne Vorgaben des Bezirks demnächst ausschließlich Büros zu finden. Meine Theorie.
Also: Ich komme soeben, Do. 18:00 mit dem PKW (!) aus dem Karstadt! Drinnen war auf 1 und 2 der reinste Totentanz und auch UG war „überschaubarer“ Betrieb!
Aber: Das Parkhaus war außerordentlich gut besucht – vermutlich auch von Anliegern, deren Parkplätze ja dank der unsäglichen Verkehrspolitik in erheblichem Maße entfallen sind!
Danke für die Beobachtung! Vielleicht schwankt das auch. Als ich das letzte mal (kürzlich) da war, hätte man im Parkhaus eien Gruselfilm drehen können, so leer war es. Das ist zum Beispiel beim Gesundbrunnen Center komplett anders. Da ist das Parkhaus immer gut voll. Das war vor der Parkraumbewirtschaftung so und hat sich mit der Einführung dieser kaum verändert. Die Beobachtung mit dem leeren Karstadt-Warenhaus an sich teile ich dagegen. Da ist eigentlich immer Totentanz wenn ich der Neugier halber mal reingehe.
Hallo in die Runde
ach mensch Jupp schmitz .… Du und dein Auto… geh doch einfach mal wieder zu Fuss und wenn du eben auf der Müllerstr keinen Parkplatz findest dann ist es dein gutes Recht dein Geld dort auszugeben wo du einen P‑Platz findest .… schmeiss deine Kohle raus wo und wann du willst … am besten in Potsdam weit weit weg vom Wedding
und noch eins : in diesem Fall sind es nicht die Grünen sondern wohl das Unternehmen welches Karstadt umbaut und die Entscheidung das Parkdeck zu begrünen finde ich eine gute Idee. Persönlich hätte ich mich eher für die Vorschläge 3 und 4 entscieden
Platz 1 finde ich potthäßlich und mega einfallslos … sie EuropaCity und viele andere neue Gebäude in dieser Stadt
Hallo Reinhard,
auch wenn wir i.S. Auto und Parken nicht zusammenkommen…
Immerhin stimme ich ihnen zu, dass der auch in meinen Augen schlechteste Entwurf ausschließlich der aktuellen Berliner Bauart folgt und nur einen einfallslosen Klotz darstellt, der dem Leo kein Gesicht gibt. Schlimm nur, das die Stadt mittlerweile mit solch gesichtslosen Monumetalbauten zugestellt wird – egal ob Geschäfts‑, Büro oder Wohnhaus…
Vielen Dank für den Artikel. Sind denn noch mehr Details dazu bekannt, wie der “konsumfreie Teil auf dem Dach” des Siegerentwurfs gestaltet werden soll?
Die Pläne werden demnächst ausgestellt. Leider war Handyverbot, ich konnte auch nichts für meine Erinnerung fotografieren. Ich glaube mich beim Siegerentwurf zu erinnern, dass dort Stufen/Terrassen zum Leo angebracht waren, sodass eine Ebene öffentliche Grünfläche und darüber eine Ebene mit Gastro angeordnet war. Aber bitte Ende Mai noch mal die Ausstellung im Erdgeschoss besuchen und nachschauen.
PS eine Stunde später: Die Entwürfe sind jetzt im Artikel eingefügt. Beim Sieger sind es zwei grafische Darstellungen. Die eine der beiden zeigt die Dachterrasse recht gut.
@andreischnell Endlich mehr Büros – die braucht Berlin am dringendsten!!(Sorry, konnte ich mir nicht verkneifen. Danke fürs Berichten über diese Farce.)
30.000 Quadratmeter ist viel. Der Bahntower am Potsdamer Platz hat laut Wikipedia auf 26 Etagen eine Nutzfläche von 22.000 Quadratmeter Nutzfläche. https://de.wikipedia.org/wiki/Bahntower. Selbst wenn die 30.000 für das Karstadtgebäude brutto und nicht netto sind, ist es viel.