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Im Wedding prallen Welten aufeinander

12. Mai 2014
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Foto: S. Wisch­mann

Was macht den Wed­ding so reiz­voll? Die Einen fin­den den Wed­ding im Grun­de total vor­her­seh­bar, unge­fähr so wie den ältes­ten Freund aus Grund­schul­zei­ten. Wer die­sen Teil der Stadt mit die­ser Ein­stel­lung durch­quert, wird sei­ne Erwar­tungs­hal­tung schnell bestä­tigt sehen. Die Ande­ren hin­ge­gen ent­de­cken stän­dig etwas Neu­es, voll­kom­men Uner­war­te­tes in den Stra­ßen und Parks des Wedding…

Bürgertum trifft sozialen Brennpunkt

Betonburg1Der alte Bezirk Wed­ding grenz­te auf vie­len Kilo­me­tern an den Ost­teil Ber­lins. Für uns ist es ganz nor­mal, dass an den kaum zusam­men­ge­wach­se­nen Naht­stel­len zwi­schen West und Ost zwei total unter­schied­li­che Lebens­wirk­lich­kei­ten völ­lig unbe­ein­druckt neben­ein­an­der her exis­tie­ren. Man stel­le sich zum Bei­spiel auf die Behm­stra­ßen­brü­cke. Rich­tung Süden geht der Blick auf den 368 Meter hohen Fern­seh­turm, heu­te “das” tou­ris­ti­sche Sym­bol für Ber­lin. Wen­det man den Blick Rich­tung Nor­den, ist Ber­lin auf ein­mal gar nicht groß­städ­tisch: die Schre­ber­gär­ten der Kolo­nie Sand­krug ste­hen für das klein­bür­ger­li­che Idyll. Rich­tung Osten erblickt der Betrach­ter die groß­flä­chig erhal­te­nen Miets­ka­ser­nen des frü­he­ren Arbei­ter­be­zirks Prenz­lau­er Berg, wo das neue urba­ne Bür­ger­tum heu­te sei­nen Lat­te mac­chia­to mit Bio­milch trinkt. Radi­kal anders wir­ken dage­gen die 70er-Jah­re-Wasch­be­ton­hoch­häu­ser in west­li­cher Rich­tung mit ihren hohen Aus­län­der­an­teil als archi­tek­to­ni­scher Aus­druck eines “sozia­len Brennpunkts”.

Geheimdienst trifft Sozialbau

Foto: Joachim FaustOder neh­men wir die eigen­ar­ti­ge städ­te­bau­li­che Situa­ti­on zwi­schen Lie­sen­stra­ße, Chaus­see­stra­ße und Boy­en­stra­ße. Die bau­li­chen Kon­tras­te zwi­schen den neu­en Edel-Wohn­ob­jek­ten (“the Gar­den”) in Alt-Mit­te und den Sozi­al­bau­ten mit den vie­len Satel­li­ten­schüs­seln auf Wed­din­ger Sei­te könn­te kaum grö­ßer sein. Und stra­ßen­auf­wärts folgt sogleich mit dem Bay­er Sche­ring-Gelän­de auch noch ein gro­ßer Indus­trie­be­trieb mit­ten in der Stadt. Ver­stärkt wer­den dürf­te die­ser – in jeder Hin­sicht hef­ti­ge Zusam­men­stoß – durch die Fer­tig­stel­lung der ziem­lich indis­kret gebau­ten Bun­des­nach­rich­ten­dienst-Zen­tra­le und den Zustrom von sol­ven­ten Geheim­dienst­mit­ar­bei­tern auf Wohnungssuche.

Eine Religion trifft die andere

Innenraum Osterkirche AltarUnd inner­halb des Wed­ding? Typisch für vie­le Kir­chen ist die Oster­kir­che im Spren­gel­kiez. Am Sonn­tag fei­ern in den Kir­chen oft zwei Gemein­den ihre Got­tes­diens­te. Einer­seits zum Bei­spiel die tra­di­tio­nel­le evan­ge­li­sche und zwei Stun­den spä­ter eine far­ben­froh geklei­de­te afri­ka­ni­sche Gemein­de. Und sogar inner­halb einer Kir­chen­ge­mein­de tref­fen sich beim inter­re­li­giö­sen Frau­en­tee Chris­tin­nen und Mus­li­ma regel­mä­ßig. Und schon ein paar Ecken wei­ter gibt es Moscheegemeinden.

Platte West trifft Altbau

 

Rein bau­lich ist der Wed­ding natür­lich ein stein­ge­wor­de­ner Gegen­satz in sich selbst. Vor allem im Brun­nen­vier­tel in Gesund­brun­nen fällt auf, dass es hier nicht so aus­sieht, wie sich ein unbe­darf­ter Besu­cher die Mit­te Ber­lins vor­stellt. Das lässt sich mit dem Abriss­wahn der Nach­kriegs­zeit erklä­ren, denn im Kal­ten Krieg galt es, das in Sicht­wei­te von Ost-Ber­lin gele­ge­ne Gewirr von Miets­ka­ser­nen (legen­där: Meyer’s Hof in der Acker­stra­ße) in ein auf­ge­räum­tes, moder­nes Wohn­ge­biet zu ver­wan­deln. Dazu wur­den fast alle Alt­bau­ten, die den Krieg über­stan­den hat­ten, abge­ris­sen und durch Plat­ten­bau­ten ersetzt. Nur eine Hand­voll Wohn­häu­ser aus der Kai­ser­zeit, vor allem an der Put­bus­ser Stra­ße, an der Jas­mun­der Stra­ße und an der Gleim­stra­ße haben die­se Kahl­schlag­sa­nie­rung über­lebt und wir­ken in dem neu­en Kon­text wie aus der Zeit geraten.

Ausdruckstanz trifft Köfteladen

Foto: Angela Sozzo
Foto: Ange­la Sozzo

Die Bad­stra­ße ist eine ver­bli­che­ne Schön­heit und ein ehe­ma­li­ges Amü­sier­vier­tel in Gesund­brun­nen, das heu­te auf eine migran­ti­sche Lauf­kund­schaft aus­ge­rich­tet ist. Schi­cke und ange­sag­te Läden und Cafés sucht man hier ver­geb­lich. Umso grö­ßer ist dann der Kon­trast an der Ufer­stra­ße, wo sich mit den Ufer­stu­di­os und den Ufer­hal­len ein kunst­af­fi­nes, oft eng­lisch­spra­chi­ges Publi­kum tum­melt. Seit das ehe­ma­li­ge BVG-Werk­statt­are­al in einen von Künst­ler­ate­liers und Tanz­büh­nen genutz­ten Ort ver­wan­delt wur­de, reibt sich der gemei­ne Gesund­brun­ner oft die Augen in Anbe­tracht der unge­wohn­ten Hips­ter aus der Krea­tiv­sze­ne. Doch wie so oft im Wed­ding ver­lau­fen sich die wie von einem ande­ren Pla­ne­ten per U‑Bahn ange­reis­ten Frem­den schon an der nächs­ten Ecke und fal­len dann nicht wei­ter auf.

See trifft Straße

Fischerboot auf dem PlötzenseeUnd jetzt noch ein Stadt-Land-Kon­trast gefäl­lig? Es reicht, sich an das Nor­den­de unse­res Plöt­zen­sees zu stel­len. Nicht nur Orts­frem­de kön­nen kaum fas­sen, dass sie sich hier in Ber­lin-Mit­te und nicht irgend­wo in der Mark Bran­den­burg befin­den. Doch direkt dane­ben, kaum zu über­hö­ren, rauscht der Auto­ver­kehr auf dem Auto­bahn­zu­brin­ger See­stra­ße. Noch einen Stein­wurf wei­ter, am West­ha­fen­ka­nal, wer­den Waren und Güter umgeschlagen.

Kurz gesagt: so gleich­mä­ßig, wie sich sozia­le Pro­ble­me und das ästhe­ti­sche Mit­tel­maß über den gan­zen Wed­ding und Gesund­brun­nen zu ver­tei­len schei­nen, darf in unse­rem Teil der Stadt immer noch ziem­lich viel Über­ra­schen­des und Wider­sprüch­li­ches neben­ein­an­der her exis­tie­ren. Das macht auch den Reiz einer Welt­stadt aus. Wol­len wir hof­fen, dass auch in Zukunft für mög­lichst vie­le Lebens­wei­sen und Kul­tu­ren genü­gend Raum bleibt. 

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  1. Ein sehr gelun­ge­ner Arti­kel, weil er die Viel­falt im Wed­ding aber auch die Brü­che the­ma­ti­siert. Irri­tie­rend fin­de ich nur die Zwi­schen­über­schrift: “Gläu­bi­ge tref­fen Ungläu­bi­ge”. Ob die Besu­cher der Sala­fis­ten-Moschee den Kon­takt mit ande­ren über­haupt wol­len, sei dahin gestellt. Ich erin­ne­re mich noch als die Moschee eröff­ne­te. Das war kurz vor dem drit­ten Okto­ber, an dem seit vie­len Tagen der “Tag der offe­nen Moscheen” statt­fin­det. Die Woche davor schau­te ich regel­mä­ßig, ob es ein Ange­bot in der Spren­gelstra­ße geben wür­de. Es gab kei­ner­lei schrift­li­chen Hin­weis so ging ich am 3. Okto­ber in die Moschee in der Lyn­ar­stra­ße. Inter­es­sant war, daß am nächs­ten Tag an der Sala­fis­ten­mo­schee ein Pla­kat zu sehen war, daß man zum Tag der offe­nen Moschee einlädt. 

    Einen Ort gibt es dann im Spren­gel­kiez doch, wo sich Men­schen unter­schied­li­cher reli­giö­ser Tra­di­tio­nen und auch säku­la­re Men­schen tref­fen – also Gläu­bi­ge und Ungläu­bi­ge – näm­lich die inter­re­li­giö­se Biblio­log-Werk­statt, die ein­mal monat­lich mitt­wochs im Spr­en­gel­haus statt­fin­det, die­ses Jahr zum The­ma: “Essen und Trin­ken in hei­li­gen Schriften”:
    http://bibliologberlin.wordpress.com/2014/01/30/interreligiose-bibliolog-werkstatt-2014-essen-und-trinken-in-der-bibel/

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