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Halloween im Wedding – Ein Erlebnisbericht

1. November 2014

kuerbisIch habe Hal­lo­ween vor sie­ben Jah­ren im Wed­ding ken­nen­ge­lernt. Davor wohn­te ich im Fried­richs­hain und dort gab es damals kein Fest am 31. Okto­ber – oder ich war ein­fach zu igno­rant. Heu­te ist der herbst­li­che Monats­wech­sel für mich ein fes­ter Ter­min auf den sich die gan­ze Fami­lie schon Wochen im vor­aus freut – fast wich­ti­ger als der eige­ne Geburtstag.

Tele­fo­nie­re ich mit mei­nen Eltern, dann höre ich die ver­trau­te Töne. “Hal­lo­ween ist ame­ri­ka­nisch”, “Hal­lo­ween brau­chen wir nicht”, “das nervt”, “war­um müs­sen wir hier alles nach­ma­chen?” In mei­ner eige­nen Fami­lie ist es genau umge­kehrt. “Ist es schon soweit?” fra­gen die Aller­kleins­ten, die noch kei­nen Plan vom Ablauf der ein­zel­nen Tage inner­halb der Woche haben und “Ich freu’ mich schon auf Frei­tag”, sagen die, die bereits über Ter­min­pla­ner in Form von Haus­auf­ga­ben­hef­ten verfügen.

Hal­lo­ween – ein Kinderfest
Als ich vor sie­ben Jah­ren ins Brun­nen­vier­tel zog, klin­gel­te es eines Abends über­ra­schend an der Woh­nungs­tür. Ich frag­te mich, wie der Besuch durch die gesi­cher­te Haus­tür gekom­men war. Aber es war kein Besuch, es waren Kin­der, die ver­le­gen lis­pel­ten, dass sie zum Bet­teln gekom­men waren. Ich gab ihnen einen Apfel, wor­über sie sich wun­der­ten, wor­über ich mich dann wie­der wun­der­te. Was ist an einem Apfel nun wie­der schlecht? Dar­auf­hin erklär­ten mir mei­ne eige­nen grö­ße­ren Kin­der, war­um es geklin­gelt hat. Und im nächs­ten Jahr zogen sie selbst los. So funk­tio­niert Ansteckung.

Nach­barn im Brunnenviertel
Heli­ko­pter-Papa wird man nicht von einem Tag auf den ande­ren, dazu es braucht jah­re­lan­ge Übung. Bei den Kleins­ten mei­ner Fami­lie gehe ich nun mit, wenn sie auf Klin­gel­tour gehen. Das wäre mir bei den Gro­ßen nicht ein­ge­fal­len. Komisch, alle ande­ren Kin­der der Stra­ße gehen in Rot­te; ganz klei­ne und ganz coo­le Kin­der in einem Hau­fen. Sie pas­sen auf sich gegen­sei­tig auf, sie benö­ti­gen kei­ne Eltern. Dafür tra­ge ich dem Spröß­ling die Süßig­kei­ten nach. In einem Stoff­beu­tel. Die Rot­ten­kin­der haben alle ver­pön­te Plas­tik­tü­ten. Und zwar rich­tig gro­ße. Damit viel rein­geht. Ganz viel.

Ich ler­ne mei­ne Nach­barn ken­nen. Der soge­nann­te Erst­be­zug, Men­schen die seit 1980 im Vier­tel woh­nen, hat kei­ne Süßig­kei­ten für das schreck­li­che Gespenst, das mein Nach­wuchs dar­stellt. Die etwas jün­ge­ren Nach­barn tra­gen gera­de ihr Bier heim und grum­meln: Nix ein­ge­kauft. Oder es öff­net eine Dame mit dem Satz: “Ich ken­ne Sie gar nicht!” – “Wir woh­nen einen Auf­gang wei­ter!”, hel­fe ich dem ver­dutz­ten Gespenst aus (viel­leicht doch gut, dass ich mit­ge­kom­men bin? Ich bin mir nicht sicher.) Dar­auf­hin gibt es einen Bon­bon. Aha.

An man­chen Türen ste­hen zwei Män­ner­na­men. Hier hat das Gespenst Glück und bekommt einen Keks. An den Türen, wo ich die Namen nicht lesen kann, weil meh­re­re Kon­so­nan­ten auf­ein­an­der fol­gen oder unge­wohn­te Umlau­te auf ein c fol­gen, öff­nen durch­weg auf­ge­schlos­se­ne Men­schen. Sie schmun­zeln. Oder fop­pen das Gespenst: “Das sagen sie alle, da musst Du Dir etwas bes­se­res über­le­gen!” Und hal­ten schon die Tüte mit der Scho­ko­la­de in der Hand. Eine gro­ße Tüte. Eine sehr gro­ße Tüte. Wahr­schein­lich sind das die Eltern von den Rot­ten­kin­dern. Weil sie wis­sen, mit wel­chen gigan­ti­schen Tüten ihre Kin­der auf der Stra­ße sind, haben sie in der Mall die Süß­wa­ren­ab­tei­lung leer­ge­kauft. Das Gespenst ist ein wenig erschro­cken und sagt, dass es nur ein wenig Scho­ko­la­de möchte.

Hal­lo­ween in der Stadt
Gegen Mit­ter­nacht kommt die gesam­te Fami­lie wie­der zusam­men. Das heißt, die Letz­ten tref­fen ein. Sie erzäh­len, dass am U‑Bahnhof Vol­ta­stra­ße ver­klei­de­te Men­schen stan­den. Nicht nur so ein biss­chen, son­dern Ganz­kör­per­grün oder mit per­fek­ter Film­be­ma­lung. Am Alex­an­der­platz sol­len sogar ein Drit­tel aller Leu­te ver­wan­delt gewe­sen sein.  Das hät­te ich nicht gedacht, ich ken­ne mich nicht mehr aus in Ber­lin. Als Vater bin ich mit der orga­ni­sier­ten Ablen­kung in Clubs und Bars nicht mehr ver­traut, weil ich von der täg­li­chen Ablen­kung zuhau­se absor­biert bin. Ich bin also über die­se Berich­te erstaunt. Wie vor sie­ben Jah­ren als Hal­lo­ween in mein Leben trat.

Text: And­rei Schnell, Foto: Domi­ni­que Hensel

Andrei Schnell

Meine Feinde besitzen ein Stück der Wahrheit, das mir fehlt.

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