Schreiben ist nicht so leicht im Moment, denn eigentlich gibt es nur ein Thema: Spargel. Werden wir überhaupt welchen haben, wird der Preis in die Höhe schießen, wer muss jetzt den Spargel stechen, welcher Spargel sind wir selbst, und wie viele? Studierende mit verspätetem Semester, auftrittslose Kleinkünstler, es wurde schon mancher vorgeschoben in der Art: “Die haben doch jetzt Zeit”. Aber die Spargelhöfe wollen gar keine auftrittslosen Kleinkünstler, ich kann mir eigentlich auch keinen Kleinkunstkollegen vorstellen, den ich an meinen Spargel lassen würde.
Spargel in Gefahr
Es werden nicht nur Helfer gesucht, es werden ‘verzweifelt’ Helfer gesucht, dem Spargel geht es nicht nur nicht gut, er ist ‘in Gefahr’. Während wir isoliert in der Frühlingssonne auf den Balkonen baden, drängen die Gemüsestangen gemeinsam ans Licht und wollen geerntet werden. Wo immer der Virus eine Notlage schafft, gibt es engagierte Hilfsangebote. Das ist, mal abgesehen von den Notlagen selbst und ihren Ursachen, der beste Grund, sich immer wieder mit der Menschheit zu versöhnen. In diesem Fall aber scheinen die Spargelhöfe resistent. Ich lese drei Interviews und sinngemäß immer das Gleiche: “Wir wollen keine Studenten und Kleinkünstler, eigentlich niemanden von hier, die haben nach einem Tag Rückenschmerzen, müssen mühsam angelernt werden. Nette Idee mit den Hilfsangeboten, haha, aber jetzt wollen wir bitte unsere Leute aus Polen und Rumänien.” Tatsächlich dürfen viele Erntehelfer kommen oder sind schon da, 40.000 bundesweit pro Monat. Steht zwar sonst alles still und die ganze Welt soll zu Hause bleiben, aber Spargel, um den wäre es ja wirklich zu schade. Oder die Löhne. Oder die Arbeitsbedingungen. Was ist denn so schlimm daran, jetzt auch Leute anzulernen? Es kommen ja noch ein paar mehr Jahre nach diesem, vermutlich. So ganz verstehe ich das nicht.
Ist natürlich alles vergessen, wenn er dann erst mal auf dem Teller liegt, die weißen Stangen aufgereiht sind. Sicher werde ich welchen kaufen, denn der Deichgraf wird kaum welchen servieren können. Wenn er dann auch noch teurer wird und man nur einmal pro Woche einkauft, kann ich mir allerdings kaum vorstellen, dass er in gewohnter Menge gegessen wird. Die gewaltigen Schnitzel-mit-Spargel-Gastronomien rund um Beelitz haben auch zu, viele Saisonbesucher sind Risikogruppe. Da setzt man jetzt alles in Bewegung, um den Quark aus dem Boden zu holen, und die Hälfte hätte es vielleicht auch getan. Aber ich kenne mich nicht aus, ich bin nur ein auftrittsloser Kleinkünstler, der Spargel bislang nur geschält und nie gestochen hat. Einmal vor vielen Jahren flüsterte mir die Spargelkönigin der Region beim Anstich etwas ins Ohr, aber was, das verrate ich nicht.
Im Wedding erntet man gerade nur Asphalt, wie ich vom Balkonfenster beobachten kann. Die ganze Seestraße lang wird der Belag von der Straße gefräst und siehe da: Unter der Seestraße ist noch eine Seestraße. Weiße, runde Köpfe erblicken das Licht, und wenn man auf dem Balkon sonst nichts zu tun hat gerade, kann man sich am wechselnden Muster des historischen Kopfsteinpflasters festgucken.
Die Brauseboys – Lesebühne im Wedding – Gründonnerstags-Livestream am 9.4., 20.30 Uhr!
Seit siebzehn Jahren jede Woche neue Texte, Betrachtungen, Musik und belebende Heiterkeit, seit vier Wochen im Livestream der virtuellen Herzen. Wir haben großen Spaß daran, und ihr seid schuld! Ihr überschüttet uns mit Herzchen und guten Wünschen, ihr kommentiert, lauscht, spendet. Wir können nur staunen und danken, und in digitaler Demut den nächsten Donnerstag vorbereiten, den auch der Virus nicht endet. Grüner wirds nicht, als am Gründonnerstag! Live und in Farbe auf Facebook.
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