Als ich den Vorsitzenden des Weddinger Heimatvereins Bernd Schimmler kennenlernte, kam bald das Gespräch auf den ehemaligen Bezirk Wedding. Dort war Schimmler zuletzt Bezirksstadtrat für die SPD. Wie sich herausstellte, war er an dem Vorhaben beteiligt, aus dem Bezirk zwei Ortsteile zu bilden. Im Nachgang zu diesem Gespräch entstand dieses Interview.
Wie kam es zu der Grenzziehung zwischen Wedding und Gesundbrunnen? Bis 2001 handelte es sich ja um einen Bezirk ohne Ortsteile, der über 80 Jahre lang zusammengewachsen war. War die Ortsteilgrenze eine Vorgabe – und warum wurde der alte Bezirk Mitte nicht ebenfalls weiter unterteilt? Welche Rolle spielten Sie ganz persönlich?
Die Verfassung von Berlin von 1995 in der Fassung des Gesetzes vom 3.4.1998 sah in Art. 4 die Zusammenlegung der 23 Bezirke zu 12 Bezirken zusammen. Für die Ortsteilgliederung gab es m.E. keine Vorgaben. Vielmehr haben die zusammengelegten Bezirke Wert auf ihre Ursprungsnamen gelegt. Weißensee wollte ebenso wie andere Teile der Berliner Bezirke nicht namenlos in „Pankow“ untergehen. Auch für Mitte stellte sich das Problem, da es schon vorher in Tiergarten Ortsteile gab, Tiergarten und Moabit. So wurde auch die Frage an den Wedding herangetragen. Auf meinen Vorschlag hat das Bezirksamt sich für die alten Begriffe Gesundbrunnen und Wedding entschieden.
Welchen Sinn sollte die Ortsteilgrenze haben? Hatte sich damit irgendeine Hoffnung auf eine Ortsteil-Identität im Großbezirk verbunden? Ist die Einteilung rückblickend gewesen sinnvoll?
Sie dienen eigentlich nur einer Orientierung. Für Planungszwecke sind etwa die Bezirksregionen sinnvoller. Ob die Einteilung sinnvoll ist, muss jeder für sich entscheiden. Früher (und manchmal wohl auch heute) haben Menschen oftmals nicht sagen wollen, dass sie im Wedding leben. Für manche war Gesundbrunnen „unverdächtiger“. Jetzt sagen dann diese Menschen, sie wohnen in “Mitte”.
Woran haben Sie sich bei der Grenzziehung orientiert? Waren das rein praktische Gründe oder gab es eine historische Referenz?
Die Grenzziehung hat sich an historischen Vorbildern orientiert. In meiner im nächsten Jahr voraussichtlich erscheinenden Neuauflage meines Wedding-Buches von 1985 heißt es hierzu zu den beiden Gemeinden mit den Schinkelschen Kirchen:
„Kurz bevor die Kirchen ihrer Vollendung entgegengingen, legte eine königliche Kabinettsorder vom 10. März 1835 die Grenzen der beiden neuen Gemeinden im späteren Bezirk Wedding fest. Die St. Paul-Gemeinde reichte von der Reinickendorfer Straße über die Gericht- und Grenzstraße zur Bad- und Brunnenstraße und weiter bis zur Pankower Feldmark und dann bis zur Reinickendorfer Straße. Dieses Gebiet zählte damals 1.200 Einwohner. Die Mietskasernen der Gartenstraße blieben außen vor. Hierfür blieben die alten Berliner Gemeinden zuständig.
Die Nazareth-Gemeinde an der Müllerstraße reichte von der Reinickendorfer Straße und Gerichtstraße bis zur Reinickendorfer Feldmark und zu den Schießplätzen an den späteren Rehbergen und dem Plötzensee, umschloss die Fenn- und Torfstraße und reichte schließlich bis zum Invalidenhaus an der Chausseestraße. Hier lebten 1515 Menschen (1835). Diese Grenzen entsprechen ziemlich genau den Umgrenzungen der Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen nach der Bezirksfusion 2001.“
Wie kamen die Namen der beiden neuen Ortsteile zustande? Müsste nicht der Ortsteil Wedding eher Wedding-West heißen, da sich das Vorwerk Wedding ja auf heutigem Gesundbrunnen-Ortsteilgebiet befindet?
Schon bei der Eingemeindung wurde zwischen dem Wedding und dem Gesundbrunnen unterschieden. War vorher der Begriff Wedding für das nördlich Berlins gelegene Gebiet vorherrschend, hat sich mit Expansion des Gesundbrunnens auch dieser Name durchgesetzt. Zur Zeit der Eingemeindung war der Begriff des Vorwerks Wedding bereits durch die zahlreichen Ansiedlungen nur noch eine Reminiszenz.
Wie beurteilen Sie die Grenzziehung heute? Hat sich die Bevölkerung des alten Bezirks Wedding aus Ihrer Sicht durch die Grenze „trennen“ lassen? Können Sie verstehen, dass es immer noch eine starke Gesamtweddinger Identität gibt? Vor allem an der Ortsteilgrenze ist die Grenzziehung ja relativ künstlich und für die dortigen Menschen nicht nachvollziehbar.
Viele Menschen sind an dem alten Begriff „Wedding“ orientiert, war das doch ihre Heimat. Zugezogene sehen das relativ neutral. In einigen Bereichen wird aber zwischenzeitlich zur Festlegung der örtlichen Lage auf beide Begriffe zurückgegriffen, z.B. in den täglichen Polizeimeldungen.
Wie halten Sie es selbst mit den beiden Namen? Würden Sie sich als Weddinger oder inzwischen sogar als Gesundbrunner betiteln?
Ich habe mich immer als Weddinger bezeichnet und mein Buch wird weiterhin „Der Wedding“ heißen, weil es ein Buch über den Alt-Bezirk ist. Aber in Briefwechseln schreibe ich oft nach der PLZ „Berlin-Gesundbrunnen“, so wie ein Prenzlberger auch Prenzlauer Berg und nicht Pankow schreibt.
Vielen Dank für die interessanten Hintergrundinformationen!
Mehr Infos zum “gefühlten Wedding” hier.
Info: Die Grafik zeigt die Fläche des ehemaligen Bezirks Wedding. Heute ist das Gebiet in zwei Ortsteile des Bezirks Mitte eingeteilt. Die Grenze verläuft genau in der Reinickendorfer Straße. Das bedeutet, die Kieze rund um die Müllerstraße und den Leo gehören zum Ortsteil Wedding, während alles rund um Bad‑, Brunnen‑, Pank- und Osloer Straße zum Ortsteil Gesundbrunnen gezählt wird.
Schon seit zehn Jahren begleitet der Weddingweiser das Geschehen im Kiez, gibt Tipps und Empfehlungen für gutes Essen, Trinken oder originelle Produkte und veröffentlicht Liebeserklärungen an den sicherlich spannendsten Stadtteil von Berlin, den Wedding. Dieser Beitrag erschien im Rahmen des Jubiläumsmonats “10 Jahre Weddingweiser”.
Es gibt keinen Kiez „Nettelbeckplatz“.
Ich verstehe die Grafik nicht richtig. Bzw. passt sie für mich nicht zu dem darüber stehenden Text. In der Grafik sind ja Viertel dargestellt und man weiß dann doch nicht 100%, wo die jetzigen zwei Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen genau liegen.
Ganz einfach: die Reinickendorfer Straße teilt die beiden Ortsteile.