Jetzt sollte es auch wirklich der allerletzte Insasse unserer kleinen Kiez-Anstalt mitbekommen haben: Der Wedding verändert sich. Und das Dragoner-Areal in Kreuzberg? Das wird bebaut. Vorher wird jedoch erst einmal heimlich, still und leise abgerissen, und zwar genau jenes Gebäude, welches von der Straße aus derzeit noch fast völlig intakt aussieht. Die Rede ist vom Stadtbad Wedding. Als ehemaliger Anwohner war ich aus ganz unterschiedlichen Gründen nie wirklich ein großer Freund dieser Einrichtung. Doch hat es solch ein schändliches Ende wirklich verdient? Einfach mit dem Kran von hinten erdolcht und abgerissen zu werden? Ich sage, Goodbye Stattbad, und danke für den Fisch.
Mein Lieblings-Späti ist heute Heimat der Raumfahrtagentur. Wohin seine funktionalen Analphabeten, die sich selbst liebevoll “Kollege” oder “Dicker” nannten, verzogen sind, bleibt unbekannt. Das Rocker-Café, an dem zwei SPIEGEL TV-Redakteure des Nachts beinahe ihr Testament hätten aufsetzen müssen, nun ja, dort befindet sich heute ein soziales Beratungszentrum – für Familien. Die Zwiespältigkeit von Aufwertung in genau einem Absatz zusammengefasst.
Es bewegt sich was im Wedding und das nicht nur auf der Gerichtstraße. Der Sehnsuchtsort aller Nähsüchtigen an der Osloer Straße – “Die Welt der Stoffe”– zum Beispiel zieht nach Steglitz und lässt seine Weddinger Freunde fragend zurück. Edeka Reichelt auf der Müllerstraße, Inbegriff für den Einzelhandel mit lokaler Identität wird durch ein ungreifbares Edeka Fromm ersetzt. Das Müslicorn & Candy tief im Norden hat seine Pforten ebenso geschlossen – und kann auch nur schwerlich von dem neuen Waffel-Shop auf der Amsterdamer Straße ersetzt werden.
Diese Entwicklungen kann man nun gut finden, man kann sie aber gut und gerne mindestens ebenso schnell verteufeln. Die Pioniere des Weddings würden verdrängt, heißt es dann zum Beispiel. Oder man kann einfach meinen Großvater zitieren, mit den Schultern zucken und sagen: “Junge, so isset eben!” – “Recht haste, Oppa!”
Und das Stattbad? Das zieht nicht um, es wird nicht unbenannt und kann auch kaum durch eine andere Institution adäquat ersetzt werden. Gemeinsam mit meinem Späti wird es auf der Gerichtstraße seine letzte Ruhe finden.
Für länger als ein Jahr lebte ich aufgrund äußerer Zwänge im Antonkiez-Exil – direkt dort, in Sicht- und besonders Hörweite zur abgeranzten und vielleicht auch genau deswegen geliebten Kultureinrichtung. Besonders, als die großen Veranstaltungen anfingen, wurde indes mehr und mehr klar: Hier hat sich ein Ufo des ehemaligen Wasser-Vergnügungsortes bemächtigt. Auch die Leute, die es dementsprechend an das Weddinger Ufer zog, waren mir fremd.
Als die StattBar im Erdgeschoss öffnete, war ich aus völlig irrationalen Gründen erst einmal erleichtert, denn eigentlich war es genau das, was der Straße fehlte – so glaubte ich. Es stellte sich allerdings heraus, ich gehörte zu den 75 % der Straßenbewohner, die nicht cool genug sind, sich dort hineinzuwagen und vor allem: wohlzufühlen. Das Café / die Bar ist wie der gesamte Ort nun ebenfalls Geschichte.
Und falls jemand fragt, wie es denn um Denkmalschutz stünde, Gegenfrage: Kennt jemand das alte Sputnik-Kino auf der Reinickendorfer Straße? Denkmalschutz gilt in Berlin manchmal nicht viel. Alles hat eben seine Zeit. Das Stattbad in der Gerichtstraße hat sie jetzt hinter sich. Eine bejubelte Einrichtung, die Geld damit verdiente, Besucher in eine Todesfalle zu locken, wäre tatsächlich irgendwann mal eine Panik oder schlimmer, ein Feuer ausgebrochen. Und sich dann als Opfer darstellen lässt. Das Schlimme an der Sache ist: Wäre Berlin nicht Berlin, man hätte den Verkauf wie Abriss wahrscheinlich ganz einfach verhindern können. Wille vorausgesetzt. Das hätte mir den Ort zwar auch nicht mehr schmackhafter gemacht, doch für die Stadt wäre es sicherlich ein Gewinn gewesen. Ob das hingegen auch für den Kiez gegolten hätte, darf natürlich bezweifelt werden. Wahrscheinlich eher nicht.
Nun kommen stattdessen Studentenwohnungen in die Gerichtstraße, nachdem die Eigentumswohnungen neben dem ehemaligen Krematorium bereits bezogen sind. Inwieweit Studentenwohnungen als Stabilisatoren einer sozialen Mischung im Kiez dienen könnten, ist unklar. Scheint aber auch egal zu sein, denn um so etwas kümmert sich weder Senat, noch Investor. Schaut man indes auf die andere Straßenseite, dann scheint das letzte Wort in der Gerichtstraße noch nicht gesprochen. Bleibt mir also nur noch eins zu sagen: Goodbye Stattbad, und danke für den Fisch. Möge dein Sprungturm auf eBay keinen Höchstpreis erzielt haben.
Hier handelt es übrigens sich um einen Kommentar. Wer härtere Fakten braucht, bitte sehr: Quo vadis, Stattbad Wedding
“Denkmalschutz gilt in Berlin manchmal nicht viel.” greift hier nicht wirklich, das Bad stand leider nie unter Denkmalschutz.
“Die Welt der Stoffe” ist ein Ableger der Heinrich Hühn GmbH und exakt die firmieren unter dem Namen HÜCO (schon seit 1919 – lt. Eigenwerbung) in der Lise-Meitner-Str. 7–9 in Charlottenburg!
Also braucht man nicht bis Friedenau zu fahren.
Dazu fällt mir ein: In zwei Wochen eröffnet das Baumhaus. Gegenüber. Geht doch!