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Goodbye Stattbad, und danke für den Fisch

13. September 2016
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Stattbad Wedding, alles ruhig auf der Gerichtstraße?
Statt­bad Wed­ding, alles ruhig auf der Gerichtstraße?

Jetzt soll­te es auch wirk­lich der aller­letz­te Insas­se unse­rer klei­nen Kiez-Anstalt mit­be­kom­men haben: Der Wed­ding ver­än­dert sich. Und das Dra­go­ner-Are­al in Kreuz­berg? Das wird bebaut. Vor­her wird jedoch erst ein­mal heim­lich, still und lei­se abge­ris­sen, und zwar genau jenes Gebäu­de, wel­ches von der Stra­ße aus der­zeit noch fast völ­lig intakt aus­sieht. Die Rede ist vom Stadt­bad Wed­ding. Als ehe­ma­li­ger Anwoh­ner war ich aus ganz unter­schied­li­chen Grün­den nie wirk­lich ein gro­ßer Freund die­ser Ein­rich­tung. Doch hat es solch ein schänd­li­ches Ende wirk­lich ver­dient? Ein­fach mit dem Kran von hin­ten erdolcht und abge­ris­sen zu wer­den? Ich sage, Good­bye Statt­bad, und dan­ke für den Fisch.

Mein Lieb­lings-Späti ist heu­te Hei­mat der Raum­fahrt­agen­tur. Wohin sei­ne funk­tio­na­len Analpha­be­ten, die sich selbst lie­be­voll “Kol­le­ge” oder “Dicker” nann­ten, ver­zo­gen sind, bleibt unbe­kannt. Das Rocker-Café, an dem zwei SPIEGEL TV-Redak­teu­re des Nachts bei­na­he ihr Tes­ta­ment hät­ten auf­set­zen müs­sen, nun ja, dort befin­det sich heu­te ein sozia­les Bera­tungs­zen­trum – für Fami­li­en. Die Zwie­späl­tig­keit von Auf­wer­tung in genau einem Absatz zusammengefasst.

Es bewegt sich was im Wed­ding und das nicht nur auf der Gericht­stra­ße. Der Sehn­suchts­ort aller Näh­süch­ti­gen an der Oslo­er Stra­ße – “Die Welt der Stof­fe”– zum Bei­spiel zieht nach Ste­glitz und lässt sei­ne Wed­din­ger Freun­de fra­gend zurück. Ede­ka Rei­chelt auf der Mül­lerstra­ße, Inbe­griff für den Ein­zel­han­del mit loka­ler Iden­ti­tät wird durch ein ungreif­ba­res Ede­ka Fromm ersetzt. Das Müs­li­corn & Can­dy tief im Nor­den hat sei­ne Pfor­ten eben­so geschlos­sen – und kann auch nur schwer­lich von dem neu­en Waf­fel-Shop auf der Ams­ter­da­mer Stra­ße ersetzt werden.

Die­se Ent­wick­lun­gen kann man nun gut fin­den, man kann sie aber gut und ger­ne min­des­tens eben­so schnell ver­teu­feln. Die Pio­nie­re des Wed­dings wür­den ver­drängt, heißt es dann zum Bei­spiel. Oder man kann ein­fach mei­nen Groß­va­ter zitie­ren, mit den Schul­tern zucken und sagen: “Jun­ge, so isset eben!” – “Recht has­te, Oppa!”

Und das Statt­bad? Das zieht nicht um, es wird nicht unbe­nannt und kann auch kaum durch eine ande­re Insti­tu­ti­on adäquat ersetzt wer­den. Gemein­sam mit mei­nem Späti wird es auf der Gericht­stra­ße sei­ne letz­te Ruhe finden.

StattBar Reste
Statt­Bar Reste

Für län­ger als ein Jahr leb­te ich auf­grund äuße­rer Zwän­ge im Anton­kiez-Exil – direkt dort, in Sicht- und beson­ders Hör­wei­te zur abge­ranz­ten und viel­leicht auch genau des­we­gen gelieb­ten Kul­tur­ein­rich­tung. Beson­ders, als die gro­ßen Ver­an­stal­tun­gen anfin­gen, wur­de indes mehr und mehr klar: Hier hat sich ein Ufo des ehe­ma­li­gen Was­ser-Ver­gnü­gungs­or­tes bemäch­tigt. Auch die Leu­te, die es dem­entspre­chend an das Wed­din­ger Ufer zog, waren mir fremd.

Als die Statt­Bar im Erd­ge­schoss öff­ne­te, war ich aus völ­lig irra­tio­na­len Grün­den erst ein­mal erleich­tert, denn eigent­lich war es genau das, was der Stra­ße fehl­te – so glaub­te ich. Es stell­te sich aller­dings her­aus, ich gehör­te zu den 75 % der Stra­ßen­be­woh­ner, die nicht cool genug sind, sich dort hin­ein­zu­wa­gen und vor allem: wohl­zu­füh­len. Das Café / die Bar ist wie der gesam­te Ort nun eben­falls Geschichte.

Und falls jemand fragt, wie es denn um Denk­mal­schutz stün­de, Gegen­fra­ge: Kennt jemand das alte Sput­nik-Kino auf der Rei­ni­cken­dor­fer Stra­ße? Denk­mal­schutz gilt in Ber­lin  manch­mal nicht viel. Alles hat eben sei­ne Zeit. Das Statt­bad in der Gericht­stra­ße hat sie jetzt hin­ter sich. Eine beju­bel­te Ein­rich­tung, die Geld damit ver­dien­te, Besu­cher in eine Todes­fal­le zu locken, wäre tat­säch­lich irgend­wann mal eine Panik oder schlim­mer, ein Feu­er aus­ge­bro­chen. Und sich dann als Opfer dar­stel­len lässt. Das Schlim­me an der Sache ist: Wäre Ber­lin nicht Ber­lin, man hät­te den Ver­kauf wie Abriss wahr­schein­lich ganz ein­fach ver­hin­dern kön­nen. Wil­le vor­aus­ge­setzt. Das hät­te mir den Ort zwar auch nicht mehr schmack­haf­ter gemacht, doch für die Stadt wäre es sicher­lich ein Gewinn gewe­sen. Ob das hin­ge­gen auch für den Kiez gegol­ten hät­te, darf natür­lich bezwei­felt wer­den. Wahr­schein­lich eher nicht.

Stattbad Wedding, Rückseite
Statt­bad Wed­ding, Rückseite

Nun kom­men statt­des­sen Stu­den­ten­woh­nun­gen in die Gericht­stra­ße, nach­dem die Eigen­tums­woh­nun­gen neben dem ehe­ma­li­gen Kre­ma­to­ri­um bereits bezo­gen sind. Inwie­weit Stu­den­ten­woh­nun­gen als Sta­bi­li­sa­to­ren einer sozia­len Mischung im Kiez die­nen könn­ten, ist unklar. Scheint aber auch egal zu sein, denn um so etwas küm­mert sich weder Senat, noch Inves­tor. Schaut man indes auf die ande­re Stra­ßen­sei­te, dann scheint das letz­te Wort in der Gericht­stra­ße noch nicht gespro­chen. Bleibt mir also nur noch eins zu sagen: Good­bye Statt­bad, und dan­ke für den Fisch. Möge dein Sprung­turm auf eBay kei­nen Höchst­preis erzielt haben.

Hier han­delt es übri­gens sich um einen Kom­men­tar. Wer här­te­re Fak­ten braucht, bit­te sehr: Quo vadis, Statt­bad Wedding

Bilder der letzten Jahre

3 Comments Leave a Reply

  1. “Die Welt der Stof­fe” ist ein Able­ger der Hein­rich Hühn GmbH und exakt die fir­mie­ren unter dem Namen HÜCO (schon seit 1919 – lt. Eigen­wer­bung) in der Lise-Meit­ner-Str. 7–9 in Charlottenburg!
    Also braucht man nicht bis Frie­den­au zu fahren.

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