Mastodon

Im Afrikanischen Viertel:
Gedenkstätte für deutsche Kolonialverbrechen

Im Afrikanischen Viertel gäbe es einen guten Standort. Dass die Straßenumbenennungen noch nicht sichtbar sind, bietet eine einmalige Chance.
15. Mai 2021
3

Wie heißt der Platz auf die­sem Foto? Auf den Stra­ßen­schil­dern ist er noch unter sei­nem alten Namen geführt: Nach­ti­gal­platz, benannt nach dem Afri­ka­for­scher Gus­tav Nach­ti­gal (1834–1885). Der war einer­seits ein Wis­sen­schaft­ler, aus des­sen Vor­ar­bei­ten sich spä­ter ein gan­zer Wis­sen­schafts­zweig, die Eth­no­lo­gie, ent­wi­ckeln soll­te. Auf der ande­ren Sei­te war er aber auch ein Weg­be­rei­ter des deut­schen Kolo­nia­lis­mus und zeit­wei­se einer der höchs­ten deut­schen Kolo­ni­al­be­am­ten.
Der Platz­na­me miss­fiel nicht nur vie­len afri­ka­stäm­mi­gen Ber­li­ne­rin­nen und Ber­li­nern. War­um soll­te die Stadt einen ehe­ma­li­gen Kolo­ni­al­be­am­ten ehren, indem sie einen Platz nach ihm nennt? Ist das nicht eine Legi­ti­ma­ti­on des Kolo­nia­lis­mus, der sei­ne Zwangs­herr­schaft auf einem kru­den Ras­sis­mus grün­de­te, der die Mensch­heit nach Haut­far­be klassifiziert?

In einem lang­wie­ri­gen Ver­fah­ren wur­de eine Umbe­nen­nung nicht nur des Nach­ti­gal­plat­zes, son­dern auch der benach­bar­ten Lüde­ritz­stra­ße und der Peter­s­al­lee beschlos­sen, die sogar nach deut­lich blut­rüns­ti­ge­ren Pio­nie­ren des deut­schen Kolo­nia­lis­mus benannt sind. Der Beschluss fiel in der BVV Mit­te nach zwei­jäh­ri­ger Debat­te im April und Okto­ber 2018. Per All­ge­mein­ver­fü­gung wur­den die neu­en Namen fest­ge­setzt: aus dem Nach­ti­gal­platz wur­de der Man­ga-Bell-Platz. Wider­sprü­che von 127 Anwoh­ne­rin­nen und Anwoh­nern wur­den am 22.12.2019 kos­ten­pflich­tig abge­lehnt (je etwa 150 Euro wur­den berech­net, wor­auf im Vor­feld aller­dings nie­mand hin­ge­wie­sen hatte).

Aber war­um heißt der Platz drei Jah­re nach sei­ner Umbe­nen­nung immer noch Nach­ti­gal­platz, war­um sind die Stra­ßen­schil­der noch nicht längst aus­ge­tauscht? Es gab noch einen Wider­spruch, den man nicht unter den Tisch bügeln konn­te. Er kam aus Kame­run, von einem Nach­fah­ren des Namens­ge­bers: König Jean-Yves Ebo­um­bou Dual­la Bell. Der freu­te sich zwar über die Ehrung sei­nes Vor­fah­ren, der 1914 nach einer Rebel­li­on gegen eine Ver­trei­bungs­ak­ti­on der deut­schen Kolo­ni­al­her­ren hin­ge­rich­tet wor­den war.

Aber er bemän­gel­te, dass der Name nicht der rich­ti­ge sei. »Bell« sei eine Erfin­dung der Kolo­ni­al­her­ren, die ihn bes­ser aus­spre­chen konn­ten als den tra­di­tio­nel­len Fami­li­en­na­men Bona­man­ga (Nach­fah­re von Man­ga). Und auch
“Dua­la” gehö­re zum Namen. So nennt sich das Volk, das er anführ­te. Ein­fach nur “Man­ga Bell” führt also auf jeden Fall in die fal­sche Spur: Man­ga ist nicht der Vor­na­me des Geehr­ten. Bei Wiki­pe­dia ist er unter dem Namen Rudolf Dua­la Man­ga Bell verzeichnet.


An und für sich könn­te man mei­nen, die Beant­wor­tung die­ser Fra­ge wäre nicht dring­lich, der­zeit stün­den wich­ti­ge­re Pro­ble­me an. Unter­des­sen geht die Debat­te aber wei­ter. Es wird der­zeit zum Bei­spiel ganz kon­kret über mög­li­che Gedenk­stät­ten dis­ku­tiert, die im Zen­trum der deut­schen Haupt­stadt an unse­re his­to­ri­sche Rol­le im euro­päi­schen Kolo­nia­lis­mus erin­nern sol­len: zum Bei­spiel an die “Ber­li­ner Kon­fe­renz” von 18841885, auf der die euro­päi­schen Kolo­ni­al­mäch­te Afri­ka unter­ein­an­der auf­teil­ten. Oder an den Völ­ker­mord an den Here­ro und Nama in Deutsch-Süd­west­afri­ka (Nami­bia) zwi­schen 1904 und 1908. An die Betei­li­gung an der Nie­der­schla­gung des Boxer­auf­stands in Chi­na in den Jah­ren 1900 und 1901. Die Lis­te könn­te noch wei­ter­ge­führt werden.


Der Nach­ti­gal­platz könn­te dabei eine Rol­le spie­len. Denn im his­to­ri­schen Regie­rungs­vier­tel Ber­lins reicht der Platz nicht, um an alle Ver­bre­chen Deutsch­lands auf den ver­schie­de­nen Kon­ti­nen­ten zu erin­nern. Das Mahn­mal für die
Ermor­dung der Juden in Euro­pa und die Topo­gra­phie des Ter­rors prä­gen den Bereich bereits so stark, dass eine wei­te­re Gedenk­stät­te hier schlicht­weg unter­ge­hen wür­de. Das wür­de dem Anlie­gen nicht gerecht. Die Ori­gi­nal­schau­plät­ze der Kolo­ni­al­ver­bre­chen in der Wil­helm­stra­ße sind also für grö­ße­re Objek­te als Gedenk- und Erin­ne­rungs­ta­feln nicht geeignet.


Des­halb ist es sinn­voll, mit der Ent­hül­lung eines neu­en Stra­ßen­schil­des am ehe­ma­li­gen Nach­ti­gal­platz noch etwas zu war­ten. Reich­lich Platz für ein Mahn­mal wäre hier näm­lich vor­han­den. Loka­le Bezü­ge gibt es hier allein schon wegen der Bezeich­nung der Gegend als “Afri­ka­ni­sches Vier­tel”. An was genau hier erin­nert wer­den soll, müss­te aber geklärt werden.

Autor: Chris­tof Schaffelder

Die­ser Bei­trag erschien zunächst in der Zeit­schrift Ecke Mül­lerstra­ße

Gastautor

Als offene Plattform veröffentlichen wir gerne auch Texte, die Gastautorinnen und -autoren für uns verfasst haben.

3 Comments

  1. Hal­lo

    .…„Jetzt rau­ben unse­re eige­nen Leu­te Afri­ka aus“
    Anzeige
    Für die hei­mi­schen Klep­to­kra­ten, die im Augen­blick der Unab­hän­gig­keit anfin­gen, Afri­ka erneut aus­zu­rau­ben, hat Beko­lo nur Spott und Ver­ach­tung übrig. Vol­ler Lob dage­gen ist er für die Leis­tun­gen der Wei­ßen: „Wenn es gelin­gen soll­te, nega­ti­ve Erschei­nun­gen wie Aus­beu­tung und Unter­drü­ckung abzu­stel­len, wird die Idee der Re-Kolo­ni­sie­rung bei den Afri­ka­nern gut ankommen.

    Sie wis­sen ein­fach nicht mehr wei­ter. Selbst wenn es dar­um geht, unse­re Kul­tu­ren zu bewah­ren, sind es Wei­ße, die sich wirk­lich um sie küm­mern. Als ob sich seit den Zei­ten der Skla­ve­rei nichts geän­dert hät­te! Wir soll­ten Jac­ques Chi­rac für das Musée Bran­ly dank­bar sein: Dort zumin­dest wird unser Erbe bewahrt.“

    Beko­lo beschreibt, wie die afri­ka­ni­schen Eli­ten, die ihr eige­nes Land aus­plün­dern, dem Wei­ßen Mann alles ver­dan­ken: Sie erwer­ben sei­ne Diplo­me, fah­ren sei­ne Autos, tra­gen sei­ne Anzü­ge und schi­cken ihre Kin­der auf sei­ne Schu­len. Selbst unser Prä­si­dent, so Beko­lo, ist ein Pro­dukt des Wei­ßen Man­nes. Er und sei­ne gan­ze Entou­ra­ge beneh­men sich „weiß“.

    Im Staats­ap­pa­rat gibt es kei­nen Platz für Afri­ka und sei­ne Tra­di­tio­nen – ein­zi­ge Aus­nah­me sind die tra­di­tio­nel­len Tanz­grup­pen, die zum Flug­ha­fen geschafft wer­den, wenn der Prä­si­dent auf Rei­sen geht. Als ob, spot­tet Beko­lo, es sich bei die­ser orga­ni­sier­ten Folk­lo­re nicht um eine kolo­nia­le Erfin­dung handelte!

    Für Beko­lo ist Hil­fe von außen nötig.…

    Wenn man das liest dann kann die Kolo­ni­al­zeit doch nicht so schlimm gewe­sen sein !!??

    https://www.welt.de/kultur/article118718883/Warum-die-Weissen-nach-Afrika-zurueckkommen-sollen.html

    in die­sem sinne

  2. Die­ses Cha­os der Umbe­nen­nun­ge­na­rie durch den Senat wird ja immer uner­träg­li­cher! Da wird in irgend­wel­chen Hin­ter­zim­mer­stu­ben unter Aus­schluss der Öffent­lich­keit Tage- , wochen­lang bera­ten, wie denn der Platz/die Stra­ße hei­ßen könn­te – und sobald man mit den „Geheim­be­ra­tun­gen“ raus­geht, stel­len die wirk­li­chen Fach­leu­te und Betrof­fe­nen fest, dass die­je­ni­gen über­haupt kei­ne Ahnung hat­ten, von dem, was sie beraten/beschlossen hat­ten! Da wird allen Erns­tes eine afri­ka­ni­sche Skla­ven­händ­le­rin als Namens­pa­tin vor­ge­schla­gen, dann weiß man hier nicht, wie der zu Ehren­de im Kame­run rich­tig heißt usw.
    Alles ist ein Spie­gel­bild die­ser chao­ti­schen RRG- Regie­rung! Und hier sind – wohl­weis­lich – „nur“ ein paar Stra­ßen­na­men betroffen!

Schreibe einen Kommentar zu Jupp Schmitz Antworten abbrechen

Your email address will not be published.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

MastodonWeddingweiser auf Mastodon
@[email protected]

Wedding, der Newsletter. 1 x pro Woche



Unterstützen

nachoben

Auch interessant?