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Gedenken an eine mutige Weddingerin

3. November 2019
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Fran­zis­ka Bereit ver­steck­te ab Febru­ar 1943 Mit­glie­der der jüdi­schen Fami­lie Sil­ber­mann, für die sie als Haus­an­ge­stell­te arbei­te­te, in ihrer Woh­nung in der Mal­plaquet­stra­ße 38. Doch heu­te sind ihr Name und ihr Enga­ge­ment nur noch weni­gen Men­schen im Kiez bekannt. Das soll sich ändern.

Kindermädchen und Hausangestellte

Mutige Weddingerin Franziska Bereit
Fran­zis­ka Bereit, Quel­le: privat

Die 1888 gebo­re­ne Fran­zis­ka Drzy­ma­la war seit 1906 vor­wie­gend als Kin­der­mäd­chen bei dem jüdi­schen Ehe­paar Karl und Rosa­lie Sil­ber­mann in Ber­lin-Wed­ding ange­stellt. Dort küm­mer­te sie sich vor allem um die bei­den Töch­ter der Fami­lie, Adel­heid und The­re­se. Karl Sil­ber­mann war als Immo­bi­li­en­mak­ler tätig und besaß meh­re­re Häu­ser in der Rei­ni­cken­dor­fer Stra­ße, wo er mit sei­ner Fami­lie auch wohnte.

Wahr­schein­lich 1909 hei­ra­te­te Fran­zis­ka Drzy­ma­la Karl Bereit, der sich als Schnei­der sein Geld ver­dien­te. Trotz­dem arbei­te­te sie wei­ter­hin für die Fami­lie Sil­ber­mann und grün­de­te wenig spä­ter mit ihrem Ehe­mann eine eige­ne Familie.

Mit Beginn der Herr­schaft der Natio­nal­so­zia­lis­ten im Janu­ar 1933 und deren anschlie­ßen­der Eta­blie­rung ver­än­der­te sich das Leben der Sil­ber­manns grund­le­gend. Aus­gren­zung sowie die Ver­drän­gung aus dem Wirt­schafts- und Kul­tur­le­ben gehör­ten nun zum All­tag. Karl Sil­ber­mann wur­de gezwun­gen, sei­nen Besitz unter Wert zu ver­kau­fen, Adel­heid muss­te zusam­men mit mehr als 500 ande­ren Jüdin­nen und Juden Zwangs­ar­beit für die Fir­ma Ehrich & Graetz in Trep­tow leis­ten. Doch Fran­zis­ka Bereit blieb in Kon­takt zur Fami­lie und unter­stütz­te die­se unter ande­rem mit Lebensmitteln.

Versteck in ihrer Wohnung

Blick in eine Straße
In der Malplaquetstraße

Die Situa­ti­on ver­schärf­te sich wei­ter, als Adel­heid Sil­ber­mann am 27. Febru­ar 1943 nur mit Glück einer Ver­haf­tung im Rah­men der soge­nann­ten „Fabrik-Akti­on“ ent­ging. Dabei wur­den u.a. ver­blie­be­ne jüdi­sche Zwangs­ar­bei­ter in den Betrie­ben, auf der Stra­ße oder in ihren Woh­nun­gen ver­haf­tet und in ver­schie­de­ne Sam­mel­la­ger geschafft. In höchs­ter Not nahm Adel­heid Sil­ber­mann nun das Ange­bot ihres ehe­ma­li­gen Kin­der­mäd­chens Fran­zis­ka Bereit an und fand Zuflucht in deren Woh­nung in der Mal­plaquet­stra­ße 38.

The­re­se Sil­ber­mann war bereits zuvor mit ihren Ehe­mann unter­ge­taucht, bei­de ver­bar­gen sich in einer Gar­ten­lau­be von Bekann­ten, die aller­dings bei einem Bom­ben­an­griff Ende Janu­ar 1944 in Brand geriet. Dar­auf­hin ver­steck­te Fran­zis­ka Bereit auch die­se bei­den in ihrer win­zi­gen Woh­nung, die nur zwei Räu­me umfass­te. Die Toi­let­te befand sich auf hal­ber Etage.

In einem ganz normalen Mietshaus

Foto: S. Köhler

Dabei wuss­ten nicht nur Fran­zis­kas Bereits Kin­der Ger­trud, Gre­te und Rudi, die regel­mä­ßig Lebens­mit­tel vor­bei­brach­ten, um das Geheim­nis ihrer inzwi­schen ver­wit­we­ten Mut­ter, son­dern auch ihr Enkel Gün­ter, der mit in der Woh­nung leb­te. Dar­über hin­aus waren den meis­ten Nach­barn Adel­heid und The­re­se schon seit lan­gem bekannt, wäh­rend der Bom­ben­an­grif­fe such­ten auch Fran­zis­ka Bereits gehei­me Mit­be­woh­ner regel­mä­ßig zum Schutz den Kel­ler auf.

Adel­heid Sil­ber­mann sowie ihre Schwes­ter The­re­se und deren Ehe­mann Her­mann über­leb­ten und wan­der­ten Ende der 1940er Jah­re in die USA aus. Für Carl und Rosa­lie Sil­ber­mann, eben­so wie für Adel­heids Ver­lob­ten, gab es hin­ge­gen kei­ne Ret­tung, sie wur­den depor­tiert und ermordet.

Erst posthum geehrt

Fran­zis­ka Bereit blieb eine stil­le Lebens­ret­te­rin. Sie starb 1958 in Ber­lin, kurz zuvor besuch­te Adel­heid Sil­ber­mann ihr ehe­ma­li­ges Kin­der­mäd­chen ein letz­tes Mal. Fran­zis­ka Bereit erleb­te ihre Aus­zeich­nung durch den West-Ber­li­ner Senat als „Unbe­sun­ge­ne Hel­din“ nicht mehr, die Urkun­de nahm stell­ver­tre­tend ihr Sohn Rudi Bereit in Emp­fang. Zuvor fand die muti­ge Tat der Wed­din­ge­rin 1957 Ein­gang in Kurt Gross­manns Buch „Die unbe­sun­ge­nen Helden“.

Schon ein­mal enga­gier­te sich eine Initia­ti­ve im Wed­ding für eine akti­ve Erin­ne­rungs­kul­tur. Das Inter­kul­tu­rel­le Zen­trum für Mäd­chen und Jun­ge Frau­en. MÄDEA brach­te im Rah­men eines Pro­jek­tes eine Gedenk­ta­fel am Haus in der Mal­plaquet­stra­ße 38 an, die aber um das Jahr 2005 im Rah­men der Fas­sa­den­er­neue­rung ent­fernt und nicht wie­der ange­bracht wurde.

Ein Stol­per­stein erin­nert an jüdi­sche Bewoh­ner eines Hauses

Eine Rei­he enga­gier­ter Wed­din­ger Bür­ge­rin­nen und Bür­ger, allen vor­an die Mit­ar­bei­ter der Kin­der- und Jugend­frei­zeit­ein­rich­tung Paläs­ti­na Jugend­club Micha­el Klein­ei­dam und Ste­fa­nie Köh­ler, wol­len errei­chen, dass durch das Anbrin­gen einer neu­en Gedenk­ta­fel an die muti­ge Tat Fran­zis­ka Bereits erin­nert und soge­nann­te Stol­per­stei­ne für Carl und Rosa­lie Sil­ber­mann in der Rei­ni­cken­dor­fer Stra­ße vor ihrem ehe­ma­li­gen Wohn­haus ver­legt wer­den. Bei ihrem Anlie­gen unter­stützt wer­den die­se von der RAG Leo­pold­platz, in der Akteu­re der Jugend- und Bil­dungs­ar­beit sowie der Poli­zei sich regel­mä­ßig austauschen.

Autorin: Ste­fa­nie Köh­ler, Projektleiterin/pädagogische Mit­ar­bei­te­rin bei Kara­me e.V.

Gastautor

Als offene Plattform veröffentlichen wir gerne auch Texte, die Gastautorinnen und -autoren für uns verfasst haben.

1 Comment

  1. Dan­ke für die Info.Ich hat­te noch nie von die­ser muti­gen Frau gehört
    Es wun­dert mich, dass es für die Fami­lie Sil­ber­mün­zen noch kei­ne Stol­petdtei­ne gibt

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