Bis zum 15. Juli zeigt die Galerie Wedding im Rathaus Wedding in der Müllerstraße die Ausstellung „I Am Large, I Contain Multitudes“. Sie fragt mit den Exponaten nach den Dingen, die dem Leben einen Sinn geben und wie eine erfolgreiche Selbstinszenierung gelingen kann. Frei übersetzt lautet der Titel der Ausstellung „Ich bin selbstbewusst und besitze viele Fähigkeiten“.
Galerie Wedding – das Jahresprogramm
Die Ausstellung findet im Rahmen des Jahresprogramms UP – Unsustainable Privileges (Unhaltbare Privilegien) statt. Auf der Galerieseite kann man lesen, dass der Bevölkerungsanteil der Migranten im Wedding 75 Prozent beträgt (Quelle). Ziel des Programms UP ist es, herauszufinden, wie sich Berlin und die Gesellschaft aufgrund des Einflusses der Migranten verändert hat und verändern wird.
Erst über die Hemmschwelle treten
Die Hemmschwelle durch die Tür der Galerie zu treten ist bei einer großen Anzahl von Weddingerinnen und Weddingern groß. Oftmals steckt die Angst dahinter, die dargebotene Kunst nicht zu verstehen und sich mit der eigenen Unwissenheit zu blamieren. Es ist richtig, dass die gezeigten Werke in der kommunalen Galerie Wedding sich dem Betrachter und der Betrachterin oft nicht intuitiv erschließen. Jedoch sind während der Öffnungszeiten kompetente Ansprechpartnerinnen zugegen, die gerne mit dem Besuch über die Intention der Ausstellung sowie die der Künstlerinnen und Künstler reden und diskutieren.
Nadia Pilchowski schreibt in ihrem Papier „Leben im Besonderen“, dass im multikulturellen Arbeiterbezirk das alte mit dem neuen, oft international orientierten Publikum, verschmolzen werden soll.
Die Ausstellung ist von Nadia Pilchowski kuratiert worden. Die wichtigste Aufgabe der Kuratorin ist die Begleitung der Künstlerinnen und Künstler während der Vorbereitung der Ausstellung. Sie schaut sich die Arbeiten an, sucht aus, was zusammengehören könnte, sie ist die erste Betrachterin der Arbeiten. Sie schreibt die Pressemitteilung und spricht mit der Presse. Sie sorgt für den reibungslosen Ablauf des Ausstellungsaufbaus, der Vernissage und plant auch die Veranstaltungen während der Ausstellungszeit. Genau sie ist es auch, die eine kontinuierliche Galeriebetreuung während der Ausstellung organisiert. Kuratorin und Galeriebetreuung freuen sich über viele Fragen von interessierten Weddingerinnen und Weddingern. Der Wortstamm von Kurator kommt übrigens vom lateinischen Wort curator, „Pfleger“, „Vertreter“ oder „Vormund“, sowie von curare, „Sorge tragen“, „sorgen um“. Das Wort ist hier also Programm. Nadia Pilchowski hat Arbeiten von acht Künstlerinnen und Künstlern ausgewählt, die sich mit dem Thema der Selbstinszenierung beschäftigen.
Künstlerinnen, Künstler
Die Auswahl der Kunstwerke ist gelungen, der Besucherin oder dem Besucher wird Kunst für alle Sinne geboten. Beim Betreten der Galerie fällt die 220 mal 350 Zentimeter große Leinwand “Laupipse” von Donna Huanca sofort ins Auge. Sie ist nicht nur von der Größe und den Farben beeindruckend, sondern kommuniziert auch perfekt mit ihrer plastischen Arbeit.
Eine Stimme, die scheinbar aus dem Nichts kommt, liegt über der gesamten Ausstellung. Spricht sie den Besucher an? Hanna Lippards Sound “The Ssecret od SsucceSs iSs in the Ss-eSs” handelt vom Erfolg, den sich jeder Mensch wünscht und sie spricht von der Mission, die ein Business am Küchentisch mit sich bringt. Mit Marco Bruzzone, dem in Berlin Kreuzberg lebenden Italiener, hatte Autorin Susanne Haun die Möglichkeit, ein Gespräch zu führen. Er beschäftigt sich mit nationaler und individueller Identität in seinem auch für den Alltag gebräuchlichen, ausgestellten Pflanzenständer mit dem Titel „Man on Plant-Stand in Aeroceramica-Style“. Die nach seinen Entwürfen in der Drechslerei Heider gestaltete Pflanzensäule beinhaltet fünf Porträts, die durch Drehung des Gesichtsprofils um 360 Grad entstanden sind. Es erfordert vom Betrachter ein genaues Hinschauen, um die Unterschiedlichkeit der gedrechselten Elemente zu erkennen. Was auf dem ersten Blick identisch erscheint, erweist sich als mehrere individuelle Gestalten, eingebettet in einen Nutzgegenstand.
Des Weiteren stellen Ed Fornieles, die Künstlerinnengruppe FORT, Grace Weaver, Lauryn Youden und Liping Ting ihre Werke in der Ausstellung vor. Die Künstlerinnen und Künstler sind in London, New York, Norwegen, Kanada, Taiwan, Bolivien und Italien, sowie in Deutschland geboren und spiegeln so die multikulturelle Mischung des Weddings wieder.
Begleitprogramm
- Performance Yuan Fang 遠方 von Liping Ting am Sonntag, den 24. Juni von 16 bis 17.30 Uhr
- Rundgang durch die Ausstellung mit Kuratorin Nadia Pilchowski am Donnerstag, den 28. Juni von 17 bis 18 Uhr
- Performance “You Say I For Me” von Lauryn Youden in Kooperation mit Florian T M Zeisig am Sonntag, den 8. Juli von 19 bis 20.30 Uhr
- Sonderöffnungszeiten während der Ausstellung: Sonntag, den 24. Juni, den 8. und 15. Juli
Galerie Wedding – Raum für zeitgenössische Kunst Müllerstraße 146⁄147 , Dienstag bis Samstag 12–19 Uhr geöffnet, barrierefrei zugänglich, Eintritt frei
Als Kunsthistorikerin beeindruckt Susanne Haun das Konzept, dem die Kuratoren Bonaventure Soh Bejeng Ndikung und Solvej Helweg Ovesen konsequent seit 2015 nachgehen. Als Weddingerin wünscht sie sich, dass die Verschmelzung vom alten und neuen Wedding, von der Nadia Pilchowski spricht, sichtbarer im Ausstellungskonzept zu erkennen wäre und das Galeriekonzept weniger verkopft und damit zugänglicher für den Weddinger an sich wäre.
Ich war auch noch niemals drin. Die haben wirklich etwas Unnahbares. Mal sehn, ob ich mich jetzt traue.
Ich bin gespannt, wie du deinen ersten Besuch dort empfinden wirst :-), Dominique!
Hallo Susanne, deine Wünsche an die Ausstellung teile ich. Ich habe auch Schwellenangst beim Betrachten der leeren Galerie. Aber vielleicht liegt das daran, dass der Wedding selbst so facettenreich ist, dass ein zusätzlicher Kunstraum mich einfach überfordert.
Das kann sein, Rolf 🙂 Der Wedding selber ist die Galerie.