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Frühling! Und die Weddinger können lächeln

17. April 2017
Sonne scheint durch Blätter hindurch, im Vordergrund ein Pusteblume. Foto: Sulamith Sallmann
Foto: Sula­mith Sallmann

End­lich fällt der Win­ter vom grau­en Ber­lin ab, und das ver­än­dert auch die Men­schen. Fin­det unse­re Gast­au­torin Annett Preu­sche, die sich über die Früh­lings­son­ne freut. Und über den Wedding.

Don­ners­tag 13.30 Uhr – ich mache Fei­er­abend. Nach elf Tagen am Stück, die ich durch­ge­ar­bei­tet habe, freue ich mich schon jetzt auf mein Wochen­en­de. Den Frei­tag habe ich mir frei erkämpft; eben­so den Mon­tag und den Diens­tag. Ich freue mich auf fünf freie Tage, an denen ich nicht 4.30 Uhr auf­ste­hen und 6 Uhr auf Arbeit sein muss. Fünf freie Tage, an denen ich zu drei Kon­zer­ten gehen wer­de und der Erho­lungs­ef­fekt gleich null sein wird. Aber hey: man lebt ja schließ­lich nur ein­mal und das hart ver­dien­te Geld will ja auch irgend­wie wie­der aus­ge­ge­ben werden.

Den gan­zen Tag reg­net es schon und ich den­ke erst ein­mal nur an eins: Schla­fen! Den feh­len­den Schlaf der letz­ten elf Tage nach­ho­len, um das ers­te Kon­zert am heu­ti­gen Abend zu über­ste­hen. So schnell wie der Fei­er­abend kam, so schnell kommt auch der Abend. Es reg­net noch immer. Kein beson­ders guter Start in mein vor­zei­ti­ges Wochen­en­de. Nach­dem ich beim Kon­zert und dem Rest der Abend­ge­stal­tung fast ein­schla­fe und mir ein­ge­ste­hen muss, dass ich lang­sam zu alt für sol­che Aktio­nen bin, gehe ich gegen 4 Uhr ins Bett mit dem Gedan­ken, dass mei­ne Kol­le­gen gleich auf­ste­hen wer­den. Zuge­ge­be­ner­ma­ßen rührt sich in mir ein wenig Schadenfreude.

Und dann kommt er: Der Frei­tag. Der Tag, der auch für alle ande­ren das heiß ersehn­te Wochen­en­de bedeu­ten wird. Und er könn­te nicht schö­ner sein – die Son­ne strahlt, es gibt so gut wie kei­ne Wol­ken und der blaue Him­mel weckt in mir direkt das Gefühl von Som­mer. Über­all ent­de­cke ich plötz­lich Bun­tes: Am Doh­na­ge­stell blüht es in blau, auf dem Mit­tel­strei­fen der Mül­lerstra­ße leuch­tet es mal gelb, mal vio­lett. Und sofort der Gedan­ke: Jetzt eine Run­de im Plöt­zen­see schwim­men, das wär’s!

Da ist er wie­der, so wie ich ihn lie­be: mein Wed­ding! All das, was ich im Arbeits­stress der letz­ten Wochen nicht genie­ßen konn­te und vor allem nicht zu schät­zen wuss­te, neh­me ich nun wahr: Die Blu­men, die end­lich den Früh­ling ein­läu­ten und mal nicht von Hun­de­kot bedeckt sind oder die sin­gen­den Vögel, die mich sonst mit ihrem lau­ten Gezwit­scher nerven.

Ich ver­spü­re nicht ein­mal den Drang, dem dicken Mann im BMW hin­ter mir den Mit­tel­fin­ger zu zei­gen, weil er mir fast hin­ten drauf­fährt. Und auch im Still­stand an der drit­ten, roten Ampel­pha­se an der See­stra­ße blei­be ich völ­lig gelas­sen, weil mir die Son­ne ins Gesicht scheint. Aus der Ubahn strö­men die Men­schen nach oben, wir­ken heu­te aber auch gleich viel ent­spann­ter und ren­nen sich nicht gegen­sei­tig über den Hau­fen, wäh­rend der eine zum Döner­kauf ins Saray eilt und der ande­re Rich­tung Tram flitzt. Es ist 13 Uhr und zu Hau­se gibt es für mich jetzt nur noch mei­nen Win­ter­gar­ten zur Süd-West-Sei­te, der kom­plett im Son­nen­meer schwimmt.

Hummel auf der Gardine.
Hum­mel auf der Gar­di­ne. Foto: Annett Preusche

Nach drei Stun­den Son­ne satt und dem obli­ga­to­ri­schem Flug­zeug­rau­schen aus Tegel ver­irrt sich eine Hum­mel in mei­ne Woh­nung. Lei­der sind die Blu­men hier jedoch nur Attrap­pe an der Wand und so fliegt sie auch schon wie­der wei­ter in Rich­tung Reh­ber­ge. Ich beob­ach­te die Leu­te in der Klein­gar­ten­ko­lo­nie unter mir, wie sie ihre Gär­ten her­rich­ten. Und auch da ent­de­cke ich plötz­lich wie­der das, was die letz­ten Mona­te ver­bor­gen blieb: Die Wed­din­ger kön­nen lächeln! Jeder scheint zufrie­den mit sich und der Welt. Zumin­dest für den heu­ti­gen Tag. Und min­des­tens noch für eine Stun­de, bis die Son­ne untergeht.

Text: Annett Preusche

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