Endlich fällt der Winter vom grauen Berlin ab, und das verändert auch die Menschen. Findet unsere Gastautorin Annett Preusche, die sich über die Frühlingssonne freut. Und über den Wedding.
Donnerstag 13.30 Uhr – ich mache Feierabend. Nach elf Tagen am Stück, die ich durchgearbeitet habe, freue ich mich schon jetzt auf mein Wochenende. Den Freitag habe ich mir frei erkämpft; ebenso den Montag und den Dienstag. Ich freue mich auf fünf freie Tage, an denen ich nicht 4.30 Uhr aufstehen und 6 Uhr auf Arbeit sein muss. Fünf freie Tage, an denen ich zu drei Konzerten gehen werde und der Erholungseffekt gleich null sein wird. Aber hey: man lebt ja schließlich nur einmal und das hart verdiente Geld will ja auch irgendwie wieder ausgegeben werden.
Den ganzen Tag regnet es schon und ich denke erst einmal nur an eins: Schlafen! Den fehlenden Schlaf der letzten elf Tage nachholen, um das erste Konzert am heutigen Abend zu überstehen. So schnell wie der Feierabend kam, so schnell kommt auch der Abend. Es regnet noch immer. Kein besonders guter Start in mein vorzeitiges Wochenende. Nachdem ich beim Konzert und dem Rest der Abendgestaltung fast einschlafe und mir eingestehen muss, dass ich langsam zu alt für solche Aktionen bin, gehe ich gegen 4 Uhr ins Bett mit dem Gedanken, dass meine Kollegen gleich aufstehen werden. Zugegebenermaßen rührt sich in mir ein wenig Schadenfreude.
Und dann kommt er: Der Freitag. Der Tag, der auch für alle anderen das heiß ersehnte Wochenende bedeuten wird. Und er könnte nicht schöner sein – die Sonne strahlt, es gibt so gut wie keine Wolken und der blaue Himmel weckt in mir direkt das Gefühl von Sommer. Überall entdecke ich plötzlich Buntes: Am Dohnagestell blüht es in blau, auf dem Mittelstreifen der Müllerstraße leuchtet es mal gelb, mal violett. Und sofort der Gedanke: Jetzt eine Runde im Plötzensee schwimmen, das wär’s!
Da ist er wieder, so wie ich ihn liebe: mein Wedding! All das, was ich im Arbeitsstress der letzten Wochen nicht genießen konnte und vor allem nicht zu schätzen wusste, nehme ich nun wahr: Die Blumen, die endlich den Frühling einläuten und mal nicht von Hundekot bedeckt sind oder die singenden Vögel, die mich sonst mit ihrem lauten Gezwitscher nerven.
Ich verspüre nicht einmal den Drang, dem dicken Mann im BMW hinter mir den Mittelfinger zu zeigen, weil er mir fast hinten drauffährt. Und auch im Stillstand an der dritten, roten Ampelphase an der Seestraße bleibe ich völlig gelassen, weil mir die Sonne ins Gesicht scheint. Aus der Ubahn strömen die Menschen nach oben, wirken heute aber auch gleich viel entspannter und rennen sich nicht gegenseitig über den Haufen, während der eine zum Dönerkauf ins Saray eilt und der andere Richtung Tram flitzt. Es ist 13 Uhr und zu Hause gibt es für mich jetzt nur noch meinen Wintergarten zur Süd-West-Seite, der komplett im Sonnenmeer schwimmt.
Nach drei Stunden Sonne satt und dem obligatorischem Flugzeugrauschen aus Tegel verirrt sich eine Hummel in meine Wohnung. Leider sind die Blumen hier jedoch nur Attrappe an der Wand und so fliegt sie auch schon wieder weiter in Richtung Rehberge. Ich beobachte die Leute in der Kleingartenkolonie unter mir, wie sie ihre Gärten herrichten. Und auch da entdecke ich plötzlich wieder das, was die letzten Monate verborgen blieb: Die Weddinger können lächeln! Jeder scheint zufrieden mit sich und der Welt. Zumindest für den heutigen Tag. Und mindestens noch für eine Stunde, bis die Sonne untergeht.
Text: Annett Preusche