Einzelne Politiker kamen angriffslustig zur ersten Sitzung der BVV am letzten Donnerstag (18. November). Sven Diedrich von den Linken griff Stephan von Dassel von den Grünen in der Bezirksverordnetenversammlung frontal und heftig an: “Ich mache mir Sorgen um Sie als Bezirksbürgermeister, wenn Sie das Verfahren so durchziehen!” Grund für die Attacke ist, dass der Bezirk nach einem neuen Betreiber für das Café Leo gesucht hat. Bei der Suche kam heraus, dass der bisherige Inhaber Hüseyin Ünlü nicht weitermachen soll. Das Bewerbungsverfahren gewonnen hat die Wendepunkt gGmbH mit einem neuen Konzept. Die Politik bedingt sich fraktionsübergreifend Zeit aus, um weiter zu diskutieren.
Erpressung auf offener Bühne: Sven Diedrich, einer von zwei Fraktionschefs der Linkenfraktion, sagt sinngemäß: Entweder das Interessenbekundungsverfahren wird neu aufgerollt oder Stephan von Dassel wird nicht länger Bürgermeister bleiben. Ein Vorgang, der in der letzten Wahlperiode zum schlechten Ton gehört hätte. In der aktuellen BVV widerspricht aus Fraktion der Grünen niemand dem erfahrenen Politiker von der Linken. Unter den 18 Grünen sitzen vor allem Politiker, die zum ersten Mal gewählt wurden. Sie melden sich nicht zu Wort, um ihrem Bürgermeister gegen diese heftige Attacke beizustehen.
Ursprünglich wollten die Linken mit einem Antrag erreichen, dass die Suche nach einem Betreiber (ein neuer oder der alte) wiederholt wird. Über diesen Vorschlag wurde zwar nicht abgestimmt, doch die Linken haben erreicht, dass die Diskussion weitergeht. Mit einer Mehrheit von 49 der 55 entschieden die Politiker in der BVV, dass sie sich in den Ausschüssen weiterhin mit dem Thema befassen. Auh die Fraktion der Grünen stimmte dafür, die Frage Café Leo in die Ausschüsse zu überstellen und damit die Debatte am Laufen zu halten.
Es ist offenkundig, dass der Aufschub für den Bezirksbürgermeister ungelegen kommt. Er hatte sich im Sommer für das Interessenbekundungsverfahren starkgemacht. Sein Argument: Eine Suche per Ausschreibung ist rechtskonform und als neutrales Handeln vom Bezirk gefordert. Bei einer öffentlichen Fläche “muss es allen Interessenten möglich sein, eine Bewerbung abzugeben”. Gemeint ist: Der Bezirk darf einen einzelnen Bewerber nicht bevorteilen. Außerdem habe der Vertrag mit Hüseyin Ünlü von Anfang an vorgesehen, dass die jährliche Verlängerung ohne Ausschreibung für maximal fünf Jahre möglich ist. Niemand ist überrascht worden, soll das heißen. Durch den Aufschub steht Stephan von Dassel nun vor der Situation, dass der abgeschlossene Wettbewerb einen Sieger hervorbrachte, während die Politik diesen (noch) nicht eindeutig anerkennt.
Sven Diedrich präsentiert sich als Anwalt des aktuellen Betreibers Hüseyin Ünlü. “Was haben Sie gegen ihn?”, fragt er den Bürgermeister. Er wirft Stephan von Dassel vor, er ruiniere die wirtschaftliche Existenz eines sozial engagierten Menschen. Das Plädoyer für die Person Hüseyin Ünlü fällt so deutlich aus, dass Benjamin Fritz von der CDU den Eindruck gewinnt, “es geht nicht um die Sachlichkeit” und es lägen “möglicherweise persönliche Gründe” vor. Zumindest ist es “kein guter Weg, ein Verfahren so lange zu wiederholen, bis die Seite gewonnen hat, die eine einzelne Fraktion befürwortet”. Stephan von Dassel verwahrt sich gegen die Unterstellung von Sven Diedrich, er habe persönlich etwas gegen Hüseyin Ünlü. Der Bürgermeister bringt sachliche Argumente für die Notwendigkeit der Ausschreibung.
Rückblick: Hüseyin Ünlü startete 2011 mit einem Imbisswagen auf dem Leopoldplatz. Im Jahr 2015 unterschrieben 15.000 Menschen eine Online-Petition zum Erhalt des Café Leo. Damals hatte Stadtrat Carsten Spallek von der CDU eine Ausschreibung angeschoben. Auch die Petition vor sechs Jahren vermengte den Wunsch nach grundsätzlichem Erhalt des Café Leo mit der Bekundung, dass “der Kiez hinter Hüseyin Ünlü und seinem Café Leo steht”. Trotz der Unterschriftensammlung kam es zu einem Interessenbekundungsverfahren, das Hüseyin Ünlü gewann. Damit ist ihm ein solches Verfahren bekannt. Bei der diesjährigen Betreibersuche gab es mehrere Bewerber, der Sieger gewann mit einem deutlichen Vorsprung an Jurypunkten. Die Jury bestand auch aus Mitgliedern des Bezirksamtes und aller BVV-Fraktionen. Das Café Leo steht auf öffentlichem Land. Für den Bezirk steht beim Café Leo nicht die Pachterzielung ganz oben, sondern die soziale Funktion des Cafés.
Mir ist nicht klar, was gegen ein Interessenbekundungs-Verfahren spricht? Auf dem Leo ist in jedem Fall ein Betreiber mit gutem sozialen Konzept nötig und darum sollten Interessenten dieses vorstellen können. Das Ergebnis des Verfahrens sollte umgesetzt werden und nicht zerredet werden.
Die Argumente der Linken sind: Hüseyin Ünlü hat mehrere zehntausend Euro investiert Beim Verfahren zur Suche eines neuen Betreibers wurden Fehler gemacht. Es hätte keiner Ausschreibung bedurft, die Möglichkeit zu einer Vergabe direkt an Hüseyin Ünlü habe bestanden. Hüseyin Ünlü hat sich seit nunmehr zehn Jahren für den Leo engagiert (ich ergänze: zum Beispiel im Runden Tisch).
Eine Direkt-Vergabe über einen so langen Zeitraum hat immer ein Geschmäckle. Eine offene Ausschreibung ist sicher der transparentere Weg und gibt auch neuen Konzepten eine Chance.