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Fröhliche Weihnachten!

25. Dezember 2018
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Nichts wird Men­schen von ande­ren Men­schen so häu­fig ge­wünscht wie ein fro­hes Weih­nachts­fest. Na ja, viel­leicht noch ein schö­ner Tag oder eine gute Nacht, aber man bekommt nur äußerst sel­ten Rund­mails von Leu­ten, mit denen­man kaum mehr zu tun hat, in denen die­se einem einen guten Tag wün­schen oder eine gute Nacht. Wäre auf die Dau­er auch ziem­lich anstren­gend, hät­te man jeden Tag cir­ca zehn neue Nach­rich­ten mit Wün­schen für einen guten Tag im Post­fach. Hap­py Mon­day! Viel Spaß am Diens­tag! Alles Gute zum Mitt­woch! Und so wei­ter. Das wür­de garan­tiert ner­ven. Man wäre froh, end­lich wie­der Mit­tei­lung vom freund­li­chen Bank­be­ra­ter aus Ugan­da zu erhal­ten – wenigs­tens mal was anderes.

 »Fro­he Weih­nach­ten« dage­gen geht immer und überall.Probiert es mal aus! Die Men­schen freu­en sich in der Regel dar­über. War­um auch nicht? Wer hät­te nicht ger­ne fro­he Weih­nach­ten statt die­ser übli­chen Schei­ße im elter­li­chen Wohn­zim­mer mit Fami­li­en­strei­tig­keit, miss­ra­te­nem Gän­se­bra­ten und den fal­schen Geschen­ken? »Oh, Par­don, Schatz, das da ist gar nicht für dich.Seit wann trägst du Reiz­wä­sche? Und die­ser Hauch von nichts wür­de dir ohne­hin nicht passen.«

Nee, dann doch lie­ber Bal­ler­spie­le und Kra­wat­ten. Oder nee, bes­ser noch nichts wei­ter als gute Wün­sche all­hier und über­all auf Erden. Fangt vor eurer eige­nen Woh­nungs­tür an. Klin­gelt ein­fach mal bei euren Nachbarn,auch gera­de und im Beson­de­ren beim Aggro­na­zi im Hin­ter­haus und wünscht ihm fro­he Weih­nach­ten. Er wird viel­leicht etwas ver­dat­tert reagie­ren, aber sicher sanft. Vor allem wenn es mor­gens um halb fünf ist. Aus Selbst­schutz könnt ihres auch an der Haus­klin­gel aus­tes­ten, so weit reicht sei­ne Faust garan­tiert nicht. Dies hat zudem den Vor­teil, dass ihr eurer gesam­ten Nach­bar­schaft auf ein­mal ein fro­hes Fest wün­schen könnt. Und gleich­zei­tig kommt es zur Inter­ak­ti­on der an ihren Gegen­sprech­an­la­gen Ste­hen­den. Ver­schla­fen wie sie sind, wer­den sie zunächst ver­wirrt sein. Doch wenn’s gut läuft, reden sie end­lich mal mit­ein­an­der, wün­schen sich viel­leicht sogar gegen­sei­tig fröh­li­che Weih­nach­ten. Ihr wer­det davon nie erfah­ren, weil ihr schon wei­ter­ge­zo­gen seid. Oder aus­ge­zo­gen und längst im Bett. War ja auch ’ne lan­ge Nacht.

Bloß nicht gleich schlapp­ma­chen! Spä­tes­tens am nächs­ten Mor­gen geht’s ab zum alt­ein­ge­ses­se­nen Schrip­pen­schie­ber. Hof­fent­lich steht dort die noto­risch schlecht gelaun­te Ver­käu­fe­rin bereit, die zu allem einen belei­di­gen­den Kom­men­tar hat, wes­halb ihr nie jemand einen schö­nen Tag wünscht. Und jetzt wird sie von der geball­ten Ver­bal­keu­le der Nächs­ten­lie­be mit­ten im Gesicht erwischt. »Fro­he Weih­nach­ten!« Na, die wird kie­ken! Zumal wenn ihr direkt vor­her nach diver­sem Fremd­ge­bäck ge­fragt habt, nach Wecken und Sem­meln und Böm­meln und Kip­feln. Doch bevor sie aus ihrem rot anlau­fen­den Gesicht kei­fen kann, det die Din­gers bei uns immer noch Schrip­pen hei­ßen, sagt ihr: »Ach, eh ich’s ver­ges­se: Fröh­li­che Weih­nach­ten, gute Frau!«

 Wei­ter geht’s die Ein­kaufs­stra­ße ent­lang. Jedem, der­doof guckt – und das tut in Ber­lin ja min­des­tens jeder Zwei­te –, wer­den ein paar Kling­glöck­chen ins Ohr gedrückt. Nie das Lächeln ver­ges­sen dabei. »Fröh­li­che Weih­nach­ten!« Rem­pelt euch wer an, werft ihm geschwind den freund­li­chen Wunsch nach. Und pfei­fen die Bau­ar­bei­ter mal wie­der vom Gerüst: »Fröh­li­che Weihnachten!«

Auf dann zum Döner­mann. Die armen Mus­li­me haben ja gar nicht so was Schö­nes wie wir. Dabei ist Got­tes Sohn doch irgend­wie auch für sie gestor­ben, als er am Dreh­spieß hing. »Ein­mal mit alles bit­te, und fröh­li­che Weih­nach­ten, die Herren!«

Auch die U‑Bahn eig­net sich her­vor­ra­gend für die­se fro­he Bot­schaft. Am bes­ten im Pen­del­ver­kehr. Ent­we­der pau­schal, es müs­sen nicht immer Obdach­lo­se oder Kon­trol­leu­re sein, die die Stim­me heben, sobald sich die Türen schlie­ßen. »Fröh­li­che Weih­nach­ten!« Oder indi­vi­du­ell. Sprecht die neben euch Sit­zen­den an. Oder fixiert einen schüch­ter­nen Jun­gen, ein schüch­ternes Mäd­chen, je nach­dem, so lan­ge, bis sie zag­haft zurück­lä­cheln. Setzt euch dann zu ihnen, um ihnen eure Wün­sche zart ins Ohr zu flüs­tern. Oder steckt ihnen einen Zet­tel zu mit den glei­chen Wor­ten. »Fröh­li­che Weih­nach­ten.« Die wer­den viel­leicht staunen! 

Ruft bei Hot­lines an, selbst wenn sie rich­tig teu­er sind. Lasst euch zig­mal durch­stel­len, und hofft, dass das Gespräch zu Zwe­cken der Qua­li­täts­op­ti­mie­rung auf­ge­zeich­net wird, nur um die zwei Wor­te zu sagen: »Fröh­li­che Weihnachten!«

Nehmt mal wie­der an Preis­aus­schrei­ben teil. Ihr kennt ja das ein­zi­ge mög­li­che Lösungs­wort. Ruft beim Radio­quiz an. Oder, falls eine Lern­kon­trol­le ansteht, am Ende gar eine wich­ti­ge Klau­sur: Die Ant­wort auf alle Fra­gen bleibt die glei­che: »Fröh­li­che Weih­nach­ten!« Oder im War­te­zim­mer der Agen­tur für Arbeit, im Mel­de­amt, beim Arzt für anste­cken­de Geschlechts­krank­hei­ten, in der Not­auf­nah­me. »Fröh­li­che Weih­nach­ten!« ImThea­ter! Ophe­lia ist gera­de ins Was­ser gegan­gen, und Faust hat sei­ne See­le für kör­per­ei­ge­nes Via­gra ver­scher­belt. Fröh­li­che Weih­nach­ten! Und wo wir bereits beim Teu­fel sind: Wo wäre man mit die­sem Wunsch bes­ser auf­ge­ho­ben als in der Kir­che? Springt am bes­ten inmit­ten des Für­bit­te­ge­bets auf, direkt vorm Vater­un­ser. Was gibt es Wich­ti­ge­res, um das zu bit­ten wäre, als fröh­li­che Weihnachten? 

Fort­ge­schrit­te­ne wagen dies viel­leicht auch beim Frei­tags­ge­bet in der Moschee, am bes­ten wäh­rend der Hetz­ti­ra­de eines gei­fern­den Gast­pre­di­gers aus Paki­stan. »Fröh­li­che Weih­nach­ten aller­seits!« Na, so ein Wunsch stimmt ja jeden sanft. Sie­he oben. 

Hält euch die Poli­zei an, sturz­be­trun­ken am Steu­er, also ihr, nicht die Poli­zis­ten: »Fröh­li­che Weih­nach­ten!« Bewirkt gewiss Wun­der. Kommt eure Frau nach Hau­se – oder euer Mann –, der­weil gera­de eine Zufalls­be­kannt­schaft euer Geschlechts­teil bespei­chelt – hal­le­lu­ja! –, sind kei­ne zwei Wör­ter ange­brach­ter als die hier mehr­fach arti­ku­lier­ten. Das ist aber auch eine Über­ra­schung! Meis­tens eine grö­ße­re als unterm Weihnachtsbaum.

Nur der Spon­tan­be­such eines Auf­trags­kil­lers mag grö­ße­re Emo­tionen aus­lö­sen. Drum sag »Fröh­li­che Weih­nach­ten!«, bevor du abdrückst. Was Bes­se­res kann einem zum Lebens­en­de kaum ge­wünscht werden.Danach kann ja nicht mehr groß was kommen.

Falls jetzt wer denkt: So ’n Blöd­sinn. Selbst Auf­trags­kil­ler ha­ben Weih­nach­ten frei. Das ist klar. Ist ja auch gewerk­schaft­lich fest­ge­schrie­ben: »Weih­nach­ten bleibt die Knar­re kalt, Jesu­lein scheißt auf Gewalt.« Ich sag ja gar nicht, dass ihr euch mit die­sem Wunsch auf die paar hei­li­gen Tage im Jahr beschrän­ken sollt. »Fröh­li­che Weih­nach­ten!« geht schließ­lich immer und über­all. Gera­de und eigent­lich am bes­ten, wenn kei­ner mit so einem from­men Wunsch rech­net. Zum Bei­spiel im Hoch­som­mer. Fünf­und­drei­ßig Grad im Schat­ten, zwan­zig im Glas. Da wer­den sich alle freu­en. Der Aggro­na­zi und eure ande­ren Nach­barn, die Bäckers­frau, die Döner­män­ner, die Remp­ler und Fres­se­zie­her, die Schüch­ter­nen und Ver­la­de­nen, die Pre­di­ger und die Kil­ler. Ja, und ihr wollt es doch auch. Ihr braucht es garan­tiert so drin­gend wie Lamet­ta. Fröh­li­che Weih­nach­ten allerseits!


Autor: Thi­lo Bock

Die­sen Text ent­neh­men wir mit freund­li­cher Geneh­mi­gung Thi­lo Bocks Kurz­ge­schich­ten­band Der Ber­li­ner ist dem Pfann­ku­chen sein Tod, der am 14. Janu­ar 2019 im Satyr Ver­lag erscheint.

Weihnachtsbaumkugeln vor dem Gesundbrunnen Center

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