Der Leiter des Standorts Bayer in der Müllerstraße Stefan Klatt hat sich entschuldigt. Sagt zumindest Stadtrat Ephraim Gothe. Aber wofür? Und bei wem? Und ist die Entschuldigung eine öffentliche? Oder hat er die Entschuldigung womöglich ganz anders gemeint? Aufklärung könnte am Mittwoch kommen. Klar ist Stand heute, dass der Chemiekonzern mit oder ohne gute Worte Wohnhäuser in der Tegeler Straße 2 bis 5 abreißen will. Was passiert da gerade?
“Der Standortleiter von Bayer hat sich bei mir am Telefon entschuldigt, dass Verwerfungen eingetreten sind”, hat Stadtrat Ephraim Gothe den Bezirksverordneten am letzten Donnerstag (20. Januar) berichtet. Er, Ephraim Gothe, habe dem Manager klargemacht, dass ein Abriss eines leerstehenden Seitenflügels in der Tegeler Straße zu “Verunsicherung bei den Mietern und in der politischen Landschaft führe”. Vor allem der Zeitablauf sei aus Sicht des Stadtrates ungünstig. Bayer wollte heute (Montag, 24. Januar) und damit zwei Tage vor einer Sitzung des Ausschusses für Stadtentwicklung (26. Januar) die Bagger losschicken. Diese Aktion mit dem Seitenflügel ist nun erst einmal verschoben. Aktivisten haben zu einer Demonstration für den heutigen Montag um 8 Uhr aufgerufen. Sie wollen, dass der Abriss eines einzelnen Seitenflügels und vor allem aller Miethäuser nicht nur für den Moment, sondern endgültig abgesagt wird.
Was genau hinter der Entschuldigung steht, das können die Bezirkspolitiker am Mittwoch nachfragen. Ist die Entschuldigung lediglich an Ephraim Gothe gerichtet – oder an die Mieter? Ist damit lediglich der taktisch unkluge Zeitplan (Abriss vor Sitzung) gemeint? Steht der Standortleiter öffentlich zu der Entschuldigung oder war sie Teil eines Hinterzimmergespräches? Steckt in der Entschuldigung für politische Verwerfungen die Aussage, dass es dem Standortleiter nicht Leid tut, Mietern ihre Wohnung zu nehmen? Der Weddingweiser konnte beim Standortleiter nicht nachfragen, die Presseabteilung des Chemiekonzerns ließ eine Anfrage dieses Blogs unbeantwortet.
Die Abrisspläne und die Politik
Am Mittwoch werden Stefan Klatt und weitere Bayer-Manager im öffentlichen Teil des Ausschusses für Stadtentwicklung erwartet. Sie sollen im Tagesordnungspunkt 9.2 ihre Pläne erläutern. Bislang heißt es, dass der Chemiekonzern Platz für Baucontainer braucht. Einen Teil der Industrieanlagen will der Chemieriese sanieren. Einige Politiker erwarten mehr. “Bayer muss jetzt für Klarheit sorgen. Es gab in der Vergangenheit viele Konzepte, jetzt muss auch mal etwas umgesetzt werden”, sagt zum Beispiel Sascha Schug von der SPD. Er spielt auf große Baupläne des Konzerns an, die vor wenigen Jahren vorgestellt wurden.
Die Linken bringen ihre Sicht so auf den Punkt: “Abrisspläne der Bayer AG von bezahlbaren Wohnungen?” Sie teilen in den sozialen Medien ein Bild eines Baggers vor einem Schuttberg. Sie drängen den Bezirk zum Erhalt der Miethäuser und fragten am letzten Donnerstag (20. Januar) in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV): “Wie wirkt das Bezirksamt auf Bayer ein, um den Wohnraum in der Fennstraße 33⁄34 und /Tegeler Straße 1 bis 7 im Bestand zu erhalten?” Abgerufen wird damit das Bild David gegen Goliath, kleiner Mieter gegen Milliardenkonzern – und das in Zeiten steigender Mieten.
Grüne und CDU haben sich in der BVV-Sitzung am vergangenen Donnerstag nicht an der Debatte beteiligt.
Längste Zwischennutzung im Wedding
Stadtrat Ephraim Gothe weist darauf hin, dass der Erhalt der Häuser rechtlich unmöglich ist. Seit 1958 existiert ein bezirklicher Plan, in dem Bayer (damals noch Schering) das gesamte Areal an der Fennstraße als Expansionfläche zusagt wird. In verschiedenen folgenden bezirklichen und landesweiten Entwicklungsplänen wurde diese Zusage wiederholt. “Die Politik hat sich immer schon größte Mühe gegeben, den Global Player zu fördern”, sagt Ephraim Gothe. Mit anderen Worten, die Miethäuser in der Tegeler Straße stehen seit 60 Jahren unter Vorbehalt – die längste Zwischennutzung, die der Wedding gesehen hat.
Hoffnung Sozialplan
“Wir müssen uns auf den Sozialplan konzentrieren”, sagt Sascha Schug von der SPD. Der wäre jedoch eine freiwillige Leistung des Weltkonzerns. Denn: “Der Baunutzungsplan wurde bereits 1960 übergeleitet. Da zu diesem Zeitpunkt noch keine entsprechenden Regelungen bestanden, kann Bayer nicht zur Durchführung eines Sozialplanverfahrens verpflichtet werden”. Das hat Ephraim Gothe bereits im November den Verordneten in der Großen Anfrage 3322/V erklärt. “Die Regelung über den Sozialplan ist erstmals durch das Städtebauförderungsgesetz von 1971 in das Städtebaurecht eingeführt worden.” Ein Sozialplan ist also ein zu einem späteren Zeitpunkt eingeführter Rechtsgedanke und Bayer kann sich auf die ihm gemachte ältere Zusage berufen.
Hintergrund
Bayer hat am 20. April 2020 beim Bezirksamt beantragt, vier Grundstücke in der Tegeler Straße abreißen zu dürfen. Das Amt hat den Abbruch mit Datum 4. November 2020 genehmigt. Die Bestätigung, dass mit dem Wechsel von Wohnen zu Gewerbe keine Zweckentfremdung vorliegt, hat Mitte am 3. November 2020 ausgestellt.
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