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SIKo gibt Tipps für den wachsenden Wedding

30. Oktober 2017
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Wo sich die wilden Kräne drehen - Foto Andrei Schnell
Wed­ding wächst. Auch Schu­len, Kitas und Turn­hal­len müs­sen geplant und gebaut wer­den. – Foto And­rei Schnell

Nach „Spa­ren bis es quietscht“ lau­tet das aktu­el­le Mot­to in Ber­lin: die „Stadt wächst“. Und das bedeu­tet, es wird inves­tiert. Doch bevor los­ge­baut oder wenigs­tens geplant wird, wird zunächst erst ein­mal “emp­foh­len”. Im SIKo, dem Sozia­len Infra­struk­tur­kon­zept des Bezirks, ist nach­zu­le­sen, wo neue Schu­len ent­ste­hen könn­ten. Wo Kin­der­gär­ten erwei­tert wer­den soll­ten. Auch wo Sport­plät­ze und Turn­hal­len feh­len oder wo neue Grün­flä­chen geschaf­fen wer­den müss­ten. Das alles lis­tet das SIKo auf bei­na­he 300 Sei­ten auf. Auf den ers­ten Blick liest sich das Wunsch­kon­zert toll. Doch auch auf den zwei­ten? – Ganz am Ende des Arti­kels folgt der Kom­men­tar.

Keine neuen eigenen Daten

Der BVV-Saal befindet sich im Rathaus in der Karl-Marx-Allee. Foto Andrei Schnell.
Plä­ne, die das Rat­haus bereits erstellt hat, trägt das SIKo neu zusam­men. Foto And­rei Schnell.

Lei­der ent­hält ent­hält das SIKo nicht viel neu­es Zah­len­ma­te­ri­al. Im Grun­de trägt es bloß bereits vor­han­de­ne Fach­plä­ne zusam­men. So zum Bei­spiel den Ent­wick­lungs­plan Kin­der­ta­ges­stät­ten, die Schul­ent­wick­lungs­pla­nung oder den Fach­plan Grün. Das sei„ämterübergreifend“ heißt es stolz in dem Papier. Man könn­te aber auch sagen: Hier wird dop­pelt gear­bei­tet. „Inner­halb des Bezirks sol­len mit dem SIKo Effek­ti­vi­tät, Syn­er­gien und Nach­hal­tig­keit bei der Flä­chen­si­che­rung und der Haus­halts­pla­nung gewähr­leis­tet wer­den“, ist zu lesen. Das klingt gut. Und es ist ja auch ein Ser­vice, alle Daten in einem PDF zu haben statt in meh­re­ren. Nach­teil ist aller­dings, dass auch beim blo­ßen Zusam­men­tra­gen Zeit ver­geht und somit die Zah­len nicht mehr so frisch sind.

Hät­ten die Autoren der Stu­die, das Archi­tek­tur­bü­ro Jahn, Mack und Part­ner, eige­ne Zah­len erstellt, dann hät­te ihre Stu­die in den Blick neh­men kön­nen, dass es nebem dem Bezirks­amt auch noch ande­re Han­deln­de gibt. Wie­viel neue Schul­plät­ze könn­te etwa eine freie Schu­le wie zum Bei­spiel die Qui­noa-Schu­le schaf­fen – (die gewiss nicht als pri­vat bezeich­net wer­den soll­te)? Oder in wel­chem Umfang mögen wohl die nicht-staat­li­chen Kita­trä­ger mit Neu­bau tätig wer­den? Und wie­viel mehr und wie­viel schnel­ler lie­ße sich etwas errei­chen, wenn der Bezirk sol­che Tätig­kei­ten förderte?

Der Bedarf

Alle Emp­feh­lun­gen des SIKo grün­den sich auf den so genann­ten Bedarf. Der Begriff ist eine Umschrei­bung für Man­gel. Zunächst lis­tet das SIKo auf, wie gut oder schlecht wel­cher Stadt­tei­len mit Schu­len, Kitas, Jugend­frei­zeit­ein­rich­tun­gen und Grün­flä­chen ver­sorgt ist. Was ein­fach zu erfas­sen scheint, damit tut sich das SIKo jedoch schwer. So steht im Kapi­tel Kitas auf Sei­te 35 allen Erns­tes, dass im Wed­ding von den 7.823 vor­han­de­nen Kita­plät­zen ledig­lich 7.094 belegt sind. Im wei­te­ren Ver­lauf wider­spricht das SIKo zwar der logi­schen Fol­ge­run­gen aus die­sen Zah­len, dass es genü­gend Kita­plät­ze gäbe. Doch war­um fin­det sich die­se gro­tes­ke Berech­nung über­haupt in dem Papier?

Die Prognose

Budelschippen
Jetzt ist das Offen­kun­di­ge auch amt­lich: Kita­plät­ze feh­len. Foto: Hensel

Ent­schei­dend am SIKo ist der Blick in die Zukunft. Das ist sein haupt­säch­li­cher Zweck. Anhand einer Pro­gno­se soll vor­her­ge­sagt wer­den, wie groß der Bedarf künf­tig ist. Denn so soll begrün­det wer­den, schon heu­te tätig zu wer­den. Immer­hin fär­ben sich dank der Vor­her­sa­ge die Kieze rot. Die rote Far­be drückt aus: es besteht ein drin­gen­der Bedarf bei Kitas, Grund­schu­len und Ober­schu­len. Ganz amtlich.

Grünflächen

Neu­bau, Neu­bau, Neu­bau emp­fiehlt das SIKo. Und die Grün­flä­chen? Sind sie die Opfer der Ver­dich­tung? Es fin­det sich bei nicht weni­gen Neu­bau­vor­schlä­gen die Bemer­kung: „Kon­flikt: als öffent­li­che Grün­flä­che fest­ge­setzt“. Zum Aus­gleich soll in ver­ges­se­ne Grün­flä­chen inves­tiert wer­den. Aus Bra­chen am Nord­ha­fen oder ent­lang der Pan­ke wer­den dann offi­zi­el­le Grün­flä­chen. Kein ech­ter Zuge­winn. Ein wirk­lich neu­es Grün ist immer­hin die vor­ge­schla­ge­ne Erwei­te­rung des Spren­gel­parks bis zum Pekin­ger Platz.

Sport

Die Sporthalle in der Putbusser Straße 12 ist das Zuhause des Volleyballvereins „Viva Wedding”. Foto: Hensel
Die­se Sport­hal­le geht, drei neue kom­men im Wed­ding. Hof­fent­lich. Foto: Hensel

Seit Jah­ren ist bekannt, dass es in den Orts­tei­len Wed­ding und Gesund­brun­nen­zu wenig Turn­hal­len und Sport­plät­ze gibt. Das SIKo bestä­tigt hier Bekann­tes. Doch bei den Emp­feh­lun­gen fin­den sich die Kreu­ze lei­der nicht in der Spal­te Neu­bau, son­dern in der Spal­te Sanie­rung vor­han­de­ner Anla­gen. Und in den weni­gen Fäl­len, wo an zusätz­li­che Hal­len gedacht wird, ist das Zeit­fens­ter „fer­ner­lie­fen“ („2030 ff“) angekreuzt.

Steckbriefe nennen Schwerpunkte

Möwensee-Grundschule. Foto: Anderi Schnell
Möwen­see-Grund­schu­le soll wach­sen und Kita hin­zu­kom­men. Foto: Weddingweiser

Teil des SIKo sind auch 22 Steck­brie­fe. Die­se stel­len in der lan­gen Lis­te der mög­li­chen Erwei­te­run­gen und Neu­bau­ten die „Schwer­punkt­flä­chen“ vor. Für den Wed­ding wer­den gleich 13 sol­cher Schwer­punk­te mit „Hand­lungs­emp­feh­lun­gen“ genau­er vors­ge­stellt. Wenn allein die­se Vor­ha­ben rea­li­siert wer­den wür­den, dann erlebt der Wed­ding beim Schul­neu­bau einen wah­ren Boom. Sogar die Betriebs­feu­er­wehr der Bay­er AG in der Sel­ler­stra­ße soll zur Schu­le wer­den. Was von die­sen 13 her­vor­ge­ho­be­nen Emp­feh­lun­gen umge­setzt wird, bleibt natür­lich abzu­war­ten. Bis 2030.

Kommentar: Das SIKo ist ein echtes Stück Sozialismus

Im Sozia­lis­mus herrsch­te Man­gel­wirt­schaft. Und das nicht etwa, weil es immer an allem man­gel­te, son­dern weil am Anfang aller staat­li­cher Über­le­gun­gen stand: An wel­chen schö­nen Din­ge man­gelt es dem Vol­ke denn so? Meis­tens lag der Staat mit sei­ner Ant­wort dane­ben. Heu­te exis­tiert Markt­wirt­schaft. Die geht so: Kaum zeigt sich, dass irgend­wo etwas fehlt, schon fin­det sich jemand, der ein Ange­bot macht. Und das trifft erstaun­lich oft – wenn auch nicht immer – ins Zen­trum der Wünsche.

Schild Wünsch
Wün­schen statt Nach­fra­ge stil­len. So funk­tio­niert Sozia­lis­mus. Foto: And­rei Schnell

Wer nun denkt, der Sozia­lis­mus ist vor­bei, der kennt die Arbeits­wei­se des Bezirks­am­tes nicht. Auch dort steht am Anfang aller Über­le­gun­gen: Wel­chen Wunsch könn­ten wir heu­te den Leu­ten bloß erfül­len? Im Grun­de nett gedacht. Das Pro­blem ist nur: Wenn die „Bedarfs­ana­ly­sen“ (zudem gefüllt mit alten Zah­len) end­lich vor­lie­gen und dann auch noch beschlos­sen wer­den und anschlie­ßend die Pla­nun­gen begin­nen und am Ende sogar Geld fließt, dann ist aus einem Pro­blem im Jahr 2010 die Fehl­in­ves­ti­ti­on im Jahr 2030 gewor­den. Zwi­schen­zeit­lich haben Gene­ra­tio­nen von Schü­lern in viel zu klei­nen Gebäu­den gelernt und waren Kita­plät­ze zu knapp.

Text: And­rei Schnell, Fotos: And­rei Schnell, Hen­sel, Weddingweiser

Andrei Schnell

Meine Feinde besitzen ein Stück der Wahrheit, das mir fehlt.

3 Comments

  1. Das beschrie­be­ne Prin­zip ist zwar rich­tig beschrie­ben, aber den Ver­gleich mit dem Sozia­lis­mus hät­te es nicht gebraucht. Zum einen ver­wech­selt der Autor hier die Staats­form Sozia­lis­mus mit der Wirt­schafts­ord­nung Plan­wirt­schaft. Zumin­dest theo­re­tisch Sozia­lis­mus näm­lich auch ohne Plan­wirt­schaft denk­bar… Zum ande­ren ist das Hohe­lied auf den Kapi­ta­lis­mus dop­pelt unan­ge­bracht: Zwar stimmt es, dass Bedürf­nis­se in der Markt­wirt­schaft bedient wer­den – aber eben nur, solan­ge es damit Geld zu ver­die­nen gibt. Doch in einer Gesell­schaft gibt es auch immer unkom­mer­zi­el­le Bedürf­nis­se, die dann ehren­amt­lich bedient wer­den müs­sen. Außer­dem schafft der Kapi­ta­lis­mus den Bedarf meist erst, um ihn dann zu befrie­di­gen. Von der Res­sour­cen-Fehl­al­lo­ka­ti­on und den Fehl­an­rei­zen, die der Kapi­ta­lis­mus mit sich bringt, mal ganz zu schwei­gen. Ich möch­te übri­gens in kei­ner Gesell­schaft leben, in der Grund­be­dürf­nis­se wie Bil­dung oder Frei­zeit­er­ho­lung nur von der frei­en Wirt­schaft bereit­ge­stellt werden…

    • Es müss­te eben eine Gesell­schaft sein, in der nicht bloß stets geplant wird. Es müss­te mög­lich sein, dass ein Amt aktiv wer­den darf. Es ist noch nicht so lan­ge her, da wur­den Schu­len geschlos­sen, weil angeb­lich zu wenig Schü­ler vor­han­den waren. Nur weni­ge Jah­re spä­ter müs­sen neue Schu­len gebaut wer­den, weil wie­der mehr Schü­ler da sind. Ist da nicht das ste­ti­ge Pla­nen eher das Pro­blem als die Lösung?

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