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Herzensmenschen vom Späti nebenan

29. Juli 2023
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Es war eine der bes­ten Ent­wick­lun­gen in der Nach­bar­schaft seit lan­ger Zeit als vor vier­ein­halb Jah­ren der Mul­ti­shop Eisen­kral­le eröff­ne­te. Eine tür­ki­sche Fami­lie aus dem Kiez erfüll­te sich damit einen Traum, den Traum vom eige­nen Laden, von der Selb­stän­dig­keit. Schnell wur­de der ehe­ma­li­ge Rum­pel­la­den mit den ver­git­ter­ten Fens­tern zu einem belieb­ten Kiez­treff­punkt, einem Ort, an dem sich der hal­be Kiez wohl fühl­te. Am Mon­tag ist Schluss, Zül­al und Ser­dar geben den Späti an der Ecke Swi­ne­mün­der und Lortzing­stra­ße wei­ter in ande­re Hände.

Serdar und Zülal Kücükömeroglu vor der Eisenkralle. Foto: Hensel
Ser­dar und Zül­al Kücü­kö­me­ro­g­lu vor der Eisen­kral­le. Foto: Hensel

Die Eisen­kral­le ist auf den ers­ten Blick ein ganz nor­ma­ler Späti. Jeden Tag da, end­lo­se Öff­nungs­zei­ten, Paket­an­nah­me und ‑abga­be, Lot­to, Geträn­ke, aus­ge­wähl­te Lebens­mit­tel, dazu Kaf­fee, Tee, nor­ma­le Zei­tun­gen, das Kiez­ma­ga­zin, die Wed­din­ger All­ge­mei­ne Zei­tung und Back­wa­ren. Bei den Back­wa­ren fan­gen die Unter­schie­de zu den meis­ten Spät­is aber schon an. Ser­dar Kücü­kö­me­ro­g­lu, den sei­ne Frau Zül­al lie­be­voll Mr. Eisen­kral­le nennt, war die Qua­li­tät der Back­wa­ren beson­ders wich­tig. „ Ser­dar war jeden mor­gen um 4 Uhr da, um zu backen. Sie­ben Tage die Woche“, sagt Zül­al und betont, dass der Tag in der Eisen­kral­le auch erst um 22 Uhr endet. Kek­se, Kuchen, Bröt­chen waren von bes­ter Qua­li­tät und gin­gen ent­spre­chend auch rasend schnell über den Tre­sen. „Er hat mit ganz viel Lie­be geba­cken. Jeden ver­damm­ten Tag. Die Back­wa­ren von Ser­dar, die wer­de ich ver­mis­sen“, sagt Zülal.

Vom Späti zum Kieztreffpunkt

Dass aus einem ganz nor­ma­len Späti ein Kiez­treff­punkt wer­den konn­te, viel­leicht DER Kiez­treff­punkt im Brun­nen­vier­tel, das liegt an den bei­den Betrei­bern. Hier sind und füh­len sich alle will­kom­men: tür­ki­sche Nach­barn, deut­sche Nach­barn, alte Men­schen, Kin­der mit ein paar Cent für ein Eis, jun­ge Men­schen, die nur schnell ein Paket abho­len oder eine Hafer­milch kau­fen wol­len. Dass das so kam, das liegt an Ser­dar, aber vor allem auch an Zül­al, die sehr oft selbst hin­ter dem Tre­sen steht. Immer hat sie sich Zeit für ein Gespräch genom­men, sie duzt alle Kun­den, hängt meist ein „mein Schatz“ an ihre Sät­ze. Das klingt so: Was kann ich für dich tun, Schatz? Wie geht es dir, mein Schatz? Schatz, ich bin gleich für dich da. Es klingt nicht wie eine Flos­kel. Die Tische und Stüh­le vor der Eisen­kral­le sind eigent­lich nie­mals leer. Wer zur Eisen­kral­le kommt, ist schnell ein Stamm­gast, ist schnell ein Freund des Hau­ses. Die Betrei­ber wür­den vie­le wohl als Her­zens­men­schen beschreiben.

Wenn Ser­dar nicht in der Back­stu­be steht, dann gärt­nert er auch gern in dem gro­ßen Stra­ßen­beet vor dem Mul­ti­shop. Sein Beet mit dem Vogel­häus­chen und den meis­ten zahl­lo­sen Son­nen­blu­men zieht im Som­mer die Bli­cke auf sich. Auch er ist immer für einen Plausch zu haben. Zur Not macht er auch mal eine kur­ze Ansa­ge, wenn über­mü­ti­ge Kids zu laut wer­den oder ihren Müll nicht mit­ge­neh­men. Aber meis­tens ist er ein eben­so per­fek­ter Gast­ge­ber wie sei­ne Frau.

Abschied für Gesundheit und die Familie

Finan­zi­el­le Grün­de sind nicht der Grund dafür, dass die bei­den Spä­t­i­be­sit­zer ihren Laden jetzt auf­ge­ben. „Wir hören vor allem aus gesund­heit­li­chen Grün­den auf“, sagt Zül­al. Die vier­ein­halb Jah­re, in der Pan­de­mie war es nicht leich­ter gewe­sen, haben der Gesund­heit von Ser­dar und Zül­al ziem­lich zuge­setzt. Per­so­nal für eine Ent­las­tung war immer schwe­rer zu fin­den und so stan­den sie stets selbst im Laden. Das war auch auf einem ande­ren Gebiet ein Pro­blem für das Paar, das drei Kin­der hat. Vier­ein­halb Jah­re habe sie ver­passt, sagt Zül­al. Ihr jüngs­tes Kind war andert­halb, als die Eisen­kral­le öff­ne­te, jetzt kommt es in die Schu­le. Und so sind die bei­den trau­rig, ihren Traum auf­ge­ben zu müs­sen, aber auch froh. „Ich wer­de nun wenigs­tens beim Schul­an­fang dabei sein kön­nen. Ich freue mich vor allem auf mehr Zeit mit mei­ner Fami­lie“, sagt Ser­dar. Bei­de beto­nen, dass es die Zeit mit der Eisen­kral­le ohne ihre „tol­len, star­ken Kin­der“ nicht mög­lich gewe­sen wäre, und auch nicht ohne die Hil­fe von Zül­als Mutter.

Serdars Sonnenblumen-Beet vor dem Multishop. Foto: Hensel
Ser­dars Son­nen­blu­men-Beet vor dem Mul­ti­shop. Foto: Hensel

„Wir sind extrem stolz, wir haben das mit unse­ren eige­nen Hän­den auf­ge­baut. Das schafft nicht jeder. Und wir schmei­ßen es nicht ein­fach hin, wir geben es wei­ter“, sagt Zül­al. Was sie am 1. August machen, wenn die Eisen­kral­le für sie Geschich­te ist? Zül­als Ant­wort kommt prompt: Aus­schla­fen! Gesund wer­den wol­le sie außer­dem, viel Zeit mit den Kin­dern ver­brin­gen „und sehen, was das Leben so bringt“. Frei­be­ruf­lich­keit kom­me für sie aber nicht mehr infra­ge. Sie suche einen Job, bei dem sie auch mal einen frei­en Tag habe. Auch sie ist jetzt erleich­tert, aber auch trau­rig. „Es war vor allem eine anstren­gen­de Zeit. Aber wir haben auch vie­le gute Men­schen ken­nen­ge­lernt“, fasst Zül­al die gemi­sche­ten Gefüh­le zusam­men. Ser­dar sagt über ihren Abschied: „ Es ist scha­de für den Kiez, gut für uns“. Er hofft, dass die Nach­fol­ger – eben­falls eine tür­ki­sche Fami­lie – die Eisen­kral­le genau­so führt wie sie.

Am Mon­tag ist Zül­als und Ser­dars letz­ter Tag in der Eisen­kral­le. Wer sich ver­ab­schie­den möch­te, der kann das an dem Tag tun. Schon am Diens­tag (1.8.) über­neh­men die neu­en Betreiber.

Mul­ti­shop Eisen­kral­le, Ecke Lortzingstraße/Swinemünder Stra­ße, Mon­tag bis Sonn­tag 7 bis 22 Uhr geöffnet

3 Comments

  1. Die­se Men­schen sind so wun­der­voll, herz­lich und flei­ßig. Schön, dass es euch gibt und ihr Men­schen zusam­men­ge­schweißt habt 🥰🥰🥰

  2. Dan­ke an die wun­der­vol­le Famil­lie Hen­sel und Wed­din­ger Weiser !
    Schön das es euch gibts!
    Lie­be Grüße
    Eure Eisenkralle
    Zül­al und Serdar

    • Dan­ke an euch! Ihr habt was Tol­les geschaf­fen. Viel Erfolg und Lie­be für den nächs­ten Lebens­ab­schnitt lie­be Zül­al und Serdar

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