Hier könnt ihr Teil 1 der Serie nachlesen
Tag 4 – Mittwoch, 02.03.2022
Es ist Tag 7 seit der Invasion. Gegen 10 Uhr mache ich mich von meinem Hotel bei Krasnystaw auf den Weg in Richtung Dorohusk, wo ein Grenzübergang in die Ukraine liegt. Der wolkenverhangene Himmel lässt wenig Hoffnung auf wärmende Sonne zu. Nur in der Ferne scheint sich das Grau etwas zu erhellen. Irgendwo östlich, da wo das Nachbarland liegen muss. Ich fahre durch Dörfer und über lange, gerade Landstraßen vorbei an Feldern, auf denen um diese Jahreszeit alles brach liegt.
Links: Blick in Richtung Ukraine. Rechts: Landstraße bei Chełm.
Dorohusk ist wirklich ein sehr kleines Dorf, muss ich feststellen, als ich dort ankomme. Selbst eine Bäckerei lässt sich nicht finden. Kurz hinter dem menschenleeren Bahnhof hängen blau-gelbe Flaggen an einer Einfahrt. Ich halte an und und gehe auf den Hof. Ich treffe auf eine Gruppe Freiwillige, die Hilfsgüter packt. Wir verständigen uns mit den Händen, bis ein weiterer junger Mann vor die Tür kommt und mich auf gebrochenem Englisch hineinbittet. Man bietet mir Kaffee und Kekse an. Jemand anderes sieht mich mit der Tasse in der Hand, winkt grinsend ab und kommt mit einer Schüssel Suppe wieder. Ich müsse doch was Richtiges essen, kommuniziert man mir.
Bild 1: Alexandra, 32.
Bild 2: Auf dem Laptop laufen durchgehend ukrainische Nachrichten.
Bild 3: Zhenia, 22.
Bild 4: Schutzwesten.
Die Stimmung ist angespannt, konzentriert. Immer wieder suchen sie in verschiedenen Ecken im Raum nach Sachen, sortieren diese, füllen Kartons. Im Hof werden diese in Transporter verladen, Öl und Benzin nachgefüllt.
Ich unterhalte mich mit Zhenia, 22, und Alexandra, 32. Sie kommen beide aus dem Westen der Ukraine und haben sich, so wie alle anderen in ihrem improvisierten Team von 7–10 Leuten, erst vor fünf Tagen kennengelernt. Die Gruppe sammelt Spenden von ukrainischen Menschen aus Europa, Kanada, den USA und fährt Hilfsgüter (Essen, Medizin, Babyartikel, Kleidung, militärische Schutzwesten) dann mit Transportern über die Grenze. Von dort werden sie weiter transportiert nach Kyiv, Kharkiv, Donetsk, Luhansk.
Es fällt Zhenia schwer zu beschreiben, wie er sich fühlt. Er sagt in diesem Moment weint sein Herz, es ist sehr schwer, weil seine Freunde im Krieg sind und seine Familie sich in einer schrecklichen Situation befindet. Alexandra erklärt, dass sie eine derjenigen ist, die die Transporter über die Grenze fährt, was für sie relativ problemlos möglich ist. Wann sie sich wieder ihrem Geschäft und Zhenia sich seinem Job als Programmierer widmen kann, wissen sie nicht.
Natasha, 45.
Ein paar Häuser weiter treffe ich im Souterrain eines Gebäudes auf zwei geflüchtete Frauen und fünf Kinder. Meine Kameralinse beschlägt sofort aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit. Aber der Raum ist warm. Das ist die Hauptsache. Eine von ihnen ist Natasha, 45, die aus Kovel knapp hinter der Grenze kommt. Sie sagt, die Erwachsenen versuchen positiv zu bleiben, damit die Kinder nicht so viel von dem Ganzen mitbekommen. Sie hoffe inständig, dass bald alles vorbei sei. Alles was sie sich wünschen, ist wieder nach Hause gehen zu können.
Sagert (links) und andere Helfer*innen kurz vor der Abfahrt in Richtung Deutschland.
Ich packe meine Sachen und fahre in Richtung Grenze. An einem Checkpoint der Polizei stehen einige Transporter mit Menschen, die sich bald auf den Weg machen zu Zielen in Polen und Deutschland. Ich treffe auf einen Mann aus Bad Oeynhausen, Sagert. Auch er ist gekommen, um Flüchtlingen bei der Reise zu helfen. Ich spreche kurz mit den beiden Polizisten, als mir ein Mann von einem anderen Transporter noch schnell ein Sandwich überreicht. Einfach so.
Bild 1: Ein Grenzbeamter weist den Weg Richtung Ukraine.
Bild 2: Kisten voller Würste in einem LKW.
Bild 3: Mittagessen.
Bild 4: Familie, die von ihrer Verwandten Anna aus Marburg abgeholt wird.
Alle, die zur Grenze müssen, brauchen einen guten Grund: Entweder wollen sie Hilfsgüter liefern, Menschen abholen oder sie haben einen Presseausweis. Mit letzterem komme ich durch den Checkpoint und fahre etwa einen Kilometer bis zur polnischen Seite des Grenzübergangs.
Es sind neben Frauen und Kindern, die hier ankommen, vor allem Ältere, sowie junge Erwachsene, die keinen ukrainischen Pass besitzen. Polnische Hilfsorganisationen, die Armee, Privatpersonen, Gewerbetreibende sind gekommen und versorgen die Menschen mit Essen und Hilfsgütern aller Art. Es befinden sich die meiste Zeit über schätzungsweise immer um die 200–300 Personen vor Ort.
Oben links: Frauen und Kinder sitzen in einem Bus und warten auf die Abfahrt.
Oben rechts: Kurz vor der Abfahrt.
Unten links: Lukas bringt Wasser zum Bus.
Unten rechts Justyna, die 3,5 Stunden entfernt im Zentrum Polens wohnt. Sie kaufte mit ihren Kolleginnen, mit denen sie den Foodtruck betreibt, 600 Portionen Essen. Dann stellte sie einen Aufruf auf ihre Webseite. In kürzester Zeit kam so viel Unterstützung, dass sie nun mit 2000 Portionen gekommen sind und planen 48 Stunden zu bleiben.
Immer wieder halten Busse und Transporter an, die Flüchtlinge mitnehmen – entweder direkt zu Privatpersonen in Polen oder Nachbarländern oder zunächst in Erst-Aufnahmeeinrichtungen nicht weit von hier. Meist sind die Busse komplett voll, manchmal steigen Leute aus, andere ein.
Die Stimmung ist allgemein gefasst, teilweise offen emotional. Es liegen sich Menschen in den Armen. Tränen. Wiedersehen. Aber alles scheint sehr geordnet vonstatten zu gehen. Einige Medienteams sind da ganz nah dran. Ich halte mich etwas im Hintergrund und spreche mit Menschen, bei denen ich das Gefühl habe, dass sie emotional dazu gerade in der Lage sind. Die offensichtlichen, „klassischen“ Geschichten überlasse ich anderen.
Oben links: Kurz vor der Abfahrt.
Oben rechts: Kurz nach der Ankunft eines Busses.
Unten Bild 1: Ich treffe den 23-jährigen Hussein, der aus dem Libanon stammt, aber seit fünf Jahren in Kyiv lebt. Ein Jahr fehlt noch zum Abschluss seines Medizin-Studiums. Mit einem Cargo-Transporter ohne Fenster waren sie tagelang unterwegs. Seine Erfahrung an der Grenze war positiv und unkompliziert – wider sein Erwarten als Nicht-Ukrainer und worauf auch leider Medienberichte der letzten Tage hindeuten.
Unten Bild 2: Lukas ist mit der Armee vor Ort.
Unten Bild 3: Ben kommt aus Roßdorf in der Nähe von Genthin in Brandenburg. Ein guter, ukrainischer Freund von ihm, der ebenfalls dort lebt und schon am ersten Tag zur Grenze fuhr, hat ihn „angesteckt“ ebenfalls zu helfen. Auf Bitte dieses Freundes war Ben am Dienstag nach Stettin unterwegs, um dort Leute am Bahnhof abzuholen und nach Berlin zu fahren. Noch während der Fahrt hörte er von einem Freund aus Kowel, der ihn angesichts der sich verschlechternden Lage darum bat, seine Frau und 4‑jährigen Sohn von der ukrainischen Grenze abzuholen. Von Berlin fuhr er direkt hierhin. Nach und nach meldeten sich weitere Personen, sodass sie jetzt zu siebt im Familien-Auto zunächst nach Warschau fahren, dann nach Tschechien in der Nähe von Dresden, dann nach Darmstadt.
Unten Bild 4: Oleksandr hat gerade einen Freund verabschiedet, der sich in einen Bus Richtung Ukraine gesetzt hat, um dort zu kämpfen.
Einsteigen.
Familienwiedersehen an der Grenze.
Fortsetzung folgt!
Bildredaktion: Liane Geßner
Unter dieser Seite haben wir ein paar Informationen zusammengestellt, wie man von Berlin und Wedding aus helfen kann. Die Seite wird nach und nach befüllt.