Wenn man den Glauben kennt, weiß man, wie verfestigt die Überzeugungen sein können und wie unüberwindbar oft die Dispute und die Hingabe an den nur eigenen Glauben. In den vergangenen Jahrzehnten schrieben die Menschen Geschichte damit. Eine Ausstellung in der Kapernaumkirche überwindet Grenzen.
Der Lebensweg von Jesus ist auch im Koran beschrieben, und nicht nur nebensächlich, sondern an vielen Textstellen.
Der Maler Aziz el Khiar, geb. 1970 in Agadir (Marokko) und seit dem Jahr 1996 im Ruhrgebiet lebend, hat sich zur Aufgabe gemacht, die Darstellung von Jesus in den Suren des Koran zu verbildlichen und diese Gemälde in einer Wanderausstellung durch kirchliche Orte in Deutschland auszustellen. Im Dezember 2019 waren seine Bilder bereits im Xantener Dom zu sehen. Er malt seit seiner Kindheit, die Motivation zum Darstellen dieser religiösen Bilder kam, als er in der Gemeinde oft nach dem Koran befragt wurde.
Diese Gemälde sind nun bis Ende November 2022 in der Weddinger Kapernaumkirche zu beschauen und dort neben Erklärungen zu den Bibel- und Koranstellen und Inhalten dargeboten.
Ein Angebot zum Dialog und besserer Kenntnis der heiligen Schriften.
Ich treffe Herrn Aziz el Khiar zur Eröffnung seiner Wanderausstellung am Freitag, den 22. Oktober 2022 abends in der Kapernaumkirche, wo er seine Gemälde selbst rundum im Kirchenschiff angebracht und mit erklärenden Tafeln versehen hat. Weitere Gäste sind gekommen, um auch der Musikvorführung von Özlem Yilmaz beizuwohnen, die Ansprache von Pfarrer Tschernig zu hören und anschließend an einem gemeinsamen Umtrunk teilzunehmen.
Herr el Khiar stellt einen Großteil der Lebensstationen von Jesus dar, wie sie im Koran beschrieben sind. Dabei kommt man – wenn man es noch nicht weiß – ins Staunen, denn Jesus, oder Isa (ibn Maryam), wie er im Koran benannt wird, hat eine herausragende Stellung in dieser Schrift. Er wird an die dreißig Mal im Koran erwähnt, der Prophet Mohammed, immerhin Religionsstifter des Islam, dagegen namentlich nur viermal. Die gesamte Lebensgeschichte, von der Geburt bis zur Himmelfahrt, wird in 15 Suren des Koran erzählt.
Grundsätzlich unterscheidet beide Religionen das Bewusstsein über das Bekenntnis zur Göttlichkeit von Jesus. Denn seit dem 4. Jh., als die beiden Konzile von Nicäa und Konstantinopel stattfanden, stehen alle christlichen Konfessionen dazu, während der Islam die Einzigartigkeit Gottes und Jesus als Menschen hervorhebt.
Nichtsdestotrotz hat Jesus eine prominente Stellung im Koran, denn er wird als Mensch und Prophet verehrt und zwar nicht als gewöhnlicher Prophet („Nabi“), sondern neben Moses und Mohammed als Rasul, als Gesandter.
In den ausgestellten Gemälden werden die einschlägigen Suren veranschaulicht und eine neue Perspektive auf seinen Lebensweg und Lebensumfeld eröffnet.
Die Bilder von Künstler el Khiar beschreiben in moderner Malweise die Szenen des Lebensweges von Isa, wie er im Koran genannt wird, wie die Geburt Isa unter der Dattelpalme, die lebensspendend mit ihren Früchten nebst frischem Wasser für ihn da ist. Der Koran beschreibt die Wehen Marias, aber nicht wie in der Bibel eine Krippe wie in einem Stall von Bethlehem und erzählt zudem erstaunlich, dass Jesus sofort sprechen konnte (Sure 3: „Das Wort ist Fleisch geworden“). (Siehe dazu das Titelbild dieses Artikels)
Oder das Bild „Das letzte Mahl“, wie der Koran es schildert. Ich konnte keinen Judas mit Silberschillingen auf dem Bild erkennen. Ebenso ist die Kreuzigung im Gemälde dargestellt. Aber dann in der Abfolge der Gemälde kommt ein wesentlicher Unterschied der Darlegungen in den Schriften von Christen und Muslimen zum Ausdruck: Jesus wird nach dem Koran nicht selbst gekreuzigt, sondern ein Stellvertreter an seiner Stelle. Dazu gibt es ein nachtdunkles Bild, das die Verwechslung bildnerisch darbietet. War dies Judas Iskariot?
Zwei Theorien im Islam interpretieren die Kreuzigung. Die eine besagt, Jesus sei nur zum Schein gekreuzigt worden (Doketismustheorie) und die andere sagt, er sei vor der Kreuzigung ersetzt worden durch einen anderen (Substitutionstheorie).
Pfarrer Tschernig erläutert in seiner Ansprache diese Verschiedenheit der heiligen Bücher und fügt hinzu, dass Jesus besonders in der Mysthik des Sufismus hohe Verehrung als vollkommener Mensch erfährt, der ein Prophet der Liebe und der Barmherzigkeit sei.
Man ist tief erstaunt, hört man über diese Gemeinsamkeiten und Unterschiede, und mit diesen Gemälden bekommt man anschaulich ein Gefühl und ein erweitertes Wissen, das Gespräche und Frieden über die Einsicht in die Entstehung und Auffassungen ermöglichen kann.
So bieten diese unverkäuflichen Bilder, die der Maler Aziz el Khiar weiterhin durch die Kirchen wandernd ausstellen wird, eine Brücke im Dialog zwischen den Religionen.
Und schauen Sie selbst, bitte!
Kontaktdaten und weitere Links
Ev. Kapernaum-Gemeinde, Seestraße 35 in 13353 Berlin, T 030 453 83 35
(U6 U‑Bhf Seestraße, Tram 13, Tram 50, Bus 106, Bus 120)
Kapernaum-Kirche
Der Arte.tv 7‑Teiler ( je etwa 55 Minuten): Jesus und der Islam Teil 1
https://de.wikipedia.org/wiki/%CA%BF%C4%Aas%C4%81_ibn_Maryam
https://www.deutschlandfunk.de/jesus-im-koran-maryams-sohn-100.html