Die Elektromobilität boomt. Im Bezirk Mitte bekommt man davon aber nicht allzu viel mit, denn es gibt hier kaum private Carports. Man tut sich schwer mit dem Umstieg, wenn man nur auf die öffentliche Ladeinfrastruktur angewiesen ist. Wie kriegt man die E‑Mobilität in die Innenstadt?
Dank enormer öffentlicher Zuschüsse hat sich im vergangenen Jahr die Gesamtzahl der PKW mit E‑Antrieb in Deutschland mehr als verdoppelt. In nur einem Jahr wurden mehr E‑Mobile verkauft als in all den Jahren zuvor zusammen. In Berlin ist inzwischen etwa jeder siebte neu zugelassene Personenkraftwagen rein elektrisch unterwegs und zusätzlich etwas mehr als jeder siebte als Plug-in-Hybrid. Der Boom dauert an – ohne die Lieferschwierigkeiten der Industrie könnte er sogar noch deutlich stärker ausfallen. Das müsste er auch, denn im Jahr 2035, also in etwas mehr als einem Jahrzehnt, sollen nach dem Willen der EU die normalen Verbrenner nahezu vollkommen vom Markt verschwinden. Dann darf sich die Wende zur E‑Mobilität aber nicht nur auf die Gebiete mit Einfamilien- und Reihenhäusern beschränken.
In der Innenstadt ist die Bereitschaft, auf E- Mobilität umzusteigen, wesentlich geringer. Und das liegt nicht nur an zu wenigen Ladestationen: Selbst die wenigen, die es gibt, sind hier nämlich nicht ausgelastet. Das lässt sich im Netz einfach nachprüfen: Auf Seiten wie www.chargefinder.com zum Beispiel, auf der angezeigt wird, wo öffentliche Ladesäulen gerade verfügbar sind. Oder durch Augenschein, wenn man unterwegs ist: An den Ladestationen ist fast immer etwas frei.
Plug-ins blockieren die Lade-Infrastruktur
Dabei passt die E‑Mobilität eigentlich ideal in die Innenstadt: Sie ist sauber, leise und sparsam. Und sie ist trendy, denn sie erweckt den Anschein, nachhaltig und klimafreundlich zu sein. Eigentlich müsste der Bezirk Mitte von PKW mit einem großen E am Ende des Nummernschildes nur so wimmeln. Aber in Wirklichkeit sieht man sie nur vergleichsweise selten – und dann oft auch nur in der Version Plug-in-Hybrid. Der hat zusätzlich zum normalen Verbrennungsmotor auch einen Elektroantrieb und eine vergleichsweise kleine Batterie mit meist weniger als 50 Kilometer Reichweite. Wenn man mit so einem Auto elektrisch unterwegs sein will, muss man also ständig nachladen. Mit eigener Wallbox im Carport wäre das vielleicht kein Problem – in der Innenstadt ist es das. Denn von öffentlichen Ladesäulen muss man ja sein E‑Fahrzeug nach dem Ladevorgang auch wieder abholen und das wird sehr mühsam, wenn man es täglich tun muss.
Plug-ins müssen nicht nur häufiger laden, sondern tun das auch deutlich langsamer: meist nur mit 3,7 kW. Die meisten öffentlichen Ladestationen schaffen das aber drei oder gar sechsmal schneller, mit 11 oder 22 kW, Schnellladestationen sogar mit 50 kW und mehr. Um auf eine Reichweite von 200 Kilometer zu kommen (in etwa die durchschnittliche wöchentliche Laufleistung eines PKW in Berlin), muss ein Plug-In vier bis fünfmal für jeweils mehrere Stunden an die Ladestation. Bei den meisten Vollelektrischen reicht dafür nur ein Ladevorgang, an einer öffentlichen Ladesäule mit 11 kW braucht man dazu etwa drei bis vier Stunden. An einer Schnellladestation mit 50 kW (es gibt sie sogar schon mit 350 kW, das funktioniert aber nur bei Top-Modellen) schafft man eine Ladung für ca. 200 Kilometer in deutlich weniger als einer Stunde, also ganz bequem nebenbei während eines Wocheneinkaufs. Auch deshalb werden jetzt immer mehr Supermarkt-Parkplätze mit Schnellladestationen ausgerüstet. Kaufland und Lidl haben schon angefangen, andere Lebensmittelketten sowie McDonald’s wollen jetzt folgen.
Laden, wenn die Sonne scheint
Freilich hat dieses Schnellladen auch einen Haken. Es zieht sehr viel Strom aus dem Netz und muss, falls das Angebot knapp wird, hinuntergeregelt werden. Dann schafft man während des Einkaufens vielleicht nur 50 und nicht 200 Kilometer Ladeleistung. Im Sommer steht bei uns der meiste Strom in der Mittagszeit zur Verfügung, wenn die Sonne am höchsten steht und die Solarkollektoren ihre Höchstleistung erreichen. Nachmittags sinkt das Angebot rapide und stabilisiert sich wieder am Abend, wenn die Speicher-Kraftwerke anspringen und die Gaskraftwerke hochfahren, um den dann starken Stromverbrauch der Privathaushalte auszugleichen.
Im Winter hat die Sonne weniger Kraft, dafür weht der Wind stärker, das Angebot an regenerativer Energie ist in der dunklen Jahreszeit also unregelmäßig. Wer sein E‑Mobil abends auf dem Heimweg während der Spitzenverbrauchszeit am Supermarkt auflädt, riskiert also nicht nur, dass vielleicht nur ein Bruchteil der erhofften Strommenge in der Batterie landet. Er oder sie zwingt die Stromwirtschaft auch dazu, die konventionellen Reserve-Kraftwerke hochzufahren. Mittags tankt man Sonne, abends eher Gas. Eine private Wallbox zuhause dagegen lässt sich so steuern, dass sie nur lädt, wenn ausreichend günstiger Ökostrom verfügbar ist. Allerdings entstehen dann zusätzliche Kosten für den intelligenten Stromzähler, weshalb sich der nur für Vielfahrer auszahlt.
Wären Hubs eine Lösung? Im Wedding oder in Moabit gibt es jede Menge nicht ausgenutzter Mietergaragen unter den Sozialbauten der 1980er Jahre, die wegen der damals geltenden Stellplatzverordnung oft mit riesigen unterirdischen Parketagen ausgestattet wurden. Darüber hinaus gibt es hier große Parkhäuser an Einkaufszentren wie dem ehemaligen Schillerpark-Center im Wedding oder dem Moa-Bogen in Moabit, die heute weitgehend leer stehen und nur wenig genutzt werden. Die ließen sich zu lokalen E‑Mobilitäts-Zentren (Hubs) mit Dutzenden bis Hunderten Ladestationen umbauen. Wie im Carport sollte man dort sein E‑Auto für längere Zeit intelligent aufladen lassen können.
Solche Hubs könnten zudem als Stützpunkt für Firmenflotten dienen, etwa für die Kleinwagen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter häuslicher Pflegedienste, für Transporter diverser Lieferdienste oder für E‑Fahrzeuge von Handwerkern und anderer Selbständigen, die mobil sein und dabei ihr Arbeitsmaterial mitführen müssen. Die Betriebe könnten sich in den Hubs Ladeplätze gezielt reservieren und die Kosten genau kalkulieren – und dabei die Unsicherheiten vermeiden, die das Laden auf der Straße mit sich bringt. Und natürlich wären Hubs auch gute Standorte für Carsharing, ob nun von großen Mobilitätskonzernen organisiert oder in nachbarschaftlicher Selbsthilfe.
Zunächst einmal würden wohl relativ wenige, dafür aber gut an den ÖPNV angebundene Hubs im Bezirk ausreichen, für die man öffentlich werben könnte, um die erhoffte Signalwirkung zu erreichen. Mit der Zeit und mit zunehmendem Bestand an E‑Mobilen könnte das Netzwerk dieser Hubs immer kleinteiliger ausgebaut werden. Gegebenenfalls müsste man wohl auch neue Quartier-Parkhäuser errichten, vor allem im Ostteil Berlins, wo es aus historischen Gründen deutlich weniger Tiefgaragen gibt als im Westen.
Neuer Schub für die Zero Emission Zone
In der Innenstadt soll laut Koalitionsvertrag der rot-grün-roten Berliner Landesregierung mittelfristig nur noch elektromobiler Verkehr stattfinden und dafür eine Zero Emission Zone eingerichtet werden, frühere Verlautbarungen hatten dabei explizit das Jahr 2030 sowie das Gebiet innerhalb des S‑Bahn-Ringes benannt. Vermutlich würden zunächst einmal innerhalb dieses Gebiets viele Ausnahmegenehmigungen für Bestandsfahrzeuge ausgestellt werden müssen. Außerhalb des S‑Bahn-Rings aber, etwa im größten Teil des Weddings, müsste man sich E‑Fahrzeuge zulegen, wenn man auch jenseits der S‑Bahn automobil unterwegs sein will.
Um die Akzeptanz einer solchen Zero Emission Zone zu stärken, müsste man also schon jetzt auch in Gebieten knapp außerhalb die E‑Mobilität viel stärker fördern – etwa mit Modellversuchen von E‑Mobility-Hubs. Spannend wäre hier die Frage, ob und wie weit sich durch intelligentes Lademanagement die Betriebskosten solcher Hubs senken lassen. Die Möglichkeit, sie sozusagen nebenbei als zu Energiespeicher betreiben, könnte sie für Energieversorger wie Lichtblick oder Vattenfall interessant machen.
Und auch noch die Robo-Taxis
Zudem rückt eine weitere Revolution des Individualverkehrs in greifbare Nähe: Die Robo-Taxis kommen! Und die werden eine Infrastruktur brauchen. In Zukunft wird man sich von seinem Mobility-Provider jederzeit eine fahrerlose Kutsche ordern können. Man teilt sich dann entweder mit anderen ein Shuttle-Taxi zum nächsten Bahnhof oder lässt sich, wenn man genug Zeit für den Stau mitbringt, solo am Arbeitsplatz abliefern. Man lädt die Familie in den Ferien in ein Ausflugs-Cab oder bringt Einkäufe mit einem Robo-Transporter nach Hause – und zahlt dafür “on demand” oder per Flatrate. In wenigen Jahren, so meinen Experten, könnte es so weit sein. Das wird den Verkehr in den Städten so radikal ändern wie einstmals die Erfindung des Automobils. Unternehmen, die schon jetzt in E‑Mobility-Hubs investieren, schaffen damit die notwendige räumliche Infrastruktur ihrer künftige Robo-Taxi-Flotte. Und haben später wahrscheinlich die Nase vorn…
Autor: Christof Schaffelder
Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift “Ecke Müllerstraße”, Ausgabe 4/2022