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Die offene Kneipe – Brauseboys am Donnerstag (4.6.) im Livestream

4. Juni 2020
Foto: Domi­ni­que Hensel

Die offe­ne Knei­pe (von Frank Sorge)

Es ist nach­voll­zieh­bar, dass Knei­pen­wir­te for­dern, die Knei­pen zu öff­nen, wenn die schon geöff­ne­ten Gast­stät­ten als Knei­pe genutzt wer­den, weil kei­ne Knei­pen geöff­net sind. Intui­tiv ist jedoch ein­zu­se­hen, dass drei Hal­be einen Men­schen unvor­sich­ti­ger machen als ein Nacken­steak oder ein Tel­ler Brat­kar­tof­feln. Trin­ke ich aber zum Essen drei Hal­be, oder zur Brot­sup­pe fünf, ist das dann anders, als wenn ich zu Hau­se koche und dann in die Knei­pe gehe? Es ist kom­pli­ziert, ich ken­ne das hier zu Hau­se, war­um darf der das und ich nicht? Am Ende wirft dann jemand ein Spiel­zeug­au­to mir an den Kopf, für den im Moment eigent­lich noch gar nichts so rich­tig öff­nen müss­te. Na gut, außer der Kita viel­leicht, wegen der Kopfschmerzen.

Nachts auf der Stra­ße redet ein Mann mit einer Steh­lam­pe, die jemand aus­ge­rüm­pelt hat. Aus der Rich­tung, in die der Mann schaut, sieht es mit dem Müll­korb dahin­ter, der gif­tig qualmt, tat­säch­lich ein biss­chen so aus, als ste­he da noch jemand. Ich höre zu:

“Ick ver­mis­se meene Knei­pe, weeß­te, nich wegen Bier, is sowie­so bil­li­ger hier, ick meene die Leu­te. Ja, ihr seid ooch alle nett, aber Späti is haltn Späti, kanns­te nüscht machen. Kannst nich rich­tig sit­zen, und find mal irgend­wen, der dir Musik fürt Herz anmacht, is doch ejal, ob ditn Schla­ger is. Aber die nu immer mit ihrn Jängstar­ap. Ick meene, selbst nur Möch­te­gern, wa, aber die dicken Sprü­che. Is mir ja ooch ejal, im Zwei­fel hör ick halt lie­ber mal Flip­pers oder Andrea Berg, na und? Aber ick muss mir dit hier anhö­ren, mit ihre Bit­ches und wat nich noch. Na, ick hoff, dat Marie doch mal uff­ma­chen kann bald, ick meene Hygie­ne, da hätts­te vor­her ooch nicht so gucken dür­fen. Aber Zeit war ja jetz­te, wa? Zum put­zen mein ick, und paar Stüh­le kanns­te ooch weg­stel­len, die meis­ten ste­hen da eh nur als Deko. Wie sie die Mie­te jetz­te jestemmt hat, kee­ne Ahnung, ehr­lich. Ick hab ja mit son paar Leu­ten jespro­chen und hab jesacht, Leu­te. Wenn ihr wollt, dat die Knei­pe noch da ist, bezahlt ooch ein­fach maln paar Deckel. Ick mei­ne, ick fandsn erns­ten Vor­schlag, ehr­lich, aber ham se nur jelä­chelt alle, hat mir rich­tig uff­je­regt. Ick glo­o­be jede, also wirk­lich jede Knei­pe hätt sich locker über Was­ser hal­ten kön­nen, ein­fach mit die Deckel. Aber naiv, wa, ick bin manch­mal so naiv, kanns­te nich ändern.

Aber inna Knei­pe is doch mehr Kon­trol­le, als aufm Spiel­platz jetz­te, wenn de mich fragst. Und bei Marie, weeß­te, da kanns­te sonst wat für ne Wut ham, da sacht se: Setz dir erst­mal hin. Und dann setz ick mir erst­mal hin. Und denn will ick wat sagn, steht schon Pils da und sie sagt: Trink erst­mal wat. Sag ick nich nein, will die Sache erläu­tern, da lächelt se schon und sagt: Ach, sag ma nüscht! Und dit mach ick denn ooch. Ver­stehs­te? Und des­halb is bes­ser, wenn man­che Knei­pe uff is. Abstand hal­ten machen wir seit Jah­ren, icke sit­ze da am Ende vom Tre­sen, Die­ter sitzt da drü­ben, der Post­bo­te sitzt am Tisch, wo er sei­ne Zei­tung uff­klap­pen kann. Wat solln da sein? 

Aber die Knei­pe so zu, dit macht ma trau­rig. Soll man Marie doch dit Jeld jeben, ooch wenn se kee­nen rin­las­sen darf. Licht an, sie kann da wir­beln, und wer vor­bei­looft, denkt: Ach siehs­te, der jehts noch jut. Jetz­te machs­te dir nur Sor­gen die jan­ze Zeit, um alle, wa. Selbst irgend­wel­che Stink­stie­fel, wo de viel­leicht jedacht hast, über­treibs end­lich mal mit dein Korn, damit ick mir dit Jes­ab­bel nich mehr anhörn muss. Aber dit war ja nicht ernst, dit is halt mensch­lich. Ick lass, wat ick kann und wünsch allen nur, dat se den Scheiß hier nicht krie­gen. Und ick end­lich mal wie­der inna Knei­pe den­ke: Ach, is dit lang­wei­lig hier. Aber ick kann ooch ver­ste­hen, wenn viel­leicht man­cher denkt, wart mal, die macht bestimmt bald zu, dann könn wa wat schö­net rin­ma­chen, ooch jetzt wegen Bio oder so. Na, ick will dir nicht zutex­ten, kann ick ooch ver­ste­hen, wenn de mal dei­ne Ruhe ham willst.”

Viel­leicht merkt er jetzt, dass die Steh­lam­pe nicht reagiert, er tippt an die Schie­ber­müt­ze und geht wei­ter. Aber sie hat alles gehört, denn die Steh­lam­pe war ja ich.

Das 12. Mal aus dem Ech­sen­stu­dio Wedding

Seit sieb­zehn Jah­ren jede Woche neue Tex­te, Betrach­tun­gen, Musik und bele­ben­de Hei­ter­keit, seit Beginn der Iso­la­ti­on im Livestream.

Wir haben auch schon mal einen scheu­en Blick nach drau­ßen gewor­fen, ob wir die­se Woche nicht schon irgend­wo Zuschau­er dazu­ho­len kön­nen. Dann haben wir die­sen Land­wehr­ka­nal gese­hen und uns schnell wie­der ver­schanzt. Aber wir arbei­ten dar­an, womög­lich nächs­te Woche ein Publi­kum in Sicht­wei­te dazu­la­den zu kön­nen. Die­se Woche also noch ein­mal in Bild­schirm­di­stanz. Schal­tet ein, und lasst euch was vorlesen.

Ab 20.15 Uhr ein­schalt­bar auf unse­rer Face­book-Sei­te, auch ohne Account. Da Face­book eine prak­ti­sche Rest­rea­ming-Funk­ti­on hat, wird der Live­stream auch auf der Wed­ding­wei­ser-Śei­te bei Face­book übertragen.

Frank Sorge

Autor & Vorleser.

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