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Die Liebe zum Pflegeberuf – trotz allem

2. März 2021

Seit vier Jah­ren arbei­tet Anne­lie als Kran­ken­pfle­ge­rin im DRK-Kli­ni­kum im Sol­di­ner Kiez, beson­ders das ver­gan­ge­ne Jahr war hart: Pati­en­ten aus ver­schie­dens­ten Fach­rich­tun­gen, mas­si­ve Unter­be­set­zung und Trau­er sind seit­dem kei­ne Aus­nah­me mehr, aber war es vor­her anders? Wir haben die Kran­ken­pfle­ge­rin gefragt, wie es ihr gera­de geht. 

Mitt­woch­nach­mit­tag im Wed­ding. Pas­send zum The­ma ste­hen vor mei­ner Haus­tür im Sol­di­ner Kiez gleich zwei Kli­ni­ken. Anders als in vie­len deut­schen Städ­ten hat sich hier die Nach­bar­schaft jedoch nicht dar­auf geei­nigt, pünkt­lich um 21 Uhr für die Pfle­ge­kräf­te zu applau­die­ren. Das war viel­leicht eine schö­ne Ges­te, aber was gebracht hat sie im End­ef­fekt auch nicht, den­ke ich. Aus mei­ner Hei­mat­stadt in West­deutsch­land weiß ich näm­lich, dass der Applaus pro­por­tio­nal zu den sin­ken­den Fall­zah­len im Som­mer abnahm, bis er schließ­lich ganz wegblieb. 

Das DRK-Kli­ni­kum in der Dront­hei­mer Stra­ße. Foto: Oli­wia Nowakowska 

Aber zurück zum Hier und Jetzt. 15:28 Uhr, ich schaue aus dem Fens­ter: Grau­er Nebel und ein Schnee­man­tel bede­cken den Wed­ding, sodass er bei­na­he ver­schwin­det. Kor­rek­ter­wei­se war­te ich noch zwei Minu­ten, bis ich mei­ne Gesprächs­part­ne­rin anru­fe. Es han­delt sich um eine jun­ge Kran­ken­pfle­ge­rin, Mit­te zwan­zig, die seit vier Jah­ren auf der Dia­be­to­lo­gie-Sta­ti­on des DRK-Kli­ni­kums in der Dront­hei­mer Stra­ße arbei­tet. „Mit dem Applaus hät­te ich mir das erträum­te Auto auch nicht kau­fen kön­nen“, sagt sie, und ist mir mit ihrer sar­kas­ti­schen Art sofort sym­pa­thisch. Vor der Pan­de­mie sei die Arbeit auch schon hart gewe­sen, aber das wür­de nur Weni­ge inter­es­sie­ren, weil erst jetzt dar­über berich­tet wür­de, fährt sie wütend fort. Ihre Erschöp­fung spü­re ich durch das Tele­fon und iro­ni­scher­wei­se passt ihre Stim­mung zum tris­ten Wetter. 

Mehr Arbeit durch mehr Helfer:innen? 

Den Daten des Sta­tis­ti­schen Bun­des­amts zufol­ge stieg die Zahl der Pfle­ge­be­dürf­ti­gen zwi­schen 2015 und 2017 um 19 %. Ten­denz? Stei­gend, denn auf­grund des demo­gra­fi­schen Wan­dels ist davon aus­zu­ge­hen, dass die Zahl kon­stant zuneh­men wird. Der gerin­ge Zuwachs der Aus­zu­bil­den­den im Pfle­ge­be­reich wird dem nicht gerecht. Laut Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Fami­li­en, Senio­ren und Jugend stieg 201920 die Zahl der Aus­zu­bil­den­den im Ver­gleich zum Vor­jahr ledig­lich um 8,2 %. Die Kli­nik im Wed­ding bleibt laut der Pfle­ge­rin auch nicht ver­schont: „Schon vor Coro­na waren wir mas­siv unter­be­setzt. Nor­ma­ler­wei­se wer­den zwei Voll­pfle­ge­kräf­te für 39 Pati­en­ten ein­ge­setzt. Dazu kom­men zwar Prak­ti­kan­ten, aber die sind kei­ne gro­ße Hil­fe.“ Als ich mei­ne Empö­rung über die Zustän­de äuße­re, lacht sie nur kurz auf und treibt den Wahn­sinn auf die Spit­ze: „Im Nacht­dienst sind wir sogar allein.“ 

Lee­rer Flur auf der Dia­be­to­lo­gie-Sati­on im DRK-Kli­ni­kum Mit­te. Foto: Anne­lie (Prot­ago­nis­tin)

Fran­zis­ka Böh­ler, Kran­ken­pfle­ge­rin und Autorin, berich­tet in ihrem Buch eben­falls über die­se Miss­stän­de. In vie­len Pfle­ge­hei­men sei­en nur 40 % der Beschäf­tig­ten Fach­kräf­te, den gro­ßen Rest stel­len Helfer:innen dar. Das sei gefähr­lich, denn Helfer:innen sei­en nicht gut genug aus­ge­bil­det, um auf Sym­pto­me oder Ver­än­de­run­gen adäquat zu regie­ren und damit liegt mehr Last auf den Schul­tern der Pfleger:innen.  

„Solan­ge die Bezah­lung der Arbeit nicht gerecht wird und die Aus­bil­dung nicht attrak­ti­ver, wird das nichts bewir­ken“, reagiert mei­ne Gesprächs­part­ne­rin, ange­spro­chen auf Kam­pa­gnen der Bun­des­re­gie­rung, mit Hil­fe derer die Zahl der Aus­zu­bil­den­den im Pfle­ge­be­reich bis 2023 um 10 % stei­gen soll. Außer­dem wür­de die Schicht­ar­beit wäh­rend der Aus­bil­dung nicht gerecht auf­ge­teilt, was sie unat­trak­tiv mache, so die Pfle­ge­rin. ‚Ket­ten­ar­beit‘ bei­spiels­wei­se sei nicht unüb­lich: „Wir hat­ten 10 Tage hin­ter­ein­an­der Früh­schich­ten, ab dem 6. Tag hast du nur noch funk­tio­niert und konn­test hof­fen, kei­ne bedroh­li­chen Feh­ler zu machen“, erin­nert sie sich. 

Einer unter 19

Als ob das noch nicht genug wäre, sind laut sta­tis­ti­schen Bun­des­amts 80% der Krankenpfleger:innen Frau­en, wie mei­ne Gesprächs­part­ne­rin bestä­tigt: „Auf unse­rer Sta­ti­on ist ein Mann neben 19 Frau­en beschäf­tigt.“ Das ist ein Pro­blem, denn die Arbeit ist kräf­te­zeh­rend. Beson­ders in der Dia­be­to­lo­gie sei­en vie­le Patient:innen über­ge­wich­tig und müs­sen wegen ihrer Wun­den mehr­mals am Tag gewa­schen wer­den, erzählt sie. Da denkt sogar die Femi­nis­tin in mir, dass die Män­ner, die aus bio­lo­gi­scher Sicht natür­lich stär­ker sind, gro­ße Abhil­fe schaf­fen könn­ten. „Seit Coro­na ist es noch här­ter“, seufzt Anne­lie, „vie­le Sta­tio­nen wur­den für Coro­na-Pati­en­ten geschlos­sen und auf ande­re ver­legt. Es kam sogar vor, dass wir Pati­en­ten aus fünf ver­schie­de­nen Fach­rich­tun­gen behan­deln muss­ten.“ Das ist pro­ble­ma­tisch, denn so kann kei­ne fach­li­che Hil­fe gebo­ten wer­den. Sie sagt das mit so einer Für­sor­ge in der Stim­me, dass ich sie mir in dem Moment mit leuch­ten­den Augen vor­stel­le – trotz allem. Mei­ne Ver­mu­tung bestä­tigt sich, als sie hin­ter­her­wirft, dass sie ihren Job wirk­lich lie­be, auch wenn es manch­mal hart sei. 

Infor­ma­ti­on im Fahr­stuhl des DRK-Kli­ni­kums Mit­te. Foto: Anne­lie (Prot­ago­nis­tin)

Trotz­dem sind mei­ne Gefüh­le ein Cock­tail aus Wut, Bewun­de­rung, aber auch Trau­er, denn sie berich­tet über Men­schen, die an oder mit Coro­na allein ster­ben müs­sen. Weil die Pfleger:innen chro­nisch unter­be­setzt sind, kön­nen sie oft nicht bei ihnen sein und Ange­hö­ri­ge wer­den ohne­hin nicht her­ein­ge­las­sen. Mitt­ler­wei­le ist es dun­kel gewor­den, wir ver­ab­schie­den uns und ich bin hin und her geris­sen: zwi­schen Freu­de dar­über, dass es noch Pfleger:innen im Wed­ding gibt, die eine Beru­fung in ihrer Arbeit gefun­den haben, Wert­schät­zung, denn offen­sicht­lich wür­den wir ohne sie nicht durch die Pan­de­mie kom­men – und Hoff­nung in die Kam­pa­gnen der Bundesregierung.

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