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Die Kolumne: Türkische Hochzeit

3. September 2014
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Hochzeit5Hossa-Papa hat sei­ne Toch­ter ver­lo­ren. Etwas auf­ge­regt und zer­knit­tert wie immer diri­gier­te er laut­stark die Ver­wand­schaft vor unse­rem Fens­ter umher. Vor ihm lie­fen zwei Musi­ker her, laut­stark eine Trom­mel und eine Zur­na bedie­nend. Hossa-Papa trug einen Anzug und steu­er­te einen der vie­len Mer­ce­des­se an, die am Stra­ßen­rand war­te­ten. Sei­ne Toch­ter steck­te in einem wei­ßen Kleid mit auf­ge­rüsch­tem Rock, auf dem Kopf ein Schlei­er. Vor mei­nem Fens­ter wur­de gehei­ra­tet, oder zumin­dest war unse­re Stra­ße eine Sta­ti­on des offen­sicht­li­chen Schau­lau­fens. Laut war es, nach weni­gen Minu­ten gin­gen rechts und links der Stra­ße die Fens­ter auf und neu­gie­ri­ge Nach­barn schau­ten raus. Ich zwin­ker­te dem Tromm­ler zu und beob­ach­te­te das Spektakel.

Komisch, dach­te ich: Hoch­zeit liegt wohl so in der schwü­len Luft. Gera­de hat­ten der Mit-Wed­din­ger und ich übers Hei­ra­ten gere­det, über gro­ßen Pomp und gro­ße Geheim­nis­se, über Män­ner und Frau­en, über wil­de Ehe und unehr­li­che Ver­spre­chun­gen. Vor mei­nem Fens­ter wur­de Pomp mit allen Schi­ka­nen zele­briert, wur­de mit Stolz ver­kün­det: Seht her, wir gehö­ren zusam­men. Hier wird Tra­di­ti­on gelebt und dabei sicher kei­ne Sekun­de an die GEZ gedacht.

Hochzeit4Hossa-Papa hat, ver­ste­he ich die tür­ki­sche Kul­tur rich­tig, eigent­lich kei­ne Toch­ter ver­lo­ren, er hat sei­ne Fami­lie um einen Schwie­ger­sohn ver­grö­ßert. Und ich bewun­der­te die Musik und freu­te mich über die gute Lau­ne, die sie mir mach­te. Ich dach­te, man soll­te Hossa-Papa ein­la­den, bei der nächs­ten Fete de la Musi­que im Wed­ding das Ruder zu über­neh­men. Was das Fei­ern angeht ist er Profi.

Die Musi­ker spiel­ten bis das Braut­paar mit dem Auto davon­fuhr. Dann ver­schwan­den sie nach Irgend­wo­hin. Ich hät­te sie gern ein­ge­la­den, noch ein wenig für mich zu spie­len. Doch Hossa-Papa hat­te das Geld in der Tasche und die nächs­te Hoch­zeit ließ bestimmt nicht lan­ge auf sie war­ten, weil sich allein im Jahr 2012 in Ber­lin mehr als 13.200 Paa­re nach dem Bür­ger­li­chen Gesetz­buch ver­ban­den, wobei in Mit­te die Stim­mung am meis­ten auf Hoch­zeit steht. Über 1600 Paa­re sag­ten Ja.

Die Nach­richt ist: Es wird wie­der gehei­ra­tet. Bei unse­ren tür­ki­schen Nach­barn geht das ganz selbst­ver­ständ­lich und selbst die meis­ten unse­rer deut­schen Freun­de haben sich längst getraut. Ich staun­te, denn ich hat­te gedacht, in Ber­lin lebt der Sin­gle, der Nicht-Ver­hei­ra­te­te. Hossa-Papa hat mir gezeigt, dass ich falsch lie­ge. Er hat Hoch­zeits­mu­sik in mei­ne klei­ne Wed­din­ger Stra­ße gebracht.

Wed­ding ist nicht Wed­ding. So steht es auf der Sei­te www.planet-wedding.de. Blog-Betrei­be­rin Domi­ni­que Hen­sel schreibt dort seit 2008 über ihre Erleb­nis­se im Wed­ding. Seit Mai 2014 lädt die Jour­na­lis­tin aus dem Brun­nen­vier­tel die Leser des Wed­ding­wei­ser ein Mal im Monat dazu ein, einen Blick in die Welt einer Wed­din­ger Fami­lie zu wer­fen. Die pri­va­te Kolum­ne über eine Fami­lie auf dem Pla­ne­ten Wed­ding – immer am ers­ten Mitt­woch im Monat. Heu­te: Tür­ki­sche Hochzeit.

Text und Fotos: Domi­ni­que Hensel

Dominique Hensel

Dominique Hensel lebt und schreibt im Wedding. Jeden zweiten Sonntag gibt sie hier den Newsüberblick für den Stadtteil. Die gelernte Journalistin schreibt für den Blog gern aktuelle Texte - am liebsten zu den Themen Stadtgärten, Kultur, Nachbarschaft und Soziales. Hyperlokal hat Dominique es auf jeden Fall am liebsten und beim Weddingweiser ist sie fast schon immer.

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