02.10.2020 Sektkorken werden wieder knallen. 30 Jahre Deutsche Einheit ist ein Jubiläum, der Anlass für den Sekt. Ist das ein großes Jubiläum? Oder eines, das man halt nicht übergehen kann? Werden noch einmal Menschen feuchte Augen bekommen, wenn sie an den 3. Oktober 1990 denken? Oder gratuliert man artig dem Opa? Zeitzeuge Hartmut Bräunlich aus dem Brunnenviertel blickt auf ein Leben zurück, in der die Grenze eine große Rolle spielte. Er sagt heute: „Die Deutsche Einheit ist vollendet. Für mich ist das durch.“
Er engagiert er sich heute bei den “Freunden des Mauerparks.” Er stutzt, als er merkt, dass da ja auch die Mauer eine Rolle spielt. Ein Zufall, dass der Park nun auch fertig gestellt ist? Nach 25 Jahren? Von Zufällen will er nichts wissen: „Beim Park gibt es noch viel zu tun“, sagt er. Das ist Zukunft, die deutsche Einheit Alltag, der Moment der Wiedervereinigung ist Geschichte.
„Rundherum die Mauer, das war skurril“
Hartmut Bräunlich kam im Frühling 1984 nach West-Berlin, in den Wedding, in den Teil des Weddings, der seit dem Jahr 2000 Brunnenviertel heißt. „Rundherum die Mauer, das war skurril“, erinnert er sich. Aber die Mauer war „auch wie ein Kokon“ – sie vermittelte irgendwie das Gefühl von Schutz. Für Hartmut Bräunlich und seine Frau war es „etwas Besonderes“, so nah an der Mauer zu wohnen. Etwas Einmaliges.
1980 durfte er von der DDR in den Westen wechseln. „Häftlingsfreikauf“, wirft Hartmut Bräunlich während des Interviews knapp ein. Neun Monate, die Hälfte seiner Strafe, habe er im „Knast“ absitzen müssen, bevor „ich gefragt wurde“, ob er in den Westen ausreisen wolle. Mit seiner Frau. Die kam mittels Familienzusammenführung vier Monate nach ihm in Oberfranken an. Mitte 20 war er da. „Schon in der kleinen Stadt bei Coburg war ich in der Nähe der Grenze“, sagt Hartmut Bräunlich. In der DDR eckte er an.
Als 1989 die Mauer fiel, überkamen ihn gemischte Gefühle. „Damit war klar, dass diejenigen, die mich ins Gefängnis brachten, plötzlich kommen konnten.“ Deutsche Einheit, das bedeutete in der 1990er Jahren für Hartmut Bräunlich die Konfrontation mit der Vergangenheit. Lange konnte er sich nicht durchringen, seine Stasiakte zu lesen. „Ein Stapel war das.“ Als er es dann tat, stand er vor der Frage, wie mit dem Wissen von Verrat und Verräter umgehen sollte. „Zum Glück siegte nicht die Verbitterung“, sagt er heute.
Und doch ja, der Moment der Wiedervereinigung war auch ein glücklicher Moment. „Ich arbeitete bei Schering. Die hängten plötzlich Fahnen raus, da stand drauf: Endlich vereint.“ Oder so ähnlich. Einen Tisch habe der Pharmakonzern vor dem Haupteingang aufgestellt und alle Passanten zum Kaffee eingeladen. Ein Moment der großen Gesten. Wann verging der eigentlich? Offenbar schlich sich das große Gefühl irgendwann aus. Die Einheit wurde Normalität. Und nun zum Schulwissen. „Aber die jungen Leute, die nicht dabei waren, für die ist das alles Geschichte. Und für mich nach 30 Jahren eigentlich auch.“
Der Text ist eine längere Version eines Artikels in der Weddinger Allgemeinen Zeitung, der gedruckten Zeitung für den Wedding. Wir danken dem RAZ-Verlag.
[osm_map_v3 map_center= “52.5409,13.4048” zoom=“14” width=“95%” height=“450” map_border=“thin solid ” post_markers=“1” control=”” bckgrndimg=”” ]