„Dabei fühlte sie sich den Touristen näher als den zugezogenen Deutschen …‟ Das ist nicht der zentrale Satz des Romans „Ein Spiegel für mein Gegenüber‟ von Nadire Yilmaz Biskin. Aber es ist ein Satz aus dem Innenleben von Huzur, der Hauptfigur des Romans.
Das Buch ist einerseits ein Weddingroman, wird sogar mit der Widmung „für 65‟ eingeleitet. Ältere Menschen erinnern sich noch an das „1000 Berlin 65‟, das als Adresse auf Briefe zu schreiben war. Weddinger Straßennamen tauchen im Roman auf. Viele Figuren haben türkische Wurzeln so wie viele Menschen im Wedding. Andererseits geht es in dem Buch um viel mehr als den Wedding. Die 35-jährige Nadire Yilmaz Biskin erzählt eine Geschichte übers emotionale Überleben, Rassismus, über Mutterschaft und Verantwortung, über Solidarität, über das am Rande stehen und über das Gefühl der Fremdheit.
Özyabanci heißt die Heldin mit Nachnamen, auf deutsch die Fremde. „Ich verwende sprechende Namen‟, sagt die Autorin. Es lohnt sich für den Leser einen Online-Übersetzer mit den Namen der Romanfiguren zu füttern. Fremd, nicht dazugehörig, fühlt sich Huzur in der Türkei, aber auch an der Uni unter den gutsituierten Studenten. Es sind feine Unterschiede, die über Zugehörigkeit entscheiden, über Gleichwertigkeit, über erste und zweite Klasse. Türkin, Touristin, Deutsche? Nadire Yilmaz Biskin sagt, dass die Menschen binär denken, entweder oder. „Die Leute wollen zum Beispiel wissen, ob ich Türkin bin. Dabei erführen sie viel mehr über mich, wenn sie nach meinen Magenschmerzen fragen würden‟, sagt die Autorin.
Ein autobiographischer Roman ist „Ein Spiegel für mein Gegenüber‟ nicht. „Ich kann kein Buch über eine südafrikanische Frau schreiben, weil ich dann erst dorthin fahren müsste, und das ist teuer‟, sagt Nadire Yilmaz Biskin. Aber ja, sie schreibe über Themen, bei denen sie sich auskenne. Ihre Figuren sind immer eine Mischung aus Erlebten, Beobachteten, Erzähltem.
„Ein Spiegel für mein Gegenüber‟ ist im Februar bei dtv als Hardcover erschienen und kostet 20 Euro.
Der Text stammt aus der Weddinger Allgemeinen Zeitung (–> E‑Paper), der gedruckten Zeitung für den Wedding. Geschrieben wurde er von Andrei Schnell. Wir danken dem RAZ-Verlag!