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“Der Wedding”, Ausgabe 5: Stimmt so!

21. September 2013
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Das Maga­zin “Der Wed­ding” erscheint nur ein­mal im Jahr. War die letz­te Aus­ga­be the­ma­tisch durch die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem “Wes­ten” sehr weit­ge­fasst (wes­halb nur wenig Wed­ding-spe­zi­fi­sches vor­kam), ist das nun­mehr fünf­te Maga­zin wie­der auf dem Boden der Tat­sa­chen ange­kom­men. Und trifft damit den Nerv.

“Reiche sind aggressiver”

Cover Der Wedding 5 Magazin für AlltagskulturDies­mal kom­men wie­der ver­stärkt die Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner unse­res Orts­teils zu Wort. Wir sehen, wie sie woh­nen, wer bezahlt, wenn sie tür­kisch hei­ra­ten, was sie sich von ihrem Ver­dienst leis­ten kön­nen und was die Betrei­ber von Pfand­leih­häu­sern alles erle­ben. Das The­ma Geld wird nicht mit lan­gen Zah­len­ko­lon­nen, Info­gra­fi­ken oder Rechen­ex­em­peln durch­ex­er­ziert. Denn es geht vor allem dar­um, was es heißt, im All­tag wenig oder kein Geld zu haben. Im Heft dür­fen mal die­je­ni­gen erzäh­len, die mit Fla­schen­sam­meln, Ver­kauf von Obdach­lo­sen­zei­tun­gen oder mit ver­meint­lich lukra­ti­ven Neben­jobs über die Run­den kom­men müs­sen. Nur eine Hoch­glanz-Foto­stre­cke über die Besu­cher einer Mün­che­ner Mil­lio­närs­mes­se reißt den Leser aus der pro­fa­nen Welt der sau­er ver­dien­ten Mone­ten her­aus, hin­ter­lässt aber auch ein scha­les Gefühl. Fast bekommt man Mit­leid mit den “armen Reichen”.

Im Verein ist Geld besser aufgehoben als auf der Bank

Da ist uns der Wed­ding mit sei­nen Wett­bü­ros, Spiel­höl­len und Loka­len schon ein ver­trau­te­rer Anblick. In letz­ter Zeit hat man sel­ten eine so schö­ne Knei­pen­re­por­ta­ge zu Gesicht bekom­men wie den Bericht über das “Ver­eins­spa­ren” im Café More­na. Wer weiß denn schon noch, dass die­se Spar­form heu­te in den Loka­len fast aus­ge­stor­ben ist, in der Nach­kriegs­zeit aber den Ruch der Unter­welt hat­te? Wie schon in der drit­ten Aus­ga­be, als die Maga­zin­ma­cher Bett­lern ihr Papp­schild abkauf­ten und die­se ver­gäng­li­chen “Doku­men­te” ver­ewig­ten, kom­men in die­ser Aus­ga­be wie­der die zu Wort, die in den eta­blier­ten Medi­en sel­ten eine Stim­me haben: Schrott­samm­ler, Stra­ßen­mu­si­ker oder Men­schen, die bewusst auf Eigen­tum ver­zich­ten. Auch der Fran­zis­ka­ner­mönch Bru­der Andre­as , der die Sup­pen­kü­che in der Wollank­stra­ße lei­tet, weiß aus eige­ner Erfah­rung, was frei­wil­li­ger oder unfrei­wil­li­ger Ver­zicht bedeu­ten kann.

Sprichwörter hinterfragt

Wer die manch­mal iro­ni­sche, durch­aus ver­spiel­te Art der frü­he­ren Aus­ga­ben von “Der Wed­ding” moch­te, muss sich dies­mal wie­der mit einer boden­stän­di­gen, redu­zier­ten Gestal­tung zufrie­den­ge­ben. Mit ein paar Aus­rei­ßern war­tet die fünf­te Aus­ga­be aber den­noch auf. Die knal­lig-bun­ten Ver­hei­ßun­gen der Wer­bung für Spiel­ca­si­nos, die ja so sehr zum Stra­ßen­bild in Ber­lin gehö­ren, die­nen als Deko­ra­ti­on für eine Dop­pel­sei­te. Oder ein ver­meint­li­cher Aus­zug eines ver­gilb­ten Lexi­kons, der Begrif­fe rund um das gute alte Münz- und Papier­geld zusam­men­fasst. Die aus frü­he­ren Aus­ga­ben bekann­ten Comics, typo­gra­phi­schen Expe­ri­men­te und Illus­tra­tio­nen wird man in die­ser Aus­ga­be fast ver­geb­lich suchen. Das Spiel mit der Form ist näm­lich einer viel stär­ke­ren inhalt­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung gewi­chen. Die bemer­kens­wer­ten Fotos – der gelun­ge­ne Ver­such, ver­meint­lich All­täg­li­ches zu bebil­dern – erhal­ten so einen noch grö­ße­ren Stel­len­wert. Trotz der etwas sprö­den Gestal­tung sind den Machern (Chef­re­dak­ti­on: Julia Boek) die guten Ideen an kei­ner Stel­le aus­ge­gan­gen. So hin­ter­fra­gen sie die abge­dro­schens­ten Sprich­wör­ter rund um’s Geld, und zwar bei Kell­nern, Kas­sie­rern und dem Fili­al­lei­ter einer Bank im Wed­ding. Die müs­sen es schließ­lich wissen.

Das The­ma Geld passt ein­fach. Sowohl zur aktu­el­len Gefühls­la­ge der Nati­on als auch zum Wed­ding. Dabei geht es nicht nur um die nack­te Exis­tenz­angst, wenn einem halt das Geld aus­geht. Auch die Krea­ti­ven, Stu­den­ten oder Nor­mal­ver­die­ner, die für das Maga­zin nach ihrem Ein­kom­men befragt wur­den, sind von einer finan­zi­el­len Sorg­lo­sig­keit Licht­jah­re ent­fernt. Was nicht aus­schließt, dass sie sich auch mal etwas gön­nen. Mit sei­ner fünf­ten Aus­ga­be ist “Der Wed­ding” reif gewor­den und kann nie­man­den kalt las­sen, der im Ber­lin des Jah­res 2013 lebt. Will­kom­men zurück.

“Der Wed­ding” im Handel

Das Maga­zin wird ber­lin- und deutsch­land­weit für 6,99€ in diver­sen Buch-und Zeit­schrif­ten­lä­den sowie zusätz­lich in Wed­din­ger Bars und Cafés vertrieben.

Ver­kaufs­stel­len

Rezen­si­on der Aus­ga­be zum The­ma Arbeit

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

4 Comments

  1. Inter­es­san­tes The­ma in die­ser Aus­ga­be. Aller­dings wer­den sich bei einem Preis von knapp 7 Euron­ten die­je­ni­gen, mit denen man sich dort beschäf­tigt, das Heft nicht leis­ten können…

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