Das Magazin “Der Wedding” erscheint nur einmal im Jahr. War die letzte Ausgabe thematisch durch die Auseinandersetzung mit dem “Westen” sehr weitgefasst (weshalb nur wenig Wedding-spezifisches vorkam), ist das nunmehr fünfte Magazin wieder auf dem Boden der Tatsachen angekommen. Und trifft damit den Nerv.
“Reiche sind aggressiver”
Diesmal kommen wieder verstärkt die Bewohnerinnen und Bewohner unseres Ortsteils zu Wort. Wir sehen, wie sie wohnen, wer bezahlt, wenn sie türkisch heiraten, was sie sich von ihrem Verdienst leisten können und was die Betreiber von Pfandleihhäusern alles erleben. Das Thema Geld wird nicht mit langen Zahlenkolonnen, Infografiken oder Rechenexempeln durchexerziert. Denn es geht vor allem darum, was es heißt, im Alltag wenig oder kein Geld zu haben. Im Heft dürfen mal diejenigen erzählen, die mit Flaschensammeln, Verkauf von Obdachlosenzeitungen oder mit vermeintlich lukrativen Nebenjobs über die Runden kommen müssen. Nur eine Hochglanz-Fotostrecke über die Besucher einer Münchener Millionärsmesse reißt den Leser aus der profanen Welt der sauer verdienten Moneten heraus, hinterlässt aber auch ein schales Gefühl. Fast bekommt man Mitleid mit den “armen Reichen”.
Im Verein ist Geld besser aufgehoben als auf der Bank
Da ist uns der Wedding mit seinen Wettbüros, Spielhöllen und Lokalen schon ein vertrauterer Anblick. In letzter Zeit hat man selten eine so schöne Kneipenreportage zu Gesicht bekommen wie den Bericht über das “Vereinssparen” im Café Morena. Wer weiß denn schon noch, dass diese Sparform heute in den Lokalen fast ausgestorben ist, in der Nachkriegszeit aber den Ruch der Unterwelt hatte? Wie schon in der dritten Ausgabe, als die Magazinmacher Bettlern ihr Pappschild abkauften und diese vergänglichen “Dokumente” verewigten, kommen in dieser Ausgabe wieder die zu Wort, die in den etablierten Medien selten eine Stimme haben: Schrottsammler, Straßenmusiker oder Menschen, die bewusst auf Eigentum verzichten. Auch der Franziskanermönch Bruder Andreas , der die Suppenküche in der Wollankstraße leitet, weiß aus eigener Erfahrung, was freiwilliger oder unfreiwilliger Verzicht bedeuten kann.
Sprichwörter hinterfragt
Wer die manchmal ironische, durchaus verspielte Art der früheren Ausgaben von “Der Wedding” mochte, muss sich diesmal wieder mit einer bodenständigen, reduzierten Gestaltung zufriedengeben. Mit ein paar Ausreißern wartet die fünfte Ausgabe aber dennoch auf. Die knallig-bunten Verheißungen der Werbung für Spielcasinos, die ja so sehr zum Straßenbild in Berlin gehören, dienen als Dekoration für eine Doppelseite. Oder ein vermeintlicher Auszug eines vergilbten Lexikons, der Begriffe rund um das gute alte Münz- und Papiergeld zusammenfasst. Die aus früheren Ausgaben bekannten Comics, typographischen Experimente und Illustrationen wird man in dieser Ausgabe fast vergeblich suchen. Das Spiel mit der Form ist nämlich einer viel stärkeren inhaltlichen Auseinandersetzung gewichen. Die bemerkenswerten Fotos – der gelungene Versuch, vermeintlich Alltägliches zu bebildern – erhalten so einen noch größeren Stellenwert. Trotz der etwas spröden Gestaltung sind den Machern (Chefredaktion: Julia Boek) die guten Ideen an keiner Stelle ausgegangen. So hinterfragen sie die abgedroschensten Sprichwörter rund um’s Geld, und zwar bei Kellnern, Kassierern und dem Filialleiter einer Bank im Wedding. Die müssen es schließlich wissen.
Das Thema Geld passt einfach. Sowohl zur aktuellen Gefühlslage der Nation als auch zum Wedding. Dabei geht es nicht nur um die nackte Existenzangst, wenn einem halt das Geld ausgeht. Auch die Kreativen, Studenten oder Normalverdiener, die für das Magazin nach ihrem Einkommen befragt wurden, sind von einer finanziellen Sorglosigkeit Lichtjahre entfernt. Was nicht ausschließt, dass sie sich auch mal etwas gönnen. Mit seiner fünften Ausgabe ist “Der Wedding” reif geworden und kann niemanden kalt lassen, der im Berlin des Jahres 2013 lebt. Willkommen zurück.
“Der Wedding” im Handel
Das Magazin wird berlin- und deutschlandweit für 6,99€ in diversen Buch-und Zeitschriftenläden sowie zusätzlich in Weddinger Bars und Cafés vertrieben.
Verkaufsstellen
Man kann es ja auch da einfach mal kostenlos lesen, wo es ausliegt 🙂 Müssen ja nicht immer alles gleich besitzen 🙂
Interessantes Thema in dieser Ausgabe. Allerdings werden sich bei einem Preis von knapp 7 Euronten diejenigen, mit denen man sich dort beschäftigt, das Heft nicht leisten können…
Das stimmt. Hätte man aber deswegen ganz auf das Thema verzichten und irgendwas mit Lifestyle machen sollen?
Nö, das ist schon okay so. Wollt’ ich halt nur mal angemerkt haben…