Ilia Kitup: Auch ein aktives Urgestein des Soldiner Kiezes
Es gibt viele Orte der Literatur wie das Haus der Poesie in der Kulturbrauerei, der mobile „Sklavenmarkt“ (1996 – 2000), das Siemeck, das LCB in Wannsee oder das Literaturhaus Berlin in der Fasanenstraße. Und es gibt viele kleine Verlage in Berlin. aber keiner druckt so feine, ausgewählte, zarte Heftchen mit Gedichten und anderen lyrischen Texten wie Ilia Kitup.
Er wurde Anfang der 1960er in Vilnius in Litauen geboren und ist dort aufgewachsen. Später studierte er Russistik und Anglistik an der Lomonossow-Universität. Im Jahr 1991 gründete er den Propeller Verlag, der seit dem Jahr 1997 in Berlin ansässig ist und mittlerweile über 122 Bücher in 12 Sprachen im Verlagsprogramm anbietet. Daneben ist Ilia Kitup selbst aktiv als Künstler, vielseitig in vielen Kunstbereichen tätig.
Wie lange drucken Sie schon Lyrik-Pamphlete?
Im Jahre 1991 habe ich meine ersten drei Gedichtbände in Moskau vorbereitet und in einer Druckerei gedruckt bekommen. Im Jahr 1994 folgte die Zeitschrift “Propeller Comics”, die ich in Amsterdam startete. Alles wurde damals mit Scheren und Kleber zusammengebastelt und in Kopierläden ausgedruckt.
Seit 1997 ist mein Propeller Verlag in Berlin ansässig. 20 Jahre lang gestaltete ich meine Publikationen im Word Programm, in den letzten 10 Jahren werden die Publikationen nun im InDesign vorbereitet und auf meinem Hausdrucker gedruckt. Dieses Brother-Gerät hat schon mehr als sagenhafte 60.000 (oder sogar 100.000!) Seiten geschafft! Nach dem Druck wird alles manuell gefaltet, geheftet und ggfls. zusammengeklebt, beschnitten – und fertig! Im Programm habe ich 5 Zeitschriften und 122 Bücher in 12 Sprachen, viele davon sind zwei- oder sogar dreisprachig (Original + die Deutsche oder Englische Übersetzung).
Seit wann läuft Ihr Zeitschriftenprogramm?
Seit 1994 gibt es Propeller Comics, das ich in Amsterdam gründete. Seit 2008 läuft mein heutiges Buch- und Zeitschriftenprogramm mit fünf Zeitschriften (insgesamt etwa 80 Hefte). „Bartov“ (seit 2009) ist dem großen Schriftsteller Arkadij Bartov aus Sankt-Petersburg gewidmet. „Ljontschik“ (seit 2018) – dem berühmten Künstler und Dichter Leonid Wojzechow aus Odessa (Ukraine).
„Der GAlaktischer Futurist“ (The GAF) (seit 2009) befasst Literatur und Kunst, erscheint auf Deutsch und Englisch 6–7mal im Jahr auf 12–16 Seiten. Das ist das Hausmagazin des Propeller Verlags. Für die GAF führe ich oft Interviews mit meinen Autoren: lesenswert!
Welche Dichter suchen Sie aus?
Sie kommen zu mir, nicht umgekehrt. Es sind wilde, hemmungslose Naturtalente. Das ist bemerkenswert, dass ich nicht nach Autoren suchen muss. Sie erscheinen selbst, als ob aus dem Nichts. In Wirklichkeit kommen sie durch meine Freunde und Bekannte aus verschiedensten Länder der Welt. Es sind talentierte Dichter und Schreiber im Alter von 21 bis 75, die noch unbekannt sind, aber später, im Laufe der Zeit unbedingt Klassiker werden sollen.
So läuft das literarische Leben. Ich muss den Acker umpflügen, wässern und pflegen um die Ernte zu sammeln. Meine Autoren sind ungebremst, und einige extrem faul, aber wenn ich sie ab und zu motiviere, dann können sie eine weitere Portion ihrer Kunst darbieten!
Haben Sie Beispiele für Dichter, die bei Ihnen publizieren?
Alex Galper – ein Brooklyner aus Kiew, der in New York als Sozialarbeiter tätig ist: er schreibt Gedichte und Geschichten, die gleichzeitig extrem lustig und traurig sind. Oder auch Sparrow, ein alter New Yorker Hippie – seine Kurzgedichte übersetze ich gerne ins Russische. Maks Lyzhov – einer der besten Dichter in der Ukraine. Ondřej Mrázek, ein hervorragender Balladenschreiber aus Prag. Bert Papenfuß, Stefan Döring und Clemens Schittko – die besten Dichter Berlins. Da ist auch ein Wiener – Andreas Wolfgang Lenzmann, für den ich das „Lenzmannsheft“ regelmäßig verlege, zweimal im Jahr mit den Titeln wie Varia, Ludus, Circus, Radix, Lenz, Lux. Er verfasst Gedichte und porträtiert etliche Schriftsteller wie Franz Xaver sKroetz oder Grillparzer in informationsreichen Kurzbiographien.
Welchen Berliner Dichter bewundern Sie?
Ich kenne Bert Papenfuß aus der Zeit des mobil aktiven “Sklavenmarkt” und mich beeindruckt die große Spannweite seines Deutsch! Er ist in historischer Sprache unterwegs, er spricht “lokal” und kennt Dialekte. Er ist damit in einer sehr aktiven, leuchtenden Sprache unterwegs.
Welche Preise haben Sie schon gewonnen?
Eigentlich, keine. Einige Russische Poetry Slams im Haus der Sinne und im Panda-Theater in Berlin habe ich gewonnen.
Wie gut kennen Sie Wladimir Kaminer? Sie sind beide Mitte der 1960er geboten. In seinem Buch Russendisko, Anfang der 2000er erschienen, treten Sie in seiner Erzählung „Geschäftstarnungen“ auf.
Wir kennen und grüßen uns und sprechen miteinander, wenn wir uns treffen. Aber Kaminer ist mehr der Theatermensch, ich bin Lyriker. Aber es gibt eine weitere Anekdote zu Kaminer, da eine frühere Kommilitonin von mir, die in den USA an der Uni Literatur lehrt seine „Russendisko“ als Pflichtlektüre in den Seminaren anbietet. So fügt es sich, dass Russendisko auch in den USA bekannt wurde.
Wie stellen Sie Ihre Publikationen vor?
Mit den Autoren geben wir regelmäßig Lesungen, überall in der Stadt. Diese Lesungen zu den Pamphleten des Propeller Verlags sind schon eher Routine geworden, sind aber immer wieder ein Erlebnis. – Alle diese Autoren bilden keine community, aber wir machen diese Lesungen gemeinsam und daraus entstehen auch Freundschaften, und mit manchen ist man gut bekannt.
Seit wann sind Sie im Berliner Wedding aktiv?
Seit 2002 bin ich ein stolzer Moabiter. Und in den letzten 20 Jahren habe ich viele Projekte beim Forum Soldiner Kiez gemacht. Bus M27 ist die von mir am häufigsten benutzte Buslinie. Und in einigen Galerien der Kolonie Wedding habe ich auch mitgewirkt. Die Galerie UHRWERK (Soldiner Str. 103) habe ich in den Jahren 2007 bis 2008 zusammen mit ATok (Alexander Tokarev) sogar geleitet.
In welchen Bereichen sind Sie künstlerisch tätig?
Ich bin Künstler! Ich habe an der Lomonossow-Universität Philologie, Russisch, Englisch und Literatur studiert. In Russland bin ich als Dichter bekannt.
In vielen Kunstarten außer Theater und Kino, obwohl ich die beiden auch angetastet habe. Ich bin als Dichter, Maler und Musiker Kabinet (Ska-Punk) bekannt. Aktiv bin ich auch als Graphiker, Comicsmacher, Redakteur und Übersetzer. Ich gestalte, setze und illustriere alle meine Publikationen. Auch nehme ich Aufträge an, wie z.B. illustrierte ich das im Lukas Verlag in 2000 erschienene Buch Sklavenmarkt – Utopie und Verlust, in dem dutzende Autoren publizierten.
Gespräch, Text und Fotos © Renate Straetling
LINKS
https://lyrikwiki.de/mediawiki/index.php/The_GAF
http://www.stadtlichter.berlin/comic-poesie-mit-ilia-kitup/
https://www.lukasverlag.com/programm/titel/223-sklavenmarkt-utopie-und-verlust.html
Hahn, A. und Paoli, G. (Hrsg.) Sklavenmarkt – Utopie und Verlust. Zum Werden und Vergehen einer Veranstaltungsreihe im Unterleib Berlins, Illustrationen I. Kitup, Lukas Verlag, 2000, ISBN 978–3 931836–58 0