Insbesondere in zentrumsnahen Stadtteilen wie Wedding sind die Anwohner besorgt wegen steigender Wohnkosten. Unter dem Motto „Wohnen muss bezahlbar bleiben“ lud die SPD-Bundestagsabgeordnete Dr. Eva Högl am Dienstag zu einer Diskussionsveranstaltung im Sprengelkiez ein.
Reuestimmung in der SPD
Rund 80 Personen kamen am Dienstagabend in den Lindengarten am Nordufer, darunter viele Anwohner aus Tiergarten und Wedding sowie Angehörige verschiedener lokaler Mieterinitiativen. Den Fragen der Gäste stellten sich außer Eva Högl auch Ephraim Gothe, Staatssekretär der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, die Bezirksverordnete Janina Körper sowie Siemen Dallmann, Anwohner im Sprengelkiez und Vorsitzender des Vereins „Aktiv im Kiez“.
Gleich zu Beginn der Veranstaltung wurde klar, dass mit Blick auf die Miet- und Wohnpolitik so etwas wie Reuestimmung in der SPD herrscht. Denn das Thema, gestand Eva Högl ein, sei lange Zeit politisch nicht ausreichend behandelt worden. Auch Ephraim Gothe zeigte sich selbstkritisch, beteuerte jedoch, das Thema sei „auf der politischen Agenda ganz nach oben geraten“.
Entspannung wird nötig sein
Ephraim Gothe gab einen ausführlichen Überblick über die Maßnahmen des Berliner Senats, die auf dem Wohnungsmarkt der Stadt für mehr Entspannung sorgen sollen. Entspannung wird auch nötig sein, denn man geht davon aus, dass Berlin bis 2030 um rund 250.000 Einwohner wachsen wird. Starker Zuzug wird vor allem für Ortsteile wie Pankow, Wedding und Tiergarten erwartet.
Der Berliner Senat hat bereits im vergangenen Jahr mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften ein Bündnis für soziale Wohnungspolitik geschlossen, das ein ganzes Bündel von Regelungen umfasst, um die Entwicklung des Wohnungsmarkts politisch stärker beeinflussen zu können. Teil der Vereinbarung ist zum Beispiel eine Erhöhung des Wohnungsbestands der Gesellschaften um rund 23.000 Wohnungen durch den Zukauf bestehender und den Bau neuer Wohnungen.
Auch eine Neuausrichtung in der Berliner Liegenschaftspolitik soll dazu führen, dass Grundstücke aus dem Besitz der Stadt nicht wie bisher möglichst gewinnbringend verkauft werden, sondern beim Verkauf stärker auf wohnungspolitische Ziele geachtet wird. Ein neues Gesetz soll zudem den spekulativen Leerstand sowie die Zweckentfremdung von Wohnungen eindämmen. Denn durch die Vermietung von Wohnraum als Ferienwohnung kann ein Vermieter bis zu viermal mehr Miete bekommen. Der Berliner Bevölkerung werden diese Wohnungen dadurch jedoch vom Wohnungsmarkt entzogen.
Eva Högl hält vor allem die starken Mietsteigerungen bei Neuvermietungen für problematisch. Hier sei eine Deckelung der Mieterhöhungen erforderlich, so dass Mieten innerhalb von vier Jahren nur um maximal 15% erhöht werden dürfen. Bisher sind es 20% in drei Jahren. Ebenso griff sie den Wunsch einiger Anwohner nach mehr Transparenz bezüglich der Eigentumsverhältnisse von Mietshäusern auf.
Gezielte Aufwertung
Am ehesten kontrovers diskutiert wurde über die gezielte Aufwertung sozial schwacher Wohngebiete, da sie natürlich im Verdacht steht, einer sozialen Verdrängung den Weg zu ebnen. Die Aufwertung der sozialen Struktur, so Gothe, sei jedoch alternativlos, wolle man zum Beispiel verhindern, dass junge Familien fortziehen, sobald ihre Kinder ins schulpflichtige Alter kommen. Die Bezirksverordnete Janina Körper, die – vielleicht etwas leichtfertig – das Reizwort „Gentrifizierung“ in einem durchaus affirmativen Sinn verwendete, wies darauf hin, dass die Aufwertung im engen Dialog mit dem jeweiligen Quartiersmanagement erfolgt, um soziale Verdrängungsprozesse zu verhindern. Statt sozial Starke ins Viertel zu locken, so ein Mitglied des Berliner Mietervereins, solle man vor allem versuchen, den Menschen vor Ort zu helfen.
Die Situation im Sprengelkiez
Im Verlauf des Abends wurde deutlich, dass die Mitglieder der Mieterinitiativen, die Maßnahmen des Berliner Senats zwar begrüßen, sich aber gleichzeitig auch kurzfristige Maßnahmen wünschen, um den Menschen zu helfen, die bereits jetzt ihre Mieten nicht mehr bezahlen können. So schilderte Siemen Dallmann seine Erfahrungen als Mietervertreter im Sprengelkiez, wo dies bereits bei vielen Mietern der Fall sei. Für Kiezbewohner, die ihre bisherige Wohnung verlassen, sei es fast unmöglich, wieder eine bezahlbare Wohnung im Viertel zu finden. Viele Mieter mit Migrationshintergrund, berichtete eine andere Anwohnerin, mussten bereits fortziehen. „Der Druck ist schon voll da“, fasste Dallmann die Situation zusammen. Er befürchtet, dass sich besonders im Sprengelkiez die Situation noch weiter verschärfen wird. An die Politik richtete Dallmann zudem die Bitte, neben dem Thema Miete auch die Problematik ständig steigender Nebenkosten nicht aus den Augen zu verlieren.
Verdrängung sozial Schwacher aus dem Kiez?
Als Dallmann am Ende der Veranstaltung einen erst seit drei Monaten im Sprengelkiez wohnenden Studenten darüber aufklärt, der Wedding sei noch vor einigen Jahren alles andere als angesagt gewesen, wurde vermutlich so manchem Besucher wieder bewusst, wie schnell und wie sehr sich die Situation im Wedding geändert hat. Nach den Jahren stagnierender Einwohnerzahlen, erleben vor allem die bisher als wenig attraktiv geltenden Stadtviertel eine Zeit des Umbruchs. Wenn die Politik nicht konsequent dagegen steuert, läuft der Wedding Gefahr, eine massenhafte Verdrängung der sozial schwachen Bevölkerung zu erleben. Bleibt zu hoffen, dass sich das Engagement der Mieterinitiativen auszahlt, und insbesondere auch deren Wunsch nach kurzfristigen Maßnahmen in der Politik Gehör findet. Viel Zeit bleibt nicht.
[…] zum Beweis, dass der Prenzlauer Berg längst im Wedding angekommen sei, werden dann die teils sprunghaft steigenden Mieten sowie die Ferienwohnungen aufgelistet und natürlich dürfen die Kinderwagenkolonnen auf der […]
Vielen Dank für den Bericht – wo anders als bei Euch bekäme man solche “lokalen” interessanten Artikel?
Vielen Dank für die Zusammenfassung!!
“Alternativlos” is übrigens ja wohl ein Witz, sowie Unwort des Jahres 2010.