Die Brauseboys schauen ab 13.12. wieder wochenlang täglich von der Bühne auf das Jahr zurück. Für den Weddingweiser wagen Sie den Blick auf ihr Jahr im Kiez. Was hat sich verändert, was hat für sie aufgehört, was hat angefangen. Die Weddinger Autoren berichten schonungslos.
Feuerzeug gefällig?
Ich habe den Spätkauf gewechselt. Nicht aus Unzufriedenheit, sondern weil ich in dem anderen Kiez nicht mehr so oft unterwegs bin. Eine Weile bin ich noch hingegangen, aus Verbundenheit und Gewohnheit. Aber dann dachte ich mir, dass ich doch den im Haus nebenan nutzen sollte, um Weg und Zeit zu sparen.
Der neue Spätkauf ist gewöhnungsbedürftig. Jedes Mal, wenn ich dort einen Tabak kaufe, wird mir ein Feuerzeug dazugelegt. Nach einigen Besuchen habe ich das Geschenk abgelehnt und darauf verwiesen, dass ich erstmal genug hätte. Aber das hielt nur bis zum nächsten Besuch. Vielleicht verletzte ich irgendein Ehrgefühl? Inzwischen vermute ich eher, dass sie die Dinger loswerden müssen. Da sind eine Menge vom LKW gefallen oder sie haben die bei einem Online-Händler für Werbeartikel bestellt und aus Versehen statt auf Tausend auf eine Million Stück geklickt. Womöglich ist der ganze Lagerraum voll damit und sie müssen die unters Volk bringen, egal wie. Bestimmt bekommen die auch alle Kunden, die keinen Tabak kaufen, sondern ein Bier für den Weg zur Party. „Dicker, kannst du Flasche mit aufmachen, weißt du.“ Oder Leute, die eine Flasche Wein kaufen. „Dicker, machst du Candlelight-Dinner? Kannst du Kerze mit anzünden.“
Ich habe meinen Widerstand inzwischen aufgegeben. Ich bin zwar inzwischen so oft da, dass sie mich als Art Stammgast betrachten dürften, aber das bringt sie nicht auf den Gedanken, dass ich genug von ihren Geschenken habe. Ich besitze aktuell eine Sammlung von etwa 38 Feuerzeugen in rot, blau und grün. Kann sein, dass ich demnächst wieder den Spätkauf wechseln muss, vielleicht gehe ich wieder zum alten. Bewegung hält schließlich gesund.
Robert Rescue
Meine Vision für den Wedding
Türkisch für Anfänger
Frau Celik, die Klassenlehrerin, berichtet auf dem Elternabend von der Möglichkeit freiwilligen Türkischunterrichtes. Weshalb sie nun Frau Öztürk ankündigt, wir horchen interessiert auf. Und gleich wieder weg. Denn Frau Öztürk beginnt umgehend mit einem Redeschwall, leider komplett auf Türkisch.
Sicherlich, in der Klasse dürften auch türkischstämmige Familien sein. Aber noch mehr arabischstämmige. Polnischstämmige. Schwarzafrikanischstämmige. Sogar westfälisch- und schleswig-holsteinstämmige. Nach ungefähr zehn Minuten frage ich mich, über was die Frau da eigentlich redet. Die Tagesgerichte aus dem Saray-Grill? Die Abendprogramme der Kulturvereine „nur für Mitglieder“? Eine Resolution zum Völkermord an den Armeniern? Wir wissen es nicht.
Nach zwanzig Minuten endet sie und schaut erwartungsvoll. Verwirrt blicken wir uns um. Sie sagt etwas, das wie eine Frage klingt. Wir schauen uns ratlos an. Frau Celik springt ein. Ob denn niemand Interesse habe? Nun fasst die Mutter von Güray sich ein Herz: „Woran denn?“ Frau Celik guckt überrascht, dann fragt sie, wer denn überhaupt Türkisch spreche? Es melden sich drei Elternteile. Frau Celik guckt etwas enttäuscht. Aber ob die denn nicht wenigstens Interesse hätten? Alle drei schütteln entschieden den Kopf. „Meine Tochter kann gut genug Türkisch“, sagt ein Vater, „Mein Junge hat genug mit Fußball zu tun“, sagt eine Mutter, „Türkisch interessiert uns nicht“, sagt die Dritte. Frau Celik übersetzt für Frau Öztürk, die will dann gehen.
Doch nun mischt die schleswig-holsteinische Fraktion sich ein. „Annalena würde gerne Türkisch lernen. Wir hätten Interesse.“ Frau Celik wehrt ab: „Tut mir leid“, sagt sie, „das geht nicht.“ Der Türkisch-Unterricht, erfahren wir, wird vom türkischen Konsulat finanziert und richtet sich nur an hier lebende Türken. Annalenas Mutter schnappt nach Luft: „Sie lassen also an einer städtischen Schule Vertreter des türkischen Staates Allah weiß was für Propaganda verbreiten, während andere Kinder von dem Angebot, eine weitere Fremdsprache zu erlernen, einfach ausgeschlossen werden?“ Frau Celik windet sich: „Berlin hat halt kein Geld. Und wenn das Konsulat es doch anbietet? Wenn einer von Ihnen einen Sanitärbetrieb hätte, würden wir es ja auch annehmen, wenn er kostenlos die Toiletten repariert.“
Vielleicht. Aber die dürfte dann ja wohl hoffentlich jedes Kind benutzen. Und die trichtern den Kindern auch nichts ein, sondern da können sie was rauslassen. Was mir erheblich sympathischer erscheint. Unseren türkischen Miteltern zum Glück auch. Es ist ja nicht so, dass es gar keine Hoffnung mehr gebe.
Heiko Werning
2018 als Multimediaereignis
„Sie haben mich ins Gesicht gefilmt, das dürfen Sie nicht!“, diktierte der sächsische LKA-Pegidist Maik G. der Lügenpresse ins Mikrofon. Die Brauseboys lassen sich das nicht zweimal sagen und filmen dem Jahr 2018 voll ins Gesicht: Was bleibt, und was verhallt ungehört in der Geschichte?
In ihren wöchentlichen Leseshows haben Thilo Bock, Robert Rescue, Frank Sorge, Volker Surmann und Heiko Werning 2018 intensiv beobachtet und kommentiert, nun präsentiert die Weddinger Vorlese-Boygroup ihren Jahresrückblick. Ein Abend zwischen Diesel und Chemnitz, überraschenden Gipfeln und spielerischen Niederlagen, zwischen Trumptweets, Erdoganfotos und Gaulands verschwundener Badehose.Satire vom Blatt, Liedgut vom Klavier und Bilder von der Wand. – Ein Multimediaereignis!
Alle Vorstellungen im Comedyclub Kookaburra
Schönhauser Allee 184, Berlin-Mitte
Karten: 030⁄4862 3186, Ticket-Link
Nächster Teil am 8. Dezember