Die Wohnhäuser auf dem südlichen Campus der Bayer AG stehen weiterhin auf Abriss. In der Tegeler Straße 2–5 sowie der Tegeler Straße 6–7 und der Tegeler Straße 1/ Fennstraße 33 /34 darf den Mietern gekündigt und dürfen die vorhandenen Mietshäuser abgerissen werden. Darauf verwies das Bezirksamt in mehreren Vorlagen an die BVV im September. Ansprüche der Mieter auf ein Sozialplanverfahren wie in Sanierungsgebieten bestehen zwar nicht. Mit der Bayer AG sei allerdings vereinbart, die sozialen Verhältnisse der Mieterschaft zu berücksichtigen.
Schon im Baunutzungsplan für Berlin aus den Jahren 1958–60 ist der betroffene Bereich als "beschränktes Arbeitsgebiet" festgelegt. Seitdem ist dort Wohnen planungsrechtlich nicht mehr zulässig. Der Entwicklung von Industrie und Gewerbe hat Priorität, es dürfen keine neuen Wohngebäude errichtet werden. Der Altbaubestand genießt zwar Bestandsschutz, aber kein Grundstückseigentümer kann genötigt werden, diesen auch in Anspruch zu nehmen. Will er die Gebäude abreißen lassen, kann der Weiterbestand der Wohnnutzung nicht gefordert werden. Selbst wertsteigernde Modernisierungsmaßnahmen an den Wohnungen sind in diesem Gebiet unzulässig. Auch der aktuelle Flächennutzungsplan Berlins sieht an dieser Stelle eine gewerbliche Nutzung vor. Alle Versuche, den Bestand der Wohnhäuser planungsrechtlich zu sichern, wären somit zum Scheitern verurteilt, auch das Zweckentfremdungsrecht greift in diesem Falle nicht.
"Der Abriss der Wohngebäude kann also nicht verhindert werden", so schlussfolgert das Bezirksamt. Die Rechts- und Sachlage sei intensiv auch unter Einbeziehung neuester Rechtsgutachten geprüft worden. Auch die Voraussetzungen für die förmliche Erstellung eines Sozialplans fehlten im vorliegenden Fall. Dennoch, so teilt das Bezirksamt mit, habe sich die Bayer AG bereit erklärt, "ein Verfahren durchzuführen, welches die Ziele eines Sozialplans aufgreift und verfolgt. Zur Abmilderung der voraussichtlich aus der Umsetzung des Bebauungsplans resultierenden nachteiligen Auswirkungen auf die persönlichen Lebensumstände der in dem Gebiet wohnenden Menschen wird die Bayer AG bei der Entmietung der Wohnhäuser die sozialen Verhältnisse der Mieterschaft berücksichtigen und sie bei der Suche nach neuem Wohnraum unterstützen." Betroffen sind insgesamt etwa 140 Wohnungen. Ein Zeitplan über deren Abriss ist dem Bezirksamt Mitte nicht bekannt.
Im kommenden Jahr wird auf dem Bayer-Campus in Kooperation mit der Charité mit reichlich öffentlicher Förderung das "Berlin Center for Gene and Cell Therapies" errichtet – ein Leuchtturmprojekt nicht nur der Berliner Wissenschaftspolitik, sondern auch des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Hier sollen junge Forscherinnen und Forscher aus aller Welt ideale Bedingungen für die Neugründung von Firmen vorfinden. "Life Science" gilt als Wachstumsbranche. Zwar ging im vergangenen Jahr der Umsatz der Branche in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr zurück. Aber nur wegen einer einzigen Firma: Rechnet man BionTech heraus, das in den Jahren zuvor während der Pandemie gigantische Umsätze mit seinem Corona-Impfstoff gemacht hatte, dann stieg auch 2023 der Branchenumsatz um fast 8 %. Noch stärker erhöht sich freilich die Zahl der in der Branche Beschäftigten. Und nicht zuletzt boomen die Biotech-Aktien. Der starke Anstieg der Beschäftigung in dieser Branche korrespondiert mit einer Steigerung des Raumbedarfs. Geht das Konzept des "Inkubators" auf dem Bayer-Campus also auf, dann wird sich in dessen unmittelbaren Umfeld vermutlich ein Bedarf an Gewerbeeinheiten mit einer sehr speziellen Laborausstattung entwickeln. Das neue Forschungszentrum entsteht zwar auf dem Geländeteil südlich der Fennstraße, also in einem Abschnitt des BayerCampus, in dem keine Wohnhäuser stehen. Aber wenn sich einzelne Start-Ups erfolgreich entwickeln und die Bayer AG sie unter ihre finanziellen Fittiche nimmt, dann wird sie mehr Räume für sie auf ihrem Campus benötigen. Spätestens dann würde auch der Abschnitt des Bayer-Campus an der Tegeler Straße ins Blickfeld rücken.
Autor: Christof Schaffelder
Dieser Artikel erschien zuerst in der Sanierungszeitschrift "Ecke Müllerstraße"