Mastodon

Das Jahr aus Sicht der Brauseboys (Teil 2)

29. Dezember 2017
Blick auf die Mül­lerstr. Foto: D_Kori

In ihrem zwölf­ten Jah­res­rück­blick stel­len die Brau­se­boys erst­mals posi­ti­ve Nach­rich­ten ins Zen­trum: Ber­lin hat neue Pan­das! Orkan­tief Xavier sorgt für Voll­be­schäf­ti­gung in der Forst­wirt­schaft! Air Ber­lin senkt sei­ne Kli­ma-Emis­sio­nen auf Null! Trumps Fri­sur hat das gan­ze Jahr gehal­ten! Weder er noch Kim Jong-Un haben den 3. Welt­krieg begon­nen! Noch nie woll­ten so vie­le Par­tei­en in Deutsch­land nicht regie­ren! Im zwei­ten Teil prä­sen­tie­ren wir hier Tex­te aus dem Herbst und dem Winter. 

Herbst

Erkennt­nis vor schlaf­lo­ser Nacht In der Stra­ßen­bahn zeigt ein Jun­ge mit gro­ßer Zahn­lü­cke sei­ner Schwes­ter und der Mut­ter den Vogel. „Es gibt kei­ne Zahn­fee!“, ruft er empört. „Seid ihr behindert?“

(Thi­lo Bock)

real,-Estate

„Guten Tag, hät­ten Sie kurz Zeit? Ich möch­te Ihnen etwas empfehlen.“
„Ich wür­de mir ja sel­ba emp­feh­len, da nich druff ein­zu­jehn, aber in Ord­nung – weil heu­te ver­kaufs­of­fe­ner Sonn­tag is.“
„Es ist doch aber Mittwoch?“
„Jun­ger Mann, ick weeß, ‘Car­pe Diem’ erscheint Ihnen jetzt noch wie’n Witz, aber dit ändert sich. Ihre Zeit looft ab.“
„Woh­nen Sie hier im Kiez?“
„Seh ick aus wie’n Tou­rist? Ick helf’ Ihnen mal: Wat wolln Se mir denn empfehlen?“
“Eine neue Woh­nung! Hier gleich über dem Supermarkt.“
„Uffm Super­markt? Seh’ ick aus wie ‘ne Taube?“
„Was?“
„Ne Taube.“
„Ne Taube?“
„Sind Se taub?“
„Nein, aber ich ver­ste­he nicht ganz…“
„Sind Sie ‘ne Taube?“
„Der Vogel? Ich den­ke nicht.“
„Sehn Se, da ham wir end­lich wat jemein­sam. Also war­um soll ick uffm Dach wohnen?“
„Eine güns­ti­ge Mie­te, ein Park­platz, zen­tra­le Lage und… direk­ten Super­markt­an­schluss! Na, wie wär’s?“
„Ach, wenn der Weg zum Ein­koofen weg­fällt, beweg’ ick mich janich mehr. Nee, ehr­lich, uff som Blech­dach woh­nen wär mir ooch’n biss­chen zugig.“
„Aber wir bau­en da doch Woh­nun­gen drauf.“
„Ach so, sagen Se dit doch gleich. Jibs da ooch Treue­punk­te uff die Miete?“
„Öh, vielleicht.“
„Na, klärn Se dit mal.“

(Frank Sor­ge)

Halloween

Ich bin ja ein gro­ßer Freund von Hal­lo­ween. Das Geschimp­fe von Käß­mann & Co. dar­auf ist nur einer von vie­len Grün­den, war­um ich das Fest so sehr mag. Des­we­gen habe ich natür­lich auch in die­sem Jahr alles bereit­ge­stellt, wenn die Kin­der nach­her kom­men und „Süßes oder Sau­res“ piep­sen. Zwei Tüten Wert­hers Ech­te für 1,99 Euro das Stück, da klin­geln die Kas­sen fürs böse Kom­merz­fest. Ich sit­ze am Schreib­tisch und war­te dar­auf, dass end­lich Kin­der bei mir vor­bei­kom­men. Um 18 Uhr begin­ne ich, ich mich zu wun­dern. Es ist längst dun­kel, aber es ist noch immer nichts pas­siert. Ich gehe miss­trau­isch an die Tür und klin­ge­le – doch, funk­tio­niert. Na gut, war­ten wir eben wei­ter. 18.30 Uhr. Kein Kind klin­gelt. Ver­dammt, sonst um die Zeit war ich die ers­te Tüte Bon­bons doch schon los. Was ist denn los da drau­ßen? Sind die plötz­lich alle evan­ge­lisch gewor­den oder was? 19 Uhr. Immer noch kom­plet­te Kin­der­lo­sig­keit. Es ist so depri­mie­rend. Um 19.30 Uhr reicht es mir. Ent­schlos­sen packe ich mei­ne Kara­mell­bon­bons ein und zie­he los. Als ich drau­ßen vor die Haus­tür tre­te, bin ich zunächst kurz irri­tiert. Es ist eini­ges los auf der See­stra­ße, und ganz offen­sicht­lich sind zahl­rei­che Grüpp­chen von Hor­ror­ge­stal­ten unter­wegs. War­um denn bloß haben die dies­mal nicht bei mir geklin­gelt? Dann schaue ich noch mal genau­er hin und sehe: Ach nein, das sind doch bloß die ganz nor­ma­len Weddinger.

Dann set­ze ich mir eine Darth-Vader-Mas­ke auf und klin­ge­le bei Erem, einem Jun­gen aus der Nach­bar­schaft. Per­fekt: Er ist zu Hau­se und macht mir sogar die Tür auf. „Nimm mein Süßes, sonst gibt es Sau­res“, fah­re ich ihn zur Begrü­ßung an. Aber noch ehe ich die Werther’s Ech­te aus mei­nem Lei­nen­beu­tel fin­gern kann, steht Erems Vater an der Tür, mit einer Hand vol­ler Süßig­kei­ten, die er mir dort hin­ein­stopft. Dann guckt er kurz irri­tiert zu mir hoch und sagt: „War­te, Jun­ge, ich habe noch mehr. Du siehst aus, als könn­test du auch etwas mehr ver­tra­gen.“ Verdammt.

Auch bei der Toch­ter der Len­kow­skis ver­läuft der Besuch nicht plan­mä­ßig. Die Mut­ter macht auf, erkennt mich und seufzt, „Pau­la ist nicht da. Die woll­te zu den Groß­el­tern nach Köln, um hier Hal­lo­ween nicht her­um­lau­fen zu müs­sen. Sie sagt, das ist ihr zu anstren­gend für die paar Kamel­len, sie hat ja noch nicht mal die vom Kar­ne­vals­be­such bei Oma auf bislang.“

Bei Pas­cal von den Schul­zes gegen­über immer­hin habe ich Glück, der Jun­ge ist da und kommt erwar­tungs­voll zur Tür gelau­fen. Die Darth-Vader-Mas­ke fin­det er cool, die Werther’s Ech­ten will er trotz­dem nicht. „Och nö, ich steh nicht so auf Bon­bons, das ist doch lang­wei­lig. Hast du nichts Ordent­li­ches dabei?“ „Was Ordent­li­ches?“ Ich stau­ne. Ist es doch schon so schlimm mit dem Kon­sum­den­ken der Kin­der? „Heu­te Nach­mit­tag waren wir beim Kin­der­got­tes­dienst in der evan­ge­li­schen Kir­che, da gab es wenigs­tens eine Luther-Play­mo­bil-Figur für jeden!“

Depri­miert will ich davon schlei­chen, als neben­an die Woh­nungs­tür auf­geht. Eine älte­re Dame steht dar­in. „Ent­schul­di­gen Sie“, schnarrt sie, „ich habe das gera­de nur mit hal­bem Ohr mit­be­kom­men. Sind Sie wegen Hal­lo­ween da?“ Erstaunt schaue ich sie an. „Äh … ja, irgend­wie schon, aber …“, ver­su­che ich zu erklä­ren, aber da schüt­tet sie mir schon einen Hau­fen Bon­bons in mei­nen Beu­tel. „Na end­lich!“, sagt sie, „und ich dach­te schon, es kommt heu­te gar kei­ner mehr.“

(Hei­ko Werning)

Wieder mal Mittelpromenade Teil 359

„Die Cur­ry­wurst mit Darm oder ohne?“

„Nor­mal“

„Nor­mal sind bei­de. Ich woll­te wis­sen, ob mit Darm oder ohne?“

„Ich neh­me die normal.“

„Ein letz­tes Mal: Mit oder ohne?“

„Nicht scharf­ge­würzt. Normal.“

„Also gut, mit Darm. Kommt auf die Pom­mes was drauf?“

„Senf.“

„Senf?“

„Ja, Senf.“

„Okay.“

„Moment, ich habe mich geirrt. Ich will Mayon­nai­se auf die Pom­mes und Senf auf die Currywurst.“

„Senf auf die Currywurst?“

„Ja.“

„Mit Ver­laub, sie sind per­vers. Aber wenn es ihnen bekommt, sol­len sie haben, was sie wollen.“

(Robert Res­cue)

Winter

Advent, Advent, das Marktlicht brennt

Der Mann vor mir an der Kas­se, nach Ansicht eines Info­zet­tels: “Oh, Sonn­tag ist verkaufsoffen?”

Ver­käu­fe­rin: “Ja.”

Der Mann: “Sonn­tag, wirklich?”

Ver­käu­fe­rin: “Ja, da wol­len alle einkaufen.”

Der Mann: “Am Sonn­tag, wirklich?”

Ver­käu­fe­rin: “Nein.”

Der Mann: “Ach so, aber es ist offen?”

Ver­käu­fe­rin: “Ist doch toll.”

Der Mann: “Ja.”

Ver­käu­fe­rin schweigt.

Der Mann: “Ist das denn immer?”

Ver­käu­fe­rin: “Nein, nur die­sen und zwei Wochen später.”

Der Mann schweigt.

Ich den­ke: “Frag nicht war­um, frag nicht war­um, frag nicht warum.”

Der Mann: “War­um?”

Ver­käu­fe­rin: “Ostern.”

Der Mann nickt ver­hal­ten, bezahlt und geht. Viel­leicht geht ihm ja Sonn­tag ein Licht auf.

(Frank Sor­ge)

Karstadt

Bei den Kin­dern deu­tet sich eine Sprach­ex­plo­si­on an, aus den ers­ten hun­dert Ein­zel­wör­tern wer­den Kom­bi­na­tio­nen gebil­det und täg­lich neue Par­ti­kel dazu­ge­lernt. Das ist so wun­der­sam zu beob­ach­ten, wie das Zusam­men­fin­den ers­ter Eiweiß­par­ti­kel zu pri­mi­ti­ven Bak­te­ri­en, die einen mit Leben über­wu­cher­ten Pla­ne­ten erge­ben. Auch der Urknall stinkt dage­gen im Grun­de ab, man­gels stau­nen­der Zuschau­er. Als Papa Poe­tus ach­te ich natür­lich dar­auf, dass ihr ers­ter Sprach­teich der Erkennt­nis mög­lichst natur­be­las­sen bleibt. Ein siche­res Ter­rain bil­det, ein ele­men­ta­rer Grund­stock, bevor der gan­ze Wahn­sinn unse­rer glo­ba­len Sprach­ex­plo­si­on über sie hereinbricht.

“Kommt, Kin­der, wir gehen noch zu Kar­stadt”, sagen wir unbe­darft, und mein Sohn reckt freu­dig den Kopf nach vor­ne und sagt: “Kar­stadt.”

“Wow, er hat Kar­stadt gesagt”, sagt mei­ne Freun­din, dar­auf er: “Kar­stadt, Kar­stadt, Karstadt.”

“Puh, willst du nicht lie­ber was ande­res sagen”, ver­su­che ich abzu­len­ken, “ein schö­ne­res Wort, wie ges­tern zum Bei­spiel: Eich­hörn­chen. Sag doch noch mal Eichhörnchen!”

“Kar­stadt.”

Ob er über­haupt weiß, was Kar­stadt ist, fra­gen wir uns auf dem Weg die Mül­lerstra­ße ent­lang. “Guck mal, ein Kran”, rufe ich Rich­tung Kin­der­wa­gen. Aus dem aber dringt nur her­aus: Karstadt.

In Sicht­wei­te des Kauf­hau­ses dann die Gewiss­heit. Er zeigt sogar drauf. Die Box mit dem Kin­der­puz­zle, die wir dort erwer­ben, hält er den gan­zen Rück­weg in fes­tem Griff. Und auch beim Ein­schla­fen hören wir ihn lei­se säu­seln: Kar­stadt. Es liegt nicht mehr in unse­rer Hand.

(Frank Sor­ge)

Worst Talk mit Miriam

„Wie geht es dir?”, fragt mich Miri­am am Tre­sen der Stamm­knei­pe. Ich zie­he ein Gesicht, denn ich kann die­se Fra­ge nicht lei­den. Die Leu­te wol­len ein „Gut“ oder „Schlecht“ hören. Bei „Gut“ sagen sie „Och, wie schön“ und bei „Schlecht“ ant­wor­ten sie gar nicht. „Weißt du, wenn du mit mir hier im Laden zu tun hast, dann musst du so eine Fra­ge erwar­ten. Ich will wis­sen, wie es den Leu­ten geht. Dar­auf musst du dich ein­stel­len, dass ich abso­lut wis­sen will, wie es den Leu­ten geht.”

Flos­kel, den­ke ich und über­le­ge, ihr das zu sagen. Wenn sie eine ehr­li­che Ant­wort will, wer­den wir ein lan­ges Gespräch haben. Ich kann es ver­kür­zen, indem ich ihr die Ant­wort gebe, die sie erwar­tet: „Gut.” Aber dar­auf habe ich kei­ne Lust. Kei­ne Lust auf ihre Fra­ge und mei­ne Ant­wort. Außer­dem wäre mei­ne Ant­wort gelo­gen. „Ich habe neu­lich eine Geschich­te geschrie­ben”, begin­ne ich und will ihr ein Fall­bei­spiel nen­nen, wie ich mit die­ser Flos­kel sonst umgehe.

„Wann tau­che ich mal in einer dei­ner Geschich­ten auf?”, unter­bricht sie mich. „Ich bin schon in einem sei­ner Tex­te auf­ge­taucht”, meint Klaus, der neben uns steht. „Nicht gut weg­ge­kom­men, wenn ich mich recht entsinne.“

„Zu Recht“, sage ich in sei­ne Rich­tung. Dann wen­de ich mich wie­der Miri­am zu.

„Also in der Geschich­te geht es dar­um, wie ich bei mei­nem Nach­barn klingele …”

„… War­te, ich muss mir gera­de eine Audio-Nach­richt spei­chern”, unter­bricht Miri­am. Sie nimmt ihr Smart­phone, steht auf und geht in den Neben­raum. Gut, den­ke ich, das Gespräch ist zu Ende und sie hat sich 15 Sekun­den Zeit für mich genommen.

(Robert Res­cue)

__

Thi­lo Bock, Robert Res­cue, Frank Sor­ge, Vol­ker Sur­mann und Hei­ko Wer­ning zie­hen  ihr Fazit aus 2017: „Soll­te auch mor­gen die Welt unter­gehn, las­set uns heu­te noch Pan­das ansehn!“

Vom Diens­tag, 26.12. bis Sams­tag, 06.01., täg­lich um 20 Uhr

Nach­mit­tags­vor­stel­lun­gen: Fr. 29.12. – So. 31.12., täg­lich um 16 Uhr

Sil­ves­ter-Mati­née: So. 31.12., 12 Uhr

Bis zum 6.1.2018 sind die Brau­se­boys fast täg­lich mit ihrem Jah­res­rück­blick Auf Nim­mer­wie­der­se­hen 2017 im Kooka­bur­ra. Schön­hau­ser Allee 184. Ber­lin-Prenz­lau­er Berg.

Gastautor

Als offene Plattform veröffentlichen wir gerne auch Texte, die Gastautorinnen und -autoren für uns verfasst haben.

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.

MastodonWeddingweiser auf Mastodon
@[email protected]

Wedding, der Newsletter. 1 x pro Woche



Unterstützen

nachoben

Auch interessant?