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“Das Blaue Band” vereint gelungene Arbeiten

19. Juni 2014
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Bei der Eröff­nungs­ver­an­stal­tung der 16 Pla­kat­wän­de des „Blau­en Bands“ war ein kri­ti­scher Ein­wand zu hören. Es wur­de gefragt: „War­um bekom­men die Künst­ler kein Geld?“ Aber genau die­ser Ein­wand könn­te im über­tra­ge­nen Sin­ne das Mot­to der Ver­an­stal­tung sein. Dass die Stand­ort­Ge­mein­schaft Mül­lerstra­ße e.V. Kunst­wer­ke auf Pla­kat­wän­den auf dem Mit­tel­strei­fen ihrer Ein­kaufs­stra­ße prä­sen­tiert, ist eine gute und span­nen­de Idee. Ein Ziel die­ser Orga­ni­sa­ti­on ist es, die orts­an­säs­si­gen Gewer­be­trei­ben­den zu för­dern. Kul­tur­schaf­fen­de betrei­ben eben auch ein Gewer­be – auch wenn vie­le von ihnen nicht ger­ne dar­über spre­chen – sie pro­du­zie­ren und ver­mark­ten qua­si die „Ware Kunst“ oder eben ihre „Krea­ti­vi­tät“. Sie sind ein Teil des­sen, was heu­te neu­deutsch Krea­tiv­wirt­schaft genannt wird.

Die Idee

Der Name der Veranstaltung,„das Blaue Band“, ist mit Bedacht gewählt wor­den. Dabei steht für die Initia­to­ren die Far­be blau für die Hoff­nung und das Band für das Her­stel­len von Ver­bin­dun­gen. Bei­des, Hoff­nung zu stif­te­ten und Mensch zusam­men zu brin­gen, das ist den Initia­to­ren mit dem Pro­jekt gelungen.

Dabei geht die­se Kunst­ak­ti­on vor allem weit über die Deko­ra­ti­on einer Ein­kaufs­stra­ße hin­aus. Um dies zu erfas­sen, ist es aller­dings not­wen­dig, sich Zeit zu neh­men und etwas genau­er hin­zu­schau­en. Dass sich nicht an „renom­mier­te“ aus­wär­ti­ge Kul­tur­schaf­fen­de gewandt wor­den ist, war auch eine gute Ent­schei­dung. So folgt die­se Kunst­ak­ti­on rich­ti­ger­wei­se dem Grund­satz: „Sup­port your local Heroes“. Posi­tiv her­vor­zu­he­ben ist auch, dass die Arbei­ten nicht noch ein­mal mehr die her­kömm­li­chen „Wed­ding­kli­schees“ repro­du­zier­ten. Das liegt vor allem an dem gut for­mu­lier­ten Auf­ruf. Die Krea­ti­ven soll­ten eben nicht „DEN“ Wed­ding abbil­den. Das Mot­to hieß „Mein Wed­ding“. Damit waren sie auf­ge­for­dert, sich mit ihrer per­sön­li­chen Sicht auf die­sen Teil von Ber­lin aus­ein­an­der­zu­set­zen. Von daher zeigt sich hier eine Viel­zahl sehr unter­schied­li­cher und span­nen­der Sicht­wei­sen. So wer­den die eige­nen Arbei­ten prä­sen­tiert, der eige­ne All­tag dar­ge­stellt und kom­men­tiert, in die Geschich­te des Wed­dings geblickt und Fra­gen an die Zukunft des eins­ti­gen Arbei­ter­be­zir­kes gestellt.

Die einzelnen Werke


Die Pla­ka­te von Han­na Dobs­law – Lei­te­rin des Kinos Alham­bra und ers­te Vor­sit­zen­de der Stand­ort­Ge­mein­schaft – bil­den so etwas wie den räum­li­chen Anfang und das Ende der Pla­kat­ak­ti­on. Sie zeigt in der Foto­col­la­ge – auf den nörd­li­chen Teil die Mül­lerstra­ße – ihren Blick auf den Stra­ßen­zug mit ihren Obst, Gemü­se und Blu­men­ge­schäf­ten. Auf dem Pla­kat am S‑Bahnhof Wed­ding wird „ihr“ Film­thea­ter als Ort mit Geschich­te sowie unter­schied­lichs­ter Kul­tur­ver­an­stal­tun­gen gezeigt.

Ricki, die wache Beob­ach­te­rin der Stadt­na­tur, for­dert uns gera­de­zu her­aus unser Umfeld sen­si­bler wahr­zu­neh­men. Sie bil­det eine far­ben­fro­he Stau­den­mohn­knos­pe ab, eine Pflan­ze die sich auf dem Rat­haus­vor­platz foto­gra­fiert hat. Dem gegen­über knüpft Enri­co Asmis mit sei­nem Schwar­z/­weiß-Foto an eine All­tags­er­fah­rung an. Er zeigt einen wie ein Schnapp­schuss wir­ken­des Bild von der Mül­lerstra­ße bei Nacht. Dabei scheint er wie zufäl­lig ein schnell vor­bei­fah­ren­des Poli­zei­au­to ein­ge­fan­gen zu haben.

Vol­ker Kuntzsch hin­ge­gen nimmt uns auf sei­nem Foto mit auf die Dach­ter­ras­se sei­nes Arbeits­plat­zes. Zu sehen ist ein wei­ter Him­mel sowie ein dop­pel­ter Regen­bo­gen. Die Dimen­si­on die­ses Natur­er­eig­nis­ses scheint dem Medi­en- und Mar­ke­ting­pro­fi an die Begrenzt­heit der eige­nen Arbeit gegen­über der Kraft der Natur vor­zu­füh­ren. Dem­ge­gen­über prä­sen­tiert Anke Rom­mel auf ihrem Pla­kat das bekann­tes­te Wed­din­ger T‑Shirt-Motiv ihres Mode­la­bels „aro­shi“, eine rote Flä­che sowie die his­to­ri­sche Post­leit­zahl „N 65“.

Auch die Mul­ti­me­dia-Künst­le­rin Mag­da­le­na Wie­gner – bekannt u.a. durch das Video für das DJ Team die „Ost­block­schlam­pen“ – gibt einen guten Ein­blick in ihre Arbeit. Sie lässt ihre insek­ten­ähn­li­chen Figu­ren in einer düs­te­ren Zukunfts­vi­si­on den U‑Bahnhof Wed­ding bele­ben. Anja Poll­now befasst sich schon län­ger damit, Kunst­wer­ke an die Stel­le von Wer­be­pla­ka­ten zu set­zen. Sie zeigt eine Col­la­ge, in der sie eine Foto­ar­beit zum The­ma „Mas­se-Mensch“ in eine Wer­be­flä­che eines typi­schen Ber­li­ner Miets­hau­ses montiert.

Auf dem Pla­kat von Sula­mith Sall­mann, die mit einem Foto gan­ze Geschich­ten erzäh­len kann – ist ein roter Damen­schuh zu sehen. Die­ser scheint wie ein Schiff in einem Fluss zu schwim­men. Bei genaue­rem Hin­se­hen ent­puppt sich der Fluss als Püt­ze eines blau­en Plansch­be­ckens. Da sich das Haus in der Pfüt­ze spie­gelt, wird auch schnell der Ort erkenn­bar, an dem sie das Foto auf­ge­nom­men hat: das Haus der Jun­gend am Naue­ner Platz.

Han­nes Hoeh­lig – der weni­ge Meter ent­fernt eine gro­ße Street Art-Arbeit geschaf­fen hat – ver­ar­bei­tet den Buch­sta­ben „W“ des Wed­ding zu einer US-ame­ri­ka­ni­schen Dol­lar­no­te. Er zeigt, was in der Zukunft die Stadt­ent­wick­lung im Wed­ding bestim­men wird, näm­lich schlicht das Geld oder bes­ser das Kapital.

Auch die Künst­le­rin Hei­de­ma­rie Kun­ert blickt in die Zukunft des eins­ti­gen Arbei­ter­be­zir­kes. Sie mon­tiert die Abbil­dung eines ihrer Kunst­wer­ke in ein Foto des Grün­strei­fens der Ota­wi­st­ra­ße. Damit soll u.a. auf die Oper-Air-Gale­rie auf­merk­sam gemacht wer­den, die dort nach den Wün­schen von Jochen Schim­mel­pen­ninck unter gro­ßer Betei­li­gung der Bewoh­ner ent­ste­hen soll.
Die für ihre sen­si­blen Beob­ach­tun­gen des All­tags­le­bens bekann­te Künst­le­rin Sabri­na Püt­zer bil­det einen Jun­gen mit migran­ti­schen Hin­ter­grund ab (wir hat­ten dar­über berich­tet). Das Beson­de­re ist, dass sie nicht der ste­reo­ty­pen Dar­stel­lung von posen­den jun­gen Män­nern mit Base­cape folgt, son­dern einen eher unschein­ba­ren Jun­gen aus der Nach­bar­schaft dar­stellt. Der Stand­ort der Arbeit hät­te nicht bes­ser gewählt wer­den kön­nen – sie befin­det sich in unmit­tel­ba­re Nähe zum Rat­haus – so kann sie als Mah­nung an die Poli­tik und die Ver­wal­tung gele­sen wer­den, immer ein waches Auge auf die Ent­wick­lun­gen im Wed­ding zu behalten.

Der mit dem Wed­ding stark ver­bun­de­ne Künst­ler Uwe Bes­sem zeigt eine gra­fi­sche Arbeit, in der er sei­nen Spren­gel­kiez dar­stellt, hier sind unter ande­rem die Oster­kir­che und der Torf­stra­ßen­steg zu erken­nen. Sieg­fried Lin­den­au befasst sich in sei­ner far­bi­gen Foto­col­la­ge mit dem Umgang des Rathen­au-Denk­ma­les im Volks­park Reh­ber­ge u.a. in der NS-Zeit. Die Natio­nal­so­zia­lis­ten hat­ten das Denk­mal aus poli­ti­schen und ras­sis­ti­schen Grün­den ein­ge­schlos­sen und dar­aus das Schil­ler­denk­mal für den Schil­ler­park gegossen.
Die für ihre asso­zia­ti­ven Foto­kol­la­gen bekann­te Chris­ti­ne Nuss­baum kom­men­tiert den Namen des U‑Bahnhofes See­stra­ße. Hier­zu mon­tiert sie an bei­de Sei­ten das Gelän­der auf einem Foto des U‑Bahneingangs jeweils einen Fisch, so dass der Ein­druck ent­steht, dass die­se jeweils in die ent­ge­gen­ge­setz­te Rich­tung schwimmen.

Plakative Präsenz von Kreativen

Bei dem Pro­jekt han­delt es sich um eine gelun­ge­ne Kunst­ak­ti­on. Vor allem ist sie geeig­net, kri­ti­sche Fra­gen zu stel­len: Wie und womit ver­die­nen Künst­ler eigent­lich Ihre Geld? Wie teu­er muss ein Kunst­werk eigent­lich sein? Wie vie­le Kunst­wer­ke muss ein Künst­ler im Jahr ver­kau­fen, damit er damit sei­nen Lebens­un­ter­halt bestrei­ten kann? Was der Prä­sen­ta­ti­on aller­dings fehlt – und das wird beim nächs­ten Durch­gang sicher ver­bes­sert – ist ein Ver­zeich­nis mit den Adres­sen und Links der Betei­lig­ten sowie einer Kurz­do­ku­men­ta­ti­on der Arbei­ten. Erst dann wer­den die Pla­kat­wän­de wirk­lich zu einem Wer­be­trä­ger der Kreativen.

Vie­le der hier ver­tre­te­nen Künst­ler haben in unter­schied­li­chen Kon­tex­ten bereits zusam­men­ge­ar­bei­tet, z.B. beim Wed­ding­markt oder dem Kul­tur­fes­ti­val Wed­ding und Moa­bit. Aller­dings scheint der Auf­bau eines sich selbst­or­ga­ni­sie­ren­den Netz­wer­kes, das sich mit den Fra­gen um die Kul­tur­po­li­tik, der Kul­tur­pro­duk­ti­on und einer Pro­fes­sio­na­li­sie­rung der Krea­ti­ven aus­ein­an­der­setzt, nicht gewollt zu sein. Abge­lehnt wird die­se über den Tel­ler­rand des Wed­ding hin­aus schau­en­de Insti­tu­ti­on, trotz ent­spre­chen­der zur Ver­fü­gung ste­hen­der För­der­töp­fe. Vor allem lei­der von Jenen, die sich heu­te vor Ort als legi­ti­me Ver­tre­ter ihrer Zunft positionieren…

Autor: Eber­hard Elfert

alle Pla­kat­mo­ti­ve zum Nachsehen

Han­na Dobslaw

http://www.muellerstrasse-wedding.de/muellerstrasse-standortgemeinschaft.html

http://www.cineplex.de/berlin-alhambra/

Vol­ker Kuntzsch

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Anke Rom­mel

http://www.aroshi.de/

Mag­da­le­na Wiegner

mag­da­le­na wiegner

https://www.youtube.com/watch?v=tz_Pph73BJo

https://www.youtube.com/watch?v=40zMTiOaLBg&list=PLZAU_HD5qU8xaEh157cUSK3Y7D8mfWwXE

http://www.behance.net/orble

Anja Poll­now

http://www.apoloy.com/

Sula­mith Sall­mann,

http://sulamith-sallmann.de/blog/

Han­nes Hoehlig

http://www.youtube.com/watch?v=VAoY2ZggEPI

Hei­de­ma­rie Kunert

http://heidemarie-kunert.bildkunstnet.de/

http://www.werkkunststudio.de/

Sabri­na Pützer

http://diorama-berlin.com/

Uwe Bess­sem

http://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=bl&dig=2008%2F11%2F05%2Fa0126&cHash=924231d54a9e9373bf6e25e98d3ac57d

Wed­ding­markt

https://de-de.facebook.com/weddingmarkt http://weddingmarkt.wordpress.com/

 

 

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