Bei der Eröffnungsveranstaltung der 16 Plakatwände des „Blauen Bands“ war ein kritischer Einwand zu hören. Es wurde gefragt: „Warum bekommen die Künstler kein Geld?“ Aber genau dieser Einwand könnte im übertragenen Sinne das Motto der Veranstaltung sein. Dass die StandortGemeinschaft Müllerstraße e.V. Kunstwerke auf Plakatwänden auf dem Mittelstreifen ihrer Einkaufsstraße präsentiert, ist eine gute und spannende Idee. Ein Ziel dieser Organisation ist es, die ortsansässigen Gewerbetreibenden zu fördern. Kulturschaffende betreiben eben auch ein Gewerbe – auch wenn viele von ihnen nicht gerne darüber sprechen – sie produzieren und vermarkten quasi die „Ware Kunst“ oder eben ihre „Kreativität“. Sie sind ein Teil dessen, was heute neudeutsch Kreativwirtschaft genannt wird.
Die Idee
Der Name der Veranstaltung,„das Blaue Band“, ist mit Bedacht gewählt worden. Dabei steht für die Initiatoren die Farbe blau für die Hoffnung und das Band für das Herstellen von Verbindungen. Beides, Hoffnung zu stifteten und Mensch zusammen zu bringen, das ist den Initiatoren mit dem Projekt gelungen.
Dabei geht diese Kunstaktion vor allem weit über die Dekoration einer Einkaufsstraße hinaus. Um dies zu erfassen, ist es allerdings notwendig, sich Zeit zu nehmen und etwas genauer hinzuschauen. Dass sich nicht an „renommierte“ auswärtige Kulturschaffende gewandt worden ist, war auch eine gute Entscheidung. So folgt diese Kunstaktion richtigerweise dem Grundsatz: „Support your local Heroes“. Positiv hervorzuheben ist auch, dass die Arbeiten nicht noch einmal mehr die herkömmlichen „Weddingklischees“ reproduzierten. Das liegt vor allem an dem gut formulierten Aufruf. Die Kreativen sollten eben nicht „DEN“ Wedding abbilden. Das Motto hieß „Mein Wedding“. Damit waren sie aufgefordert, sich mit ihrer persönlichen Sicht auf diesen Teil von Berlin auseinanderzusetzen. Von daher zeigt sich hier eine Vielzahl sehr unterschiedlicher und spannender Sichtweisen. So werden die eigenen Arbeiten präsentiert, der eigene Alltag dargestellt und kommentiert, in die Geschichte des Weddings geblickt und Fragen an die Zukunft des einstigen Arbeiterbezirkes gestellt.
Die einzelnen Werke
Die Plakate von Hanna Dobslaw – Leiterin des Kinos Alhambra und erste Vorsitzende der StandortGemeinschaft – bilden so etwas wie den räumlichen Anfang und das Ende der Plakataktion. Sie zeigt in der Fotocollage – auf den nördlichen Teil die Müllerstraße – ihren Blick auf den Straßenzug mit ihren Obst, Gemüse und Blumengeschäften. Auf dem Plakat am S‑Bahnhof Wedding wird „ihr“ Filmtheater als Ort mit Geschichte sowie unterschiedlichster Kulturveranstaltungen gezeigt.
Ricki, die wache Beobachterin der Stadtnatur, fordert uns geradezu heraus unser Umfeld sensibler wahrzunehmen. Sie bildet eine farbenfrohe Staudenmohnknospe ab, eine Pflanze die sich auf dem Rathausvorplatz fotografiert hat. Dem gegenüber knüpft Enrico Asmis mit seinem Schwarz/weiß-Foto an eine Alltagserfahrung an. Er zeigt einen wie ein Schnappschuss wirkendes Bild von der Müllerstraße bei Nacht. Dabei scheint er wie zufällig ein schnell vorbeifahrendes Polizeiauto eingefangen zu haben.
Volker Kuntzsch hingegen nimmt uns auf seinem Foto mit auf die Dachterrasse seines Arbeitsplatzes. Zu sehen ist ein weiter Himmel sowie ein doppelter Regenbogen. Die Dimension dieses Naturereignisses scheint dem Medien- und Marketingprofi an die Begrenztheit der eigenen Arbeit gegenüber der Kraft der Natur vorzuführen. Demgegenüber präsentiert Anke Rommel auf ihrem Plakat das bekannteste Weddinger T‑Shirt-Motiv ihres Modelabels „aroshi“, eine rote Fläche sowie die historische Postleitzahl „N 65“.
Auch die Multimedia-Künstlerin Magdalena Wiegner – bekannt u.a. durch das Video für das DJ Team die „Ostblockschlampen“ – gibt einen guten Einblick in ihre Arbeit. Sie lässt ihre insektenähnlichen Figuren in einer düsteren Zukunftsvision den U‑Bahnhof Wedding beleben. Anja Pollnow befasst sich schon länger damit, Kunstwerke an die Stelle von Werbeplakaten zu setzen. Sie zeigt eine Collage, in der sie eine Fotoarbeit zum Thema „Masse-Mensch“ in eine Werbefläche eines typischen Berliner Mietshauses montiert.
Auf dem Plakat von Sulamith Sallmann, die mit einem Foto ganze Geschichten erzählen kann – ist ein roter Damenschuh zu sehen. Dieser scheint wie ein Schiff in einem Fluss zu schwimmen. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich der Fluss als Pütze eines blauen Planschbeckens. Da sich das Haus in der Pfütze spiegelt, wird auch schnell der Ort erkennbar, an dem sie das Foto aufgenommen hat: das Haus der Jungend am Nauener Platz.
Hannes Hoehlig – der wenige Meter entfernt eine große Street Art-Arbeit geschaffen hat – verarbeitet den Buchstaben „W“ des Wedding zu einer US-amerikanischen Dollarnote. Er zeigt, was in der Zukunft die Stadtentwicklung im Wedding bestimmen wird, nämlich schlicht das Geld oder besser das Kapital.
Auch die Künstlerin Heidemarie Kunert blickt in die Zukunft des einstigen Arbeiterbezirkes. Sie montiert die Abbildung eines ihrer Kunstwerke in ein Foto des Grünstreifens der Otawistraße. Damit soll u.a. auf die Oper-Air-Galerie aufmerksam gemacht werden, die dort nach den Wünschen von Jochen Schimmelpenninck unter großer Beteiligung der Bewohner entstehen soll.
Die für ihre sensiblen Beobachtungen des Alltagslebens bekannte Künstlerin Sabrina Pützer bildet einen Jungen mit migrantischen Hintergrund ab (wir hatten darüber berichtet). Das Besondere ist, dass sie nicht der stereotypen Darstellung von posenden jungen Männern mit Basecape folgt, sondern einen eher unscheinbaren Jungen aus der Nachbarschaft darstellt. Der Standort der Arbeit hätte nicht besser gewählt werden können – sie befindet sich in unmittelbare Nähe zum Rathaus – so kann sie als Mahnung an die Politik und die Verwaltung gelesen werden, immer ein waches Auge auf die Entwicklungen im Wedding zu behalten.
Der mit dem Wedding stark verbundene Künstler Uwe Bessem zeigt eine grafische Arbeit, in der er seinen Sprengelkiez darstellt, hier sind unter anderem die Osterkirche und der Torfstraßensteg zu erkennen. Siegfried Lindenau befasst sich in seiner farbigen Fotocollage mit dem Umgang des Rathenau-Denkmales im Volkspark Rehberge u.a. in der NS-Zeit. Die Nationalsozialisten hatten das Denkmal aus politischen und rassistischen Gründen eingeschlossen und daraus das Schillerdenkmal für den Schillerpark gegossen.
Die für ihre assoziativen Fotokollagen bekannte Christine Nussbaum kommentiert den Namen des U‑Bahnhofes Seestraße. Hierzu montiert sie an beide Seiten das Geländer auf einem Foto des U‑Bahneingangs jeweils einen Fisch, so dass der Eindruck entsteht, dass diese jeweils in die entgegengesetzte Richtung schwimmen.
Plakative Präsenz von Kreativen
Bei dem Projekt handelt es sich um eine gelungene Kunstaktion. Vor allem ist sie geeignet, kritische Fragen zu stellen: Wie und womit verdienen Künstler eigentlich Ihre Geld? Wie teuer muss ein Kunstwerk eigentlich sein? Wie viele Kunstwerke muss ein Künstler im Jahr verkaufen, damit er damit seinen Lebensunterhalt bestreiten kann? Was der Präsentation allerdings fehlt – und das wird beim nächsten Durchgang sicher verbessert – ist ein Verzeichnis mit den Adressen und Links der Beteiligten sowie einer Kurzdokumentation der Arbeiten. Erst dann werden die Plakatwände wirklich zu einem Werbeträger der Kreativen.
Viele der hier vertretenen Künstler haben in unterschiedlichen Kontexten bereits zusammengearbeitet, z.B. beim Weddingmarkt oder dem Kulturfestival Wedding und Moabit. Allerdings scheint der Aufbau eines sich selbstorganisierenden Netzwerkes, das sich mit den Fragen um die Kulturpolitik, der Kulturproduktion und einer Professionalisierung der Kreativen auseinandersetzt, nicht gewollt zu sein. Abgelehnt wird diese über den Tellerrand des Wedding hinaus schauende Institution, trotz entsprechender zur Verfügung stehender Fördertöpfe. Vor allem leider von Jenen, die sich heute vor Ort als legitime Vertreter ihrer Zunft positionieren…
Autor: Eberhard Elfert
alle Plakatmotive zum Nachsehen
Hanna Dobslaw
http://www.muellerstrasse-wedding.de/muellerstrasse-standortgemeinschaft.html
http://www.cineplex.de/berlin-alhambra/
Volker Kuntzsch
Anke Rommel
http://www.aroshi.de/
Magdalena Wiegner
magdalena wiegner
http://www.behance.net/orble
Anja Pollnow
http://www.apoloy.com/
Sulamith Sallmann,
http://sulamith-sallmann.de/blog/
Hannes Hoehlig
Heidemarie Kunert
http://heidemarie-kunert.bildkunstnet.de/
http://www.werkkunststudio.de/
Sabrina Pützer
http://diorama-berlin.com/
Uwe Besssem
Weddingmarkt
https://de-de.facebook.com/weddingmarkt http://weddingmarkt.wordpress.com/
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