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Filmfestival mit Konzert im City Kino Wedding:
British Shorts: Stimmung in der Kinobude

29. Januar 2024

Ich bin sicher, der Fahrer der U6 war etwas überrascht, als er am Abend des 18. Januar in den Bahnhof Rehberge einfuhr. Kurz nach 23 Uhr war der sonst um diese Uhrzeit doch eher beschauliche Bahnhof proppevoll mit Menschen. Es sah aus, als wären plötzlich alle unterwegs zu einer Demo, zu einem Fußballspiel oder einem großen Konzert. Doch sie kamen aus dem Kino. Gerade war die Eröffnung des British Shorts-Festival im City Kino Wedding zu Ende gegangen.

Eddie Argos, Sänger dere englischen Band Art Brut, war mit einem Live Set bei der Festivaleröffnung dabei. Foto: Hensel
Eddie Argos, Sänger der englischen Band Art Brut, war bei der Festivaleröffnung dabei. Foto: Hensel

In der U-Bahn war es eng und heiter. Die Gespräche zogen sich durch die Waggons und drehten sich um die gerade gesehenen Kurzfilme und um das Eröffnungskonzert. Viele Gespräche waren auf Englisch, manche auf Deutsch. Das Publikum war im Wesentlichen auf dem Weg Richtung Stadtmitte und den Süden Berlins. Wer die Gespräche verfolgte, der merkte, dass das Filmfestival in der Müllerstraße 74 Menschen aus der ganzen Stadt und von viel weiter weg in den Wedding gezogen hatte. Vor der Fahrt zurück in die Mitte der Stadt hatte das Kino im Centre Français den Festivalbesucherinnen und -besuchern sieben kurze Filme präsentiert. Es waren Filme von Filmstudierenden und -absolvent:innen von Hochschulen aus Großbritannien und aus Irland, wobei auch Deutsche unter ihnen waren.

Nächste Station: British Short-Festival

Die Filme konnten unterschiedlicher kaum sein. Da waren die 24 Minuten „Killing Boris Johnson“ von Musa Alderson-Clarke, in dem der um seine Mutter trauernde Protagonist beschließt, dass der damalige Premierminister für seinen Schmerz verantwortlich ist. Dann tauchte die schottische Oscar-Preisträgerin Tilda Swinton auf der Leinwand auf, gab dem Film „The Dong with the Luminous Nose“ und damit einem bekannten Gedicht von Edward Lear eine moderne Stimme. Fast zehn Minuten sah das Publikum danach zu, wie ein wachsender Pudding eine ganze Stadt zu verschlingen droht („A Film About A Pudding “). Danach folgten ein Zehn-Minuten-Film über eine auf die Probe gestellte Vater-Tochter-Beziehung („Blue“), 15 Minuten aus dem Leben eines britisch-nigerianischen Mädchens („Essex Girls“), drei Minuten über ein Geständnis zwischen Freundinnen („After The After Party“) und 13 Minuten über eine katastrophale Inszenierung von „Macbeth“ von einer Amateur-Theatergruppe („The Scottish Play“).

Filmgespräch nach der Vorführung des Films "Killing Boris Johnson". Foto: Hensel
Filmgespräch nach der Vorführung des Films "Killing Boris Johnson". Foto: Hensel

Waren die Filme gut, waren sie schlecht oder eher langweilig? In der U-Bahn wurde das ausgiebig diskutiert. Ich kann berichten: Die Meinungen gingen auseinander. Auf jeden Fall schwirrte ungeübten Kurzfilm-Konsument:innen ein wenig der Kopf angesichts der vielen verschiedenen Themen und Techniken, die auf die Leinwand kamen. Wobei sich in der U-Bahn aber auf jeden Fall alle einig waren: das Konzert vor dem Filmprogramm, das war der Knaller. Die Festival-Macher:innen hatten Eddie Argos eingeladen, den der eine oder die andere vielleicht als Sänger der Indie-Rock-Band „Art Brut“ kennt (falls nicht, bitte nachhören). Mit Songs wie „Formed a Band“, „Emily Kane“ oder „Modern Art“ brachte der Sänger zusammen mit dem ihn begleitenden Gitarristen richtig Stimmung in die Kinobude. Zum gesitteten Kinogucken gekommen, vom Konzert begeistert und von den Sitzen gerissen – so könnte man den Einstieg in die 17. Ausgabe des British Shorts-Festivals beschreiben.

Letzte Station: British Short-Festival

Noch nie im City Kino und selten im Wedding waren auch meine Sitznachbarn beim letzten Abend des Filmfestivals (24.1.). Die anderen Spielorte (Sputnik Kino, Acudkino, Kino Intimes, Klick Kino und Gretchen) waren ihnen erklärtermaßen vertrauter. Ich notiere die Eindrücke der Erstbesucher: was für ein schöner Saal! Hier gibt es gar kein Popcorn? Hier könnte das Festival öfter stattfinden. Hinsichtlich der letzten Anmerkung habe ich gern geantwortet: Das tut es. Im Kino in der Müllerstraße war das Kurzfilmfest erstmals 2016 zu Gast, danach eigentlich jedes Jahr. Und bestimmt auch nächstes Jahr, denn City Kino-Betreiberin Andrea Stosiek ist sowohl Betreiberin des Sputnik Kinos, der Heimat des British Short-Festivals, als auch Mitgründerin und -organisatorin des Filmfests. Obwohl meine Wortwahl "bestimmt" nicht richtig ist. Die Wendung "auf jeden Fall" trifft es besser, denn die 18. Ausgabe von „British Shorts“ ist bereits für Januar 2025 angekündigt.

Auch die letzte Veranstaltung des Festivals war ausverkauft. Foto: Hensel
"British Shorts" zu Gast im City Kino Wedding. Foto: Hensel

Der Erfolg gibt dem ganzen Konzept recht: Alle Vorstellungen an allen sechs Spielorten waren in diesem Jahr komplett ausverkauft. Glück, wer ein Ticket ergattern konnte. Zum Beispiel für den letzten Festivalabend, der wieder im City Kino Wedding stattfand. Dieser Abend war den animierten Filmen gewidmet, elf an der Zahl. Aus dem Programm seinen hier drei Filme herausgegriffen. In meiner Sitzreihe ist „Stan by Me“ besonders warmherzig aufgenommen worden. In dem Zehnminüter von Rachel Dixon wird das Publikum mitgenommen in die Welt der ungleichen Nachbarn Mervin und Stan. Der eine mürrisch, der andere unternehmungslustig, verbringen sie gemeinsam ihre Tage mit Hot Yoga, Tanzkursen und vielem mehr. Fast 15 Minuten verbrachten die Zuschauerinnen und Zuschauer dann mit „Flite“, einem animierten Science Fiction-Film von Tim Webber. Mittels einer rasanten Flucht entkommt eine von ihrem Manager eingesperrte Hoverboard-Weltmeisterin ihrem Gefängnis.

Ganz anderes Thema, ganz andere Technik: Der Film „Waldeinsamkeit“ von Silvana Roth beschreibt eine Art Traumreise einer Frau aus dem Wald in die moderne Stadt. Warum sie mit Tusche gezeichnet und nicht gleich digital animiert hat, warum es kein Script für den 4:15 Minuten langen Film gibt und was sie bei ihrer Arbeit inspiriert hat, erzählte die junge Filmemacherin anschließend im sehr interessanten Filmgespräch. Für alle, die mehr dazu erfahren möchten, gibt es ein kurzes Making of zu dem Film.

Die Filmemacherin Silvana Roth (links) beim Gespräch mit Moderatorin. Foto: Hensel

Bevor es für das Publikum dann zum U-Bahnhof Rehberge ging, wurde noch der Gewinner des Publikumspreises gezeigt. In „Gorka“ von Regisseur Joe Weiland begleiten die Zuschauer:innen einen französischen Austauschstudenten mitten hinein in eine sehr britische Familiendynamik. Sie erleben achtzehneinhalb Minuten, wie tief und berührend ein Kurzfilm sein kann – wie ein gut und sehr professionell gemachter Langfilm, nur eben kürzer. Danach hieß es dann für alle: Bitte zurückbleiben! Das nächste British Shorts-Festival kommt in zirka einem Jahr.

Frühere und geplante Abfahrten

Mehr zum British Shorts-Festival seit 2007 und später dann auch das Programm fürs kommende Jahr gibt es online unter www.britishshorts.de oder hier auf dem Weddingweiser.

Dominique Hensel

Dominique Hensel lebt und schreibt im Wedding. Jeden zweiten Sonntag gibt sie hier den Newsüberblick für den Stadtteil. Die gelernte Journalistin schreibt für den Blog gern aktuelle Texte - am liebsten zu den Themen Stadtgärten, Kultur, Nachbarschaft und Soziales. Hyperlokal hat Dominique es auf jeden Fall am liebsten und beim Weddingweiser ist sie fast schon immer.

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