Neulich saß eine Hausgemeinschaft im Hof. Jemand hatte Lust auf einen Schweden-Eisbecher. Doch niemand hatte auch nur eine Zutat in der Wohnung. Trotzdem war keine zehn Minuten später alles da, auch wenn niemand das Haus verlassen musste. Die Digitalisierung, eine neue Lieferinfrastruktur und die neue Arbeitswelt machen’s möglich.
Späti war gestern. Der vergessliche Kunde von heute lässt liefern, und zwar von Fahrradkurieren, die innerhalb von zehn Minuten auf der Matte stehen. Das spart Zeit, manche Einkaufsfahrt mit dem Auto und schafft (allerdings sehr fragwürdige) Jobs. Wie kann das gehen?
Pionier in Deutschland war im Jahr 2020 das Berliner Start-up Gorillas. “In jedem Fall gehört Gorillas zu den interessantesten Experimenten im deutschen Lebensmitteleinzelhandel”, schrieb der Supermarktblog im letzten Jahr. Inzwischen hat das Unternehmen nicht nur wegen seines Konzepts, sondern wegen der Arbeitsbedingungen der Fahrradkuriere Schlagzeilen gemacht. Die äußerst prekären befristeten festangestellten Jobs, oft von migrantischen Arbeitern ausgeübt, werden zwar mit dem Mindestlohn vergütet, aber es fehlt an der Bereitschaft, einen Betriebsrat zuzulassen und oft auch an einer vernünftigen Ausstattung der Kuriere.
Bestellung per Smartphone, Belieferung mit Pedalkraft
Wie funktioniert das Bestellen in rekordverdächtigen Zeitspannen? Nun, ein Smartphone ist wegen der App unbedingt erforderlich. Was aber die entscheidende Besonderheit ist: In Berlin gibt es jede Menge Mikro-Lager, sogenannte Darkstores. Diese können für die Kund:innen weitgehend unsichtbar in jeder freien Gewerbefläche eingerichtet werden, und davon gibt es im Wedding jede Menge. Sprengelkiez, Brüsseler Kiez, der Bereich zwischen Müllerstraße und Bahnhof Gesundbrunnen (Karte siehe hier) gehören zum Liefergebiet und verfügen in der Mitte der Lieferzone über ein solches Lager. Das Sortiment ist nicht so groß wie im Supermarkt, sodass sich die Kosten für Belieferung, Lagerung und Fläche in Grenzen halten. Hier also eine Gemeinsamkeit mit dem klassischen Späti.
Diese Lager werden permanent mit Lkws beliefert – so umweltfreundlich wie die Fahrradkuriere daherkommen, ist diese Art des Einkaufs also auch nicht. Anwohner dieser Lager dürften sich außerdem gestört von dem Trubel fühlen.
Mehr als zehn Kilo liefern die Kuriere auch nicht. Zudem muss man bei jeder Lieferung 1,80 Euro Gebühren bezahlen, man kann die Einkäufe aber auf mehrere kleinere Fuhren aufteilen – der Großeinkauf, womöglich mit Auto am Wochenende, entfällt somit. Und wer etwas für die schlecht bezahlten Fahrradkuriere tun will, kann ja beim Trinkgeld großzügig sein. Dann ist der bequeme Einkauf innerhalb von wenigen Minuten zwischen Klick und Lieferung an die Haustür eine Win-Win-Situation für alle. Ob man Gorillas oder die Konkurrenten Flink, Bring oder Getir nutzen (und diese Art des Handels) unterstützen will, muss jede:r selbst entscheiden.
Nur euern Späti-Mann, den solltet ihr aus Gründen der Solidarität ab und zu trotzdem noch besuchen.
Die klassischen Einzelhändler REWE und EDEKA liefern ebenfalls im Wedding, mit größerer Vorlaufzeit, anderen Zeitfenstern und mit LKWs.
gelungener Artikel! Danke!
Grüße von den echten Fahrradkurieren