Seit über zehn Jahren gibt es die Lesebühne der Brauseboys. Aktuell treten sie jeden Donnerstag um 20.30 Uhr im La Luz auf. Wer rechtzeitig kommt, kann sich noch einen Gaumenschmaus gönnen, bevor die Vorleser auf der Bühne stehen. Im La Luz fühlt man sich sofort wohl. Auch ohne fremdsprachlich bewandert zu sein, weiß ich intuitiv, dass der Name richtig gewählt ist: Die schummrige, indirekte Beleuchtung hüllt den riesigen Raum in ein wohliges Licht und verleiht allem einen goldenen Schimmer. Das Restaurant ist großzügig, fast loftartig gebaut. Terrassenförmig erhöhte Tische bieten einen wunderbaren Blick über den Saal mit der großen Bühne. Ein Flügel, ein Mikrofon, mehr braucht es dort nicht für den Abend. Gespannt blicke ich zum runden Tisch der Leser. Langsam trudeln bekannte Gesichter ein. Neben einen früheren Besuch bei den Brauseboys erkenne ich sie auch von anderen Lesebühnen, wo sie ebenfalls als Stammleser auftreten oder als Gäste die Runden bereichern. Heute versammeln sich vor der Bühne: Paul Bokowski, Robert Rescue, Volker Surmann, Heiko Werning, und Anselm Neft. Musikalische Unterstützung gibt es von Glenn Goring.
Ein typischer Abend bei den Brauseboys
Paul Bokowski moderiert den Abend an. Alles hat den Anschein, spontan, unfertig, etwas ungeplant zu sein. Dass man Teil des Kulturfestivals sei, habe man eben erst erfahren, einer der Leser sei verschollen und ein Musiker, dem man eben zum ersten Mal begegnet sei, stehe heute als Mitwirkender auf der Bühne. Auch das gehört zum Charme der Kleinkunstbühne: Hier gibt es eben nicht die perfekte, am Band fabrizierte Massenkunst nach Norm. Hier hat alles noch ungeschliffene Ecken und Kanten, und das wird auch gewollt und betont. Am Mikrofon zeigen sie sich nicht als rhetorisch geschulte Vortragsredner mit Krawatte. Hier wird genuschelt, geschrien, in Endlossätzen geschimpft und ohne Intonation verstockt gelesen. So wollen sie sich zeigen, so gestalten sie ihren Auftritt. Nennt man diese Inszenierung eine Anti-Inszenierung?
Es gefällt mir, die Jungs haben Spaß. Jeder schreibt über das, was ihm selbst im Alltag geschieht, wofür er sich gerade interessiert oder präsentiert einen Text, der eigentlich für einen ganz anderen Auftraggeber gedacht ist. Die Texte sind also bunt gemischt, stilistisch wie inhaltlich lassen sie sich kaum auf einen Nenner bringen. Wobei, da gibt es trotz dieser Vielfalt doch Gemeinsamkeiten: Sie sind gut geschrieben, sie sind unterhaltsam, sie gefallen mir. Ist es unangemessen, angesichts eine Altersdurchschnitts von etwa 40 Jahren von „Jungs“ zu sprechen? Es ist vermutlich der Schalk, der in ihren Augen blitzt, der mich dieses Wort wählen lässt. Oder die spritzigen, so gar nicht altersmüden Texte.
Robert Rescue – ich bin schon einmal neidisch, nicht auch so zu heißen. Ich bin mir sicher, er arbeitet unter diesem Namen als Superheld, so im Geheimen natürlich. Er liest vom Behördenirrsinn, vom kafkaesken Versuch, dem Jobcenter seine Tätigkeit als „Darsteller, Autor und Publizist“ zu erklären.
Volker Surmann findet in einem Artikel zehn Gründe, warum Wowi bleiben muss. Immerhin birgt sein Rücktritt die ernsthafte Gefahr, dass Berlin wieder regiert wird – und wollen wir das wirklich?
Der Überraschungsgast Glenn Goring begrüßt das Publikum mit einer Aneinanderreihung von Füllwörtern, wie sie nur das Englische hervorbringen kann. Dann erfreut er die Ohren mit einer Aneinanderreihung von Tönen. Seine Instrumentalstücke auf der Gitarre sind „uncommon“, dieses Kompliment hört er häufig.
Paul Bokowski präsentiert einen Radiobeitrag aus seiner Feder, den er zum 30jährigen Geburtstag der Ghostbusters verfasst hat. Im Interview erklärt ein Geisterjäger seinen Einsatz für die politische Anerkennung der Rechte von Geistern. Kaum einer beachtet beispielsweise die hohe Arbeitslosenquote unter Geistern – der Arbeitsmarkt ist einfach nicht auf Geister ausgelegt.
Anselm Neft liest aus seinem neuen Roman „Helden in Schnabelschuhen“. Im Zeitraffer entwirft er die unglückliche Kindheit des Protagonisten, die in einer unglücklichen Pubertät mündet. Wir leiden und lachen mit dem einsamen, nerdigen Dickerchen. Und da, wie gemein, der Cliffhanger: Wie geht das mit der neuen Nebensitzerin aus? Endlich ein kluges Mädchen für den klugen Jungen? Ich zittere, ich bange mit ihm… ich will das Buch!
Heiko Wernings Text beginnt mit dem absonderlichen Erdferkel, bekommt dann einen politischen Drift und wird zur längsten Satzkonstruktion seit Kleist. Der Rundumschlag gegen alle Krisenherde und Kriegsgebiete in Europa und der Welt endet schließlich wieder beim Gedanken an das Erdferkel. Das wenigstens spendet eine Woge des Trostes und der Zuversicht und lässt Werning noch glauben, dass die Mensch vielleicht doch gar nicht so schlecht sind. Zugegeben, eine etwas gewagte Verbindung von Themen.
Glenn Goring spielt noch einmal zum Ende des ersten Teils und die Gäste werden in die Pause entlassen, wo es sofort einige zum Offline-Shop der Brauseboys zieht. Die Texte haben Lust auf mehr gemacht, und was liegt da näher, als sich die wortgewandten Jungs mit aufs heimische Sofa zu nehmen.
Der zweite Teil geht erstklassig weiter: Wir bekommen neue Jobs präsentiert, die zu einer Vollbeschäftigung in Deutschland führen könnten. Warum nicht einen professionellen Konzerthuster engagieren? Ganz einfach ist es, sich bei Starbucks eine neue Identität zuzulegen. Wie viele Kinder leiden noch heute unter dem Trauma, als polnisches Gepäck in den ZDF Fernsehgarten geschleust worden zu sein? Und was gibt es in Memphis interessanteres zu besichtigen, als ein Erdferkel namens Elvis?
Beim Abschlusslied „Sei mein Wedding-Girl heut’ Nacht“ setzt das sanfte Prasseln des Regens auf dem Dach ein und lässt mich wehmütig mitschunkeln und vom Wedding träumen. Doch ich bin guten Mutes: „Dieser Abend kennt kein Ende, er kennt nur eine Fortsetzung.“
Autorin/Foto: Sigrun Wetzel
Mehr von den Vorlesern:
Termine:
donnerstags, 20.30 Uhr im La Luz.
Oudenarder Str. 16–20, Hof 1, Gebäude C. Die Kasse ist ab 20 Uhr geöffnet. Eintritt 6 Euro, ermäßigt 4 Euro.
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