„Natürlich Bio“ an der Ecke Kameruner- und Togostraße war im Wedding der einzige Bio-Laden nördlich der Seestraße. Er verband seit fast 30 Jahren ein großes Naturkost-Sortiment auf kleinem Raum mit Tante Emma-Gemütlichkeit und Berliner Herzlichkeit. Seit 1. 10. 2023 ist der Bio-Laden geschlossen.
„Meen Jott, wat sind wa heute wieda freundlich“, lacht Verkäuferin Barbara über den Bistro-Tisch, an dem wir vor dem Naturkostladen „Natürlich Bio“ einen Kaffee in der Sonne trinken. Sie bringt damit das Besondere des traditionsreichen Ladens im Afrikanischen Viertel auf den Punkt. Wo findet man sonst noch die raue Berliner Herzlichkeit, verbunden mit flapsigen Sprüchen, seit sogar die BVG-Busfahrer auf Freundlichkeit getrimmt wurden? Und das in einem Bio-Laden. „Unser Tante-Emma-Flair, den persönlichen Kontakt, das lieben die Leute“, übersetzt das Kathrin Votanek, die seit 1994 im Laden arbeitet und das Geschäft 2009 als alleinige Inhaberin übernommen hat. Damals musste sie sich schnell entscheiden. Ihre ehemalige Chefin hatte sich aus Gesundheitsgründen aus dem Geschäft zurückgezogen und ihr die Übernahme angeboten. Ganz einfach war die Entscheidung für die dreifache Mutter aus Reinickendorf nicht. „Ich hab meinen Mann gefragt: Hilfst du mir ab und zu mit den Kindern?“ Und das hat er gemacht. „Es wäre mir auch schwergefallen, den Laden aufzugeben. Denn ich liebe die Arbeit mit den Menschen.“ Heute steht stolz „13 Jahre Natürlich Bio“ auf dem Schaufenster neben der Ladentür. Die Kunden kommen nach wie vor aus der Nachbarschaft. Vor allem Familien, Pärchen aber auch ältere Menschen, die den Laden in der Nähe und die Gelegenheit zu einem kleinen Schwatz zu schätzen wissen. „Am schönsten ist es für mich, wenn ehemalige Kunden vorbei kommen, und sich freuen, dass wir weiter machen.“
Kathrin Votaneks Anspruch ist es, ihren Kundinnen und Kunden alles zu bieten, was sie für ihren Alltag brauchen. In Bio-Qualität und möglichst regional. „Und wenn wir etwas nicht haben, kann ich es meist besorgen.“ Und es ist wirklich erstaunlich, was das verwinkelte kleine Geschäft in seinen Holzregalen alles zu bieten hat. Von selbstgestrickten Socken zur Naturkosmetik über Weine, Säfte und Bier bist zur Bratpfanne. In jedem Raum gibt es etwas zu entdecken. Und jeder Raum riecht anders.
Nach Räucherstäbchen oder Tee, nach kräftigem Käse oder reifem Obst. Am Fenster leuchtet das Licht durch Prosecco-Flaschen und Liköre und im hintersten Zimmer gibt es sogar noch eine hölzerne Getreidemühle, in der man sich sein Korn selber mahlen kann. Für Kinder gibt es hinter der Kasse Gummibärchen aus dem Glas. Zusammen ergibt das einen heimelige Atmosphäre und einen Duft, mit dem kein Bio-Supermarkt konkurrieren kann.
Natürlich ist auch Nachhaltigkeit ein Thema. Das Sesammus Tahin gibt es in großen Metallbehältern zum selber Abfüllen, Brot wird vorsichtig eingekauft, und was trotzdem nicht verkauft wurde, gibt es danach zum halben Preis, genau so wie Produkte die das MHD überschritten haben. Aber Natürlich Bio ist nicht nur ein Bio-Laden, sondern auch ein Biotop. Eine Zeitinsel, in der politische Werte überdauert haben, die am Anfang der Bio-Laden-Bewegung in den 1980er-Jahren standen. Das merkt man nicht nur an der stets frisch gedruckten Ausgabe der Tageszeitung taz, die gleich neben der Tür ausliegt.
Auch die Produktauswahl atmet noch den Geist der alternativen Gegenökonomie, die das Ziel hatte, einen eigenen, selbstbestimmten Wirtschaftskreislauf ohne fremdes Kapital aufzubauen. Kathrin Votanek bezieht auch heute noch konsequent ihre Produkte aus eigenständigen Betrieben: „Wenn sich große Konzerne in kleine Bio-Unternehmen einkaufen, fliegen sie bei mir aus dem Regal.“
Auch die Preisgestaltung, die an eine Genossenschaft erinnert, stammt aus dieser Zeit. Wer einmalig einen Grundbetrag von 51,13 Euro einzahlt und laufend einen monatlichen Beitrag, bekommt die Waren zu einem ermäßigten Preis. Die Beiträge sind gestaffelt. Für einen Single sind es derzeit 17,90 Euro im Monat, für eine Familie 20,40 Euro. In der Regel lohnt sich eine Mitgliedschaft ab einem monatlichen Einkauf von etwa 25 Euro. Daneben kann man auch ohne Mitgliedschaft alle Produkte zum regulären Preis kaufen.
Ob sich dieses System, bei dem die Kundinnen und Kunden mit ihren Einlagen langfristig einen Teil der Verantwortung für das Weiterbestehen des Ladens mit übernehmen, in Zeiten der Krise weiter führen lässt, ist fraglich. Mut macht, dass seit einem Jahr eine Wiederbelebung der Genossenschaftsidee im Wedding, zum Beispiel im SuperCoop in den Osramhöfen zu beobachten ist.
Zum anderen gibt es seit dem Ukraine-Krieg aber auch für die Stammkundschaft von Natürlich Bio den starken Zwang zum Sparen. Viele wechseln deshalb zum Billig-Bioangebot der Discounter. „Wir haben eine starke Abwanderung in den letzten Monaten. Viele wollen weiter Bio-Produkte, können sich Bio nur noch bei Aldi oder Lidl leisten. Aber das hat mit Bio nichts zu tun“, resümiert Kathrin Votanek die Entwicklung der letzten Monate. „Ich wollte mir im Urlaub darüber Gedanken machen, wie es weiter gehen kann. Hab ich aber nicht, weil ich den Urlaub dringend brauchte und in vollen Zügen genossen habe”, sagt sie leichtherzig.
Natürlich Bio
Inh. Kathrin Votanek
Kameruner Straße 12
13351 Berlin
Tel.: 030 4518737
www.natuerlichbio.berlin
Instagram Natürlich Bio (@naturlichbio)
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Text: Rolf Fischer, Fotos: Sulamith Sallmann
Die “raue Berliner Herzlichkeit” empfinde ich hier als schon sehr euphemistisch. Sowohl ich als auch jemand aus dem Bekanntenkreis waren 3 mal dort einkaufen und wurden auf Grund der unfreundlichen, herablassenden Art und Weise in diesem Laden von einer Mitgliedschaft und regelmäßigem Einkauf abgeschreckt. Und wir sind beide Ur-Berliner, kennen also die echte “Berliner Schnauze” sehr gut. Keine Ahnung ob man mit der Stammkundschaft besser umgeht. Mich wundert es jedenfalls auf Grund dieser Verhaltens und dem recht altbackenen Aufbau des Ladens nicht, dass die Kundschaft abwandert. Der “Geist der alternativen Gegenökonomie” ist hier leider keine gute, sondern eher ein schlechte Tradition.
Den angesprochenen SuperCoop habe ich bei einem Probeeinkauf vor Kurzem als sehr angenehmen Gegenentwurf erlebt und denke jetzt über eine Mitgliedschaft nach.
Hallo Karl
wie war das mir dem Probeeinkauf ?? verstehe ich das so das man einfach mal hingeht und ohne Mitgliedschaft einen Einkauf machen oder kann man den nur am Tag der offenen Tür machen!!??
Gruß
Man kann auch so mal vorbei kommen und freundlich fragen, dann darf man auch so einmal einkaufen 🙂
Danke dann werde ich das so mal testen
Hallo Karl, vielleicht ist an der Sache mit den Stammkunden was dran.
Ich bin dort seit mehr als 10 Jahren Kunde. Als ich in Quarantäne musste, genügte ein Anruf, und Kathrin stand mit dem ganzen Wocheneinkauf vor meiner Tür.
Hallo Eimacel. Das freut mich, dass du so überaus positive Erfahrungen gemacht hast. Schade, dass es bei mir nicht so war.
Toller Artikel! Ich hab selbst mal in der Kameruner Str. gewohnt und kannte noch die LPG. :))