Nach den langen Jahren des berühmten roten Bleistifts kann nun wieder aus dem Vollen geschöpft werden. Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) – dem “Parlament” auf Bezirksebene – hat einen Bezirkshaushalt für 2018 und 2019 beschlossen. Und in dem steigen die Ausgaben kräftig. Es kann wieder verteilt werden. Auch im Wedding. Über die steigenden Investionen freuen sich die einzelnen Fraktionen.
Grüne und SPD bilden eine Zählgemeinschaft (grob vereinfacht bilden sie eine Art Koalition). Und das sagen die beiden und die anderen Fraktionen über den beschlossenen Bezirkshaushalt:
Grüne: “Wir haben uns vor allem für die angemessene Erhöhung des Ansatzes für die Jugendhilfe, zwei zusätzliche Stellen in der Wirtschaftsförderung, Erhalt von Grünflächen und Spielplätzen, Straßenunterhaltung, Jugendkunstschule und Hausaufgabenhilfe in den Bibliotheken stark gemacht.” So fasst Ingrid Bertermann, die Fraktionsvorsitzende der Grünen in der BVV, die gesetzten Schwerpunkte der Grünen zusammen.
Auch Franziska Briest, in der Fraktion der Grünen für Haushaltsfragen zuständig freut sich: “Die Erhöhung der Mittel für die Grünflächenunterhaltung und die Sanierung der Radwege sind ein Beispiel für den grünen Einfluss auf Mitte.”
SPD: Zwar freut sich auch die SPD, dass für die Jugendarbeit – das sind Jugendfreizeitstätten, Reisen, Jugendsozialarbeit, Schulsozialarbeit – mehr Geld zur Verfügung steht. Doch für diesen Bereich hätten mehrere andere Parteien gern noch mehr ausgegeben. Eigene Punkte der SPD sind, dass ein Gutachten bezahlt werden kann, das prüfen soll, ob die Familienzentren durch so genannte Familienservicebüros ergänzt werden können. Außerdem ein SPD-Thema sind die Schülerhaushalte, das ausgeweitet wird. Außerdem wird es mehr Schulhausmeister geben. Die Ausweitung der Hausaufgabenhilfe in den Bibliohteken sieht sie ebenfalls als Punkt für sich.
Piraten: Alexander Freitag und Michael Konrad bilden keine Fraktion, sondern nur eine Gruppe. Auch sie stimmten dem Haushalt zu. “Für uns wesentliche Elemente wurden berücksichtigt.” Gefordert hatten die beiden mehr Personal für das Ehrenamtsbüro und die Finanzierung eines Livestreams von BVV-Sitzungen (in Reinickendorf, Lichtenberg und Marzahn ist dies bereits umgesetzt).
Auch die FDP stimmte dem Haushalt zu.
Linke: Die Linke enthielt sich bei der Abstimmung. Sie hatte noch mehr Geld für die Kinder- und Jugendarbeit gefordert. Der Fraktionsvorsitzende der Linke, Thilo Urchs, kritisiert: “So gibt es zum Beispiel rund um den Nauener Platz eine Kinderarmut von 67,3 Prozent bei einem Versorgungsgrad der Kinder- und Jugendarbeit von 25 Prozent.” Die von Grünen und SPD erreichte Mittelerhöhung erreiche zwar, dass die vorhandenen Sozialarbeiter nunmehr nach Tarif bezahlt würden. Das war offenbar zuvor nicht der Fall. Neue Stellen brächten die Mittelerhöhungen demnach nicht für den Kiez rund um den Nauener Platz.
Ebenfalls enthalten hatte sich die AfD. Allerdings ist das Werk auch kompliziert zu lesen.
Als einzige gegen den Haushalt stimmte die CDU. Zu erkennen ist lediglich, dass die CDU in einem Änderungsantrag vom 23. August mehr Hausmeister für Schulen gefordert hatte (ÄA 1 zu 646 V). Auf E‑Mail-Anfrage hat die Fraktion der CDU innerhalb einer Woche nicht geantwortet.
Der Etat: Auf den ersten Blick ist der Haushalt gigantisch. Über eine Milliarde Euro kann Mitte pro Jahr ausgeben. Im Plan von 2017 steht noch eine Zahl von rund 920 Millionen Euro. Doch die meisten Positionen im Etat sind zweckgebunden. Hier kann der Bezirk nicht oder nur sehr wenig frei entscheiden. Gerade einmal circa 10 Prozent der Ausgaben gehören zum so genannten A‑Teil (112 Millionen Euro). Das ist der Teil, wo der Bezirk überhaupt Einfluss nehmen könnte. Und selbst darunter fallen Bewirtschaftungskosten von Immobilien, bei denen zwar “gesteuert”, aber nicht wirklich frei entschieden werden kann.
Die Aufstellung: In diesem Jahr begannen die Debatten über den Doppelhaushalt 2018⁄19 bereits im Frühjahr. Diskustiert wurde in allen 16 Ausschüssen. Zugrunde lag ein Vorschlag durch die fünf Stadträte, die das Bezirksamt bilden (grob vereinfacht eine Art “Regierung”). Am Ende überwog die Einigkeit. In großer Runde in der Bezirksverordnetenversammlung wurde nur ein einziger Abschnitt noch einmal aufgemacht und strittig verhandelt. Das war das Thema Jugend.
Vergleich mit 2016⁄17: Trotz allen “Streits”: Für den Bereich “Jugendamt” steigen die Ausgaben ordentlich auf 275 Millionen Euro im Jahr 2019. 2017 standen (immerhin) 231 Millionen Euro zur Verfügung.
Den größten Posten im Haushalt bilden die Pflichtausgaben im Bereich “Amt für Soziales”. 2017 stehen 478 Millionen Euro gegen geplante 529 Millionen Euro im Jahr 2019 zu Buche.
Beim politischen Megathema Bildung lässt sich nur schwer sagen, was sich der Bezirk das kosten lässt. Denn die Übersicht des Haushaltes kennt nur den gemeinsamen Bereich “Schul- und Sportamt”. 2017 standen hier 46,9 Millionen Euro bereit, im Jahr 2019 sind gleich 59 Millionen Euro angesetzt. Beim “Amt für Weiterbildung und Kultur” steigen die Ausgaben dagegen nur minimal von 19,5 Millionen Euro im Jahr 2017 auf 20,8 Millionen Euro im Jahr 2019.
Aufregerthema für den ADAC: Für das Ordnungsamt sah der Plan für 2017 Einnahmen in Höhe von 16,8 Millionen Euro vor. Für 2019 wird mit Einnahmen von 20 Millionen gerechnet. Manch einer wünscht sich ja schon, dass vor der eigenen Haustür endlich die Parkraumbewirtschaftung kommt. Denn: nur dann kommt auch das Ordnungsamt vorbei (nachzulesen in einer offiziellen Aussage des Senats).
Obwohl die Grünen stärkste Kraft in der BVV sind, bleibt für das Umwelt- und Naturschutzamt im Jahr 2019 den Betrag von 2,2 Millionen Euro stehen. Im Jahr 2017 waren es ebenfalls 2,2 Millionen Euro. Dafür steigt der Etat des “Straßen- und Grünflächenamtes” von 31 Millionen Euro im Jahr 2017 auf 34,5 Millionen Euro im Jahr 2019. Das Geld für Radwege und naturnahe Parkanlagen wartet also auf Abruf.
Ein PDF mit dem Bezirkshaushalt hält der Hauptausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses unter Drucksache 500 S (warum nicht die Webseite des Bezirks?) bereit. Verständliche Grafiken zum Bezirkshaushalt finden sich auf Seite der Senatsverwaltung für Finanzen.
Kommentar
Geld ist ein besonderes Ding. Wer als Schüler jobt und dann mit den Kumpels an die Ostsee fährt oder sich die eigene Spielekonsole kauft, der genießt dieses unbeschreibliche Gefühl der Selbständigkeit. Er hat etwas erreicht, was ihm seine Eltern nicht ermöglicht hätten. Aber Selbständigkeit ist heutzutage wo “Hauptsache Abitur” gilt kein Erziehungsziel. Und auch im Bezirksamt und unter den Bezirksverordneten überwiegt die Freude über die Taschengelderhöhung durch den Senat.
Die Peinlichkeit nur von “Zuweisungen” durch Mama-Papa-Senat zu leben, spielt bei den Fraktionen keine Rolle. Und das obwohl ein Bezirk alles besser machen kann als der Senat. Ein Satz, den alle berliner Bezirksbürgermeister in jedem Interview unterbringen müssten. Das wäre der Beginn eines Streits für eigenständige bürgernahe Bezirke. Nur selbständige Bezirke können zu Recht stolz auf die von ihnen selbst entschiedenen Einnahmen und Ausgaben sein. Stolz auf ihren eigenen Etat. Stolz auf ihre erhöhten Investitionen in Kinder und Jugend. So wie der Schüler, der nach dem Einräumen im Supermarkt sein erstes eigenes Geld einsteckt und damit sein Ding macht.
Text: Andrei Schnell, Fotos: Andrei Schnell