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72. Internationale Filmfestspiele Berlin:
Ein besonderes Berlinale-Geschenk

Zwei tolle Filmmomente in der Müllerstraße - trotz Pandemie
15. Februar 2022

Es hat die­ses Mal nicht ein­mal eine Minu­te gedau­ert, bis die Kar­ten für die Ber­li­na­le-Vor­stel­lun­gen im City Kino Wed­ding kom­plett ver­kauft waren. Nur, wer sehr schnell war und sofort noch Frei­schal­tung der Kar­ten auf der Ber­li­na­le-Web­sei­te klick­te, konn­te am Sonn­tag (13.2.) in der Mül­lerstra­ße auf dem roten Tep­pich und im Kino­saal dabei sein. Wer es geschafft hat­te, konn­te im Wed­ding wie­der „Ber­li­na­le goes Kiez“ erle­ben – wenn auch unter beson­de­ren Umständen.

Am Centre Francais de Berlin in der Müllerstraße. Durch die Frontscheibe schimmert der Berlinale-Bär. Foto: Hensel
Am Cent­re Fran­cais de Ber­lin in der Mül­lerstra­ße. Durch die Front­schei­be schim­mert der Ber­li­na­le-Bär. Foto: Hensel

Der Aus­ver­kauft-Sta­tus wur­de sicher­lich aus meh­re­ren Grün­den so schnell erreicht. Auf­grund des Hygie­ne­kon­zepts durf­te das City Kino Wed­ding wie alle Fes­ti­val­ki­nos nur zur Hälf­te besetzt wer­den, das Kar­ten­kon­tin­gent war also begrenz­ter als üblich. Dar­über hin­aus hat das dies­jäh­ri­ge Pro­gramm im Kiez­ki­no nicht ohne Grund die Klicks im Ticket-Shop ange­zo­gen, denn der Wed­ding hat in die­sem Jahr mit der Film­aus­wahl ein beson­de­res Geschenk erhal­ten. Zu sehen waren eine Mini-Serie aus Tsche­chi­en und ein Film aus dem offi­zi­el­len Wett­be­werb, der neue von Regis­seur Andre­as Dre­sen. Zu bei­den Fil­men könn­te man rück­bli­ckend sagen: Wer da nicht geklickt hat, ist sel­ber schuld!

Berlinale Series: Eiskalte Mörderin oder Opfer eine Intrige?

Den Auf­takt an die­sem Wed­din­ger Ber­li­na­le-Abend in der Mül­lerstra­ße mach­te die tsche­chi­sche Serie „Poder­zřenί | Sus­pi­ci­on“. In den zwei gezeig­ten Epi­so­den ler­nen die Zuschau­er die Kran­ken­schwes­ter Hana ken­nen. Mit weni­gen Wor­ten und uner­gründ­li­cher Mie­ne tut sie ihren Dienst seit vie­len Jah­ren, ver­sorgt ihre Pati­en­ten ohne einen Fun­ken von Emo­tio­nen. Auch pri­vat ist sie nicht anders: sach­lich, kühl, uner­gründ­lich. Eine Haupt­fi­gur wie ein Pfle­ge­ro­bo­ter mit mensch­li­chem Ant­litz. Als Hana ver­däch­tigt wird, für den Tod einer Pati­en­tin ver­ant­wort­lich zu sein, bleibt der Zuschau­er rat­los im Kino­ses­sel zurück: traut man die­ser Frau, die nie­mals lächelt, einen Mord zu oder nicht?

Die Ermitt­lun­gen zei­gen, dass Intri­gen eine Rol­le spie­len, es gibt offen­bar ver­schie­dens­te Ver­wick­lun­gen. Doch trotz allem bleibt die Kran­ken­schwes­ter nach außen wei­ter kühl und sieht schein­bar nur hilf­los zu, wie ihre Welt zusam­men­bricht. Was in ihr vor­geht, kommt nicht ans Licht. Ist Hana eine eis­kal­te Mör­de­rin oder ein intro­ver­tier­tes Opfer einer Intri­ge? „So ein Mist. Ich willl jetzt wis­sen, wie es wei­ter­geht“, sagt ein Mann, als der Film endet. Doch er und die ande­ren Zuschau­er im City Kino Wed­ding müs­sen an die­sem Abend ohne Auf­lö­sung nach Hau­se gehen. „Die ande­ren bei­den Tei­le der Serie wer­den hof­fent­lich bald auf Arte zu sehen sein“, sagt Julia Fidel, die Lei­te­ren in der Sek­ti­on Ber­li­na­le Series. Das wird sicher­lich eini­ge Zuschau­er freu­en. Denn auch, wenn die­se unge­wöhn­li­che Haupt­fi­gur gewiss kei­ne Sym­pa­thien auf sich zieht, wol­len sie sicher­lich vie­le aus dem Kino­saal wiedersehen.

Wettbewerb: Eine Mutter kämpft gegen George W. Bush

Auch im zwei­ten Film im City Kino steht eine Frau im Zen­trum des Gesche­hens: Rabi­ye Kur­naz. Die Deutsch-Tür­kin ist die Mut­ter von Murat Kur­naz, der nach den Ter­ror­an­schlä­gen des 11. Sep­tem­ber 2001 ohne Gerichts­ver­hand­lung jah­re­lang in US-ame­ri­ka­ni­schen Gefäng­nis­sen saß – zuerst in Kan­da­har, dann in Guan­tá­na­mo auf Kuba. Mit sei­nem neu­es­ten Film „Rabi­ye Kur­naz gegen Geor­ge W. Bush“ greift Regis­seur Andre­as Dre­sen einen rea­len Fall auf und bringt die Geschich­te der in Bre­men leben­den Fami­lie Kur­naz auf die Lein­wand und legt damit auch einen Fin­ger in eine deut­sche Wun­de. Dre­sen prä­sen­tiert den Film erst­mals auf der Ber­li­na­le, sechs Mal ist er im Rah­men des Film­fes­ti­vals zu sehen.

Mit der Inhaf­tie­rung ihres Soh­nes gerät Rabi­yes Leben aus den Tritt. Statt um ihre Fami­lie mit zwei wei­te­ren Kin­dern küm­mert sie sich nun vor allem um die Rück­kehr ihres 19-jäh­ri­gen Soh­nes Murat. Wie eine sprich­wört­li­che Löwin kämpft sie gegen über­mäch­ti­ge Kräf­te um ihren Sohn, gerät von einem Tag auf den ande­ren vom Bre­mer Rei­hen­haus in die gro­ße Welt­po­li­tik. Ener­gisch, lebens­froh, etwas naiv und sehr sym­pa­thisch stellt Andre­as Dre­sen sei­ne Haupt­fi­gur ins Zen­trum; aus­ge­stat­tet mit die­sen Eigen­schaf­ten besteht sie jede der vie­len Hür­den auf dem Weg zur Frei­las­sung ihres Soh­nes. Mit der Schau­spie­le­rin Mel­tem Kap­tan hat Dre­sen dafür eine per­fek­te Beset­zung gefun­den. Wie für sie geschrie­ben wirkt der Film, der unab­läs­sig um sie kreist. Aber auch der Mann an ihrer Sei­te, der Schau­spie­ler Alex­an­der Scheer trägt als Anwalt Bern­hard Docke zum Gelin­gen die­ses berüh­ren­den Films bei. Durch sei­ne etwas stei­fe Art wirkt die Haupt­fi­gur noch lebens­fro­her und zupa­cken­der. Es wäre ein Wun­der, wenn da am Ende kein Ber­li­na­le-Bär auf Hautpdar­stel­le­rin oder Film war­ten wür­de! Die Ver­lei­hung fin­det bereits mor­gen, am Mitt­woch statt.

“Rabi­ye Kur­naz gegen Geor­ge W. Bush” kommt am 28. April in die deut­schen Kinos. 

Julia Fidel (links), Leiterin der Sektion "Berlinale Series" im Gespräch bei der Vorführung im City Kino Wedding. Foto: Hensel
Julia Fidel (links), Lei­te­rin der Sek­ti­on “Ber­li­na­le Series” im Gespräch bei der Vor­füh­rung im City Kino Wed­ding. Foto: Hensel

Die Berlinale für den Kiez

Zwei tol­le Film­erleb­nis­se brach­te die Rei­he „Ber­li­na­le goes Kiez“ in die­sem Jahr in den Wed­ding. In Zei­ten, in denen wegen der Coro­na-Pan­de­mie viel aus­fal­len muss, ist das schon etwas beson­de­res. Das Drum­her­um war pan­de­mie­be­dingt jedoch gewöh­nungs­be­dürf­tig. Ein halb vol­ler Kino­saal, Mas­ken­pflicht auch wäh­rend des Films, die Bar des Kinos war geschlos­sen, Andre­as Dre­sen kam nicht zum Film­ge­spräch, der Script Wri­ter der tsche­chi­schen Serie schickt nur eine Video­bot­schaft und selbst Kino­be­trei­be­rin Anne Lake­berg fehl­te an die­sem Abend, sie war in Qua­ran­tä­ne. Doch der rote Tep­pich lag vor dem City Kino, der Ber­li­na­le-Bär leuch­te­te dane­ben, das Film­fes­ti­val fand trotz allem in die­sem Jahr statt (noch bis Sonn­tag, 20. Febru­ar) und war sogar wie­der im Wed­ding zu Gast. Wenn das kein Schritt in Rich­tung nor­mal ist!

Kura­tiert wur­de die Rei­he, die Ber­li­na­le-Fil­me in klei­ne Kiez­ki­nos in der gan­zen Stadt bringt, übri­gens von Anna Jur­zik. Sie hat „Poder­zřenί | Sus­pi­ci­on“ und „Rabi­ye Kur­naz gegen Geor­ge W. Bush“ in den Wed­ding gelei­tet und die Auf­merk­sam­keit somit auch auf das Kiez­ki­no und sei­ne enga­gier­te Kino­be­trei­be­rin Anne Lake­berg gelenkt. Eine Wert­schät­zung, die gera­de beson­ders wich­tig ist – für jedes Kiez­ki­no in Berlin.

Berlinale-Service

Die Ber­li­na­le geht noch bis Sonn­tag (20.2.). Kar­ten für die Vor­füh­run­gen gibt es immer ab drei Tage im Vor­aus online unter www.berlinale.de. Der offi­zi­el­le Wett­be­werb der 72. Inter­na­tio­na­len Film­fest­spie­le endet am Mitt­woch mit der Ver­lei­hung der sil­ber­nen und gol­de­nen Bären. Es fol­gen noch vier Publi­kums­ta­ge, an denen vie­le Fil­me noch­mals gezeigt wer­den. Mehr dazu und zum Hygie­ne­kon­zept gibt es eben­falls online. Im Bei­tag Die Ber­li­na­le 2022 im Wed­ding ste­hen wei­te­re Ber­li­na­le-Ver­an­stal­tun­gen im Wed­ding – im Sav­vy Con­tem­po­ra­ry und im Silent Green Kulturquartier.

Dominique Hensel

Dominique Hensel lebt und schreibt im Wedding. Jeden zweiten Sonntag gibt sie hier den Newsüberblick für den Stadtteil. Die gelernte Journalistin schreibt für den Blog gern aktuelle Texte - am liebsten zu den Themen Stadtgärten, Kultur, Nachbarschaft und Soziales. Hyperlokal hat Dominique es auf jeden Fall am liebsten und beim Weddingweiser ist sie fast schon immer.

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