Genau hinschauen lohnt sich: denn zwischen Nettelbeckplatz und Humboldthain versteckt sich ein kleiner, unscheinbarer Bäckerladen. Dabei geht es hinter den Türen in der Ravenéstraße fast ganztägig turbulent zu. Vor allem, wenn nachts die Backstube aus dem Schlaf erwacht. Seit nunmehr 16 Jahren rühren, kneten und backen Daniela und Thorsten Bucco in ihrer Handwerksstube lieber von Hand statt mit Chemie.
Es wirkt fast, als hätte sich hier in all den Jahren nichts verändert. Die Traditionsbäckerei trägt noch immer den Charme eines echten Handwerks in sich. Doch nun hat das Familienunternehmen neben der nicht endenden Auswahl an Brötchen, Plunder und Broten etwas Neues in das Sortiment aufgenommen: einen frisch gebackenen Bäckermeister.
Vom Bäckersohn zum Bäckermeister
Eigentlich wollte der 24-jährige Mike Bucco Paläontologe werden – also sich tagtäglich mit Dinosauriern und anderen Fossilien beschäftigen. Letztendlich tauschte er sein Interesse an unserer geologischen Vergangenheit gegen die elterliche Backstube. Eine freie Entscheidung? Ja, sagt Miko Bucco, denn Druck von zu Hause hätte er nie bekommen. Viel eher haben Mama und Papa Bucco seine Vorliebe für die Überreste aus einem Land vor unserer Zeit schon immer unterstützt: “Im Naturkundemuseum waren wir fast schon Stammkunden”, witzelt der junge Mann.
Im Kindesalter kam es Mike Bucco dennoch nicht in den Sinn, in das Geschäft seiner Eltern einzusteigen. Wie so oft verhalf ein in Zufall zu seinem Bäckerglück: Als ein Mitarbeiter ausgerechnet für das Pfannkuchenbacken vor Silvester krank wurde, füllte der Abiturient den leeren Platz in der Backstube. Natürlich wusste der angehende Dino-Experte genau, was die lange Liste an Pfannkuchenbestellungen für seine Eltern bedeutet. Nicht acht, nicht zehn – es dauert durchaus zwölf Stunden, bevor der letzte Zettel zerrissen und die Schürze an den Haken gehängt werden kann. Unvorstellbar, wenn dann auch noch einer ausfällt.
Auch wenn er Mike Bucco sein Leben lang den zertifizierten Bio-Bäcker der Familie vor der Nase hatte: Der Funken sprang erst in dieser Nacht über: “Diese Gerüche sind unbeschreiblich. In dem Job ist man einfach mit allen Sinnen dabei. Das finde ich besonders toll an dem Beruf”.
2017 ist die Entscheidung dann gefallen: Die Ausbildung als Bäcker und Konditor sollte die nächsten drei Jahre seiner Zeit in Anspruch nehmen. Für den Meister folgte ein weiteres anspruchsvolles Jahr samt nervenaufreibenden Abschlussprüfungen – inklusive des Meisterstückes, einer dreidimensionalen Torte, die er selbstverständlich dem Motto Fossilien widmete. Acht seiner Mitstreiter und Mitstreiterinnen haben die Ausbildung gar nicht erst zu Ende gebracht. Es ist alles andere als ein Kinderspiel – es ist ein echtes Meisterwerk.
Bäcker-Ausbildung statt Studium
Dass das Bäckerhandwerk und andere Lehrberufe in den Verruf gekommen sind, sieht Mike Bucco kritisch: “Erst nach drei oder vier Jahren versteht man den Teig so richtig. Beim Ofen dauert es noch viel länger”. Eine richtige Wissenschaft, die von den Zutaten über das Timing bis hin zur richtigen Temperatur abhängig ist. Bei über 200 verschiedenen Produkten und Rezepten, alles handgefertigt, muss sich ein angehender Bäcker, zumindest in der Bio-zertifizierten Bäckerei der Bucco’s, viel einprägen. Wer sich danach für die Weiterbildung als Bäckermeister entscheidet, kommt um Betriebswirtschaft schon gar nicht herum. “Das zählt im Übrigen auch als Bachelor-Abschluss”, weiß der frisch gebackene Bäckermeister.
Auch Daniela Bucco sorgt sich um den Nachwuchs im Handwerk. Sie weiß, dass sie mit ihrem Sohn großes Glück hat: “Viele junge Menschen können sich das gar nicht mehr vorstellen”, spricht sie aus eigener Erfahrung. Wer in dem Familienbetrieb anfangen möchte, muss sich mit nächtlichen Arbeitszeiten bis vier Uhr morgens abfinden. “Und bei uns müssen alle hart ran!”, ergänzt die zierliche Frau in aller Härte. An bestimmten Tagen gibt es partout keinen Urlaub: am 11.11. müssen etliche Mini-Pfannkuchen in die Kindergärten, in der Vorweihnachtszeit sind es die traditionellen Honig-Lebkuchen – und an Silvester wiederholen sich die Pfannkuchen.
Nach Ostern kommt wieder etwas Ruhe in die Backstube – so auch jeden Sonntag. Da bleibt der Laden zu. Auch wenn so einige Kundschaft das nicht verstehen will. “Der Sonntag ist uns heilig. Da darf nichts in die Quere kommen”, erklärt der junge Bäckermeister. Und wenn der 11.11. mal ein Sonntag ist? Dann würden sie, so Mike Bucco, eben doch arbeiten und den freien Tag nachholen. “Aber das passiert ja ein Glück nur alle paar Jahre”, ergänzt er.
Bio-Bäckerei Bucco bleibt hartnäckig: auch in Krisenzeiten
Die gekachelten Fliesen auf dem Boden, ein saisonal dekoriertes Schaufenster, die bestickte Schürze. Trotzt allen Stimmen, die bereits den Abschied echter Konditoren und Bäcker vorhersehen wollen: Bei Bucco geht es irgendwie weiter. Schon die Corona-Pandemie hat ein finanzielles Loch in die Betriebskasse gerissen: “Am Anfang genossen es viele, ausgiebig zu frühstücken und öfter mal ein Stück Kuchen zu essen. Doch mit der Kurzarbeit wurde es bei vielen auch im Portemonnaie enger”, berichtet die gelernte Bäckerei-Fachverkäuferin. Zusätzlich setzten dem Familienunternehmen die Kita-Schließungen zu – denn neben dem Verkauf im Laden zählen sie zu ihren wichtigsten Lieferkunden. “Das war dann schon hammerhart”, so die Frau hinter dem Tresen.
Über die Auswirkung der Energiekrise können Sohn und Mutter noch nicht viel sagen. “Wir sind nur froh, dass wir unseren alten Öl-Ofen nicht auf Gas umbauen lassen haben”, sagt Mike Bucco. Die Stromkosten seien noch zu verkraften, doch auf die Gasrechnung warten sie noch. Diesen brauchen sie jedoch nur, um die Masse für die Dominosteine herzustellen.
“Nur” – denn glaubt man den Worten des jungen Bäckermeisters, sind die Dominosteine mittlerweile weltberühmt. “Wir haben sogar eine Kundin, die die Dominosteine unter anderem nach China sendet”, erzählt Mike Bucco stolz. Während die Supermärkte schon seit einiger Zeit Weihnachtsgebäck anbieten, läutet Bucco die Domino-Saison Anfang November ein. Und es stimmt: noch im Laden klingelt das Telefon für die erste Bestellung zum Stichtag.
“Wenn alle ist, ist alle”
Auch im Alltagsgeschäft klingelt es ständig: “Viele unserer Stammkunden rufen an und lassen sich ihr Lieblingsbrot bis zum Abend zurücklegen – oder geben eine Extrabestellung auf”, erklärt die Fachverkäuferin. Denn während die Brottheke in den Supermärkten auch noch Abends oft randvoll ist, soll das bei Bucco nicht vorkommen – mit Absicht. “Wenn alle ist, ist alle”, so Frau Bucco. Sie sagt, dass sie gerne die Wünsche ihrer Kundschaft berücksichtigt. In der Bäckerei würde es gut funktionieren, dass am Abend nichts liegen bleibt und weggeschmissen werden muss.
Die Bucco’s wertschätzen das Brot: Auch abgesehen von dem Bewusstsein für Lebensmittelverschwendung liegt der Fokus ganz klar auf der Qualität statt Quantität. Das Bio-Mehl kaufen sie von Paulicks-Mühle aus dem Spreewald: alle drei Wochen, 60 Säcke á 25 Kilo. Zusatzstoffe verwenden sie nicht. Hinter manchem Gebäck versteckt sich statt Butter auch mal Margarine, aber das hat nichts mit sparen zu tun: “Wir wollten auch unseren laktoseintoleranten Kunden etwas anbieten können. Vieles ist also auch vegan – danach wird schon auch öfter gefragt”, erzählt Daniela Bucco.
Bio Bäckerei Bucco, Ravenéstraße 1,
Mo-Fr 8–18 Uhr, Sa 8–13 Uhr
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