Der Wedding wird zumeist mit Verwahrlosung und sozialen Problemen gleichgesetzt. Dieses Stigma verdeckt den Blick auf das baukulturelle Erbe des Mietwohnungsbaus, das es zu dokumentieren, zu erforschen und zu erhalten gilt. Unsere Autorin hat sich umgesehen.
Früherer Glanz
„Grabe, wo du stehst“ – das Motto des schwedischen Schriftstellers Sven Lindqvist (1932−2019) wurde in den 1980er Jahren Ausgangspunkt für Bürger und Bürgerinnen, die Geschichte ihrer Stadt oder ihres Wohnviertels zu erforschen. Für mich hieß das, mit dem Mietshaus anzufangen, in dem ich seit Jahresbeginn 2020 in der Nähe des Leopoldplatzes wohne. Zwar ist die Fassade des 1907 errichteten Hauses inzwischen geglättet und der Innenhof einfach asphaltiert, doch die Innenausstattung des Hausflures ließ den früheren Glanz erahnen: Wandfries und Stuckverzierungen, hölzerne Wohnungstüren und Treppengeländer, metallene Briefklappen und Türklopfer, Keramikfliesen und Glasmalerei – hier zeigt sich allerorten der Willen des Erbauers, ästhetische Ansprüche im Mietwohnungsbau zu verwirklichen.
Nach diesen Entdeckungen hatte ich das Smartphone ständig dabei, wenn ich im Wedding unterwegs war. Wo immer eine Haustür offenstand, schlüpfe ich hinein und fotografierte. Auch folgte ich der Müllabfuhr, deren „Vorauskommando“ ganz Straßenzüge mit geöffneten Eingangstüren hinterließ – und ich setzte mich dabei tapfer misstrauischen Blick aus. Dann startete ich einen Aufruf in der Nachbarschaftsplattform nebenan.de. Auf diese Weise habe ich in den letzten Monaten immerhin in etwa drei Dutzend Mietshäuser, vor allem rund um den Leopoldplatz, im Brüsseler- und in Sprengelkiez, hineinsehen und dort fotografiert können.
Wunderschöne Glasmalerei
Die Briefklappen weisen eine Vielzahl unterschiedlicher Modelle auf, erkennbar an den verschiedenen Schriftarten. In einem Haus in der Maxstraße erzählte mir eine Bewohnerin, dass der Postbote tatsächlich noch immer durch die ganzen Stockwerke läuft, um die Post durch die einzelnen Klappen in die Wohnungsflure zu werfen. Die Wohnungstüren sind als Kassettentüren und mit Glasfüllungen im oberen Bereich gestaltet und häufig von Türkränzen gerahmt. Ihre Schnitzereien sind, wie die meisten Glasfenster, durch Anstriche überdeckt. Bis heute haben sich Wandfliesen in schöner Jugendstilornamentik erhalten. Farbige Bodenfliesen der Eingangsbereiche sind oft wie gemusterte Teppiche verlegt. Besonders angetan hat es mir die variantenreiche Glasmalerei.
Schaue ich mir die Objekte an, stellen sich mir viele Fragen: Aus welcher Zeit stammen die jeweiligen Schmuckelemente? Wer hat die Muster der Wand- und Bodenfliesen, wer die Motive der Glasmalereien entworfen? Was ist original erhalten, was wurde in späterer Zeit nachgebaut? Welche Tischler, Maler, Glaser oder Stuckateure haben die Arbeiten ausgeführt?
Mein nächster Schritt ist die Suche nach spezieller Literatur zum Thema Schmuckausstattung, die mir helfen soll, meine Fragen zu beantworten. Auch Hinweise auf kundige AnsprechpartnerInnen nehme ich gerne entgegen!
Ich empfehle zu diesem Thema das Buch von Volker Hübner: Berliner Treppen. In den 1990iger Jahren hat er in verschiedenen Stadtteilen Führungen zu Berliner Treppenhäusern gemacht und dabei Sozialgeschichte erschlossen und zwar bei den “Berliner Autorenführungen”.
Besten Dank für die Hinweise.