1851, vor 170 Jahren, eröffnete August Henkel an der Badstraße ein Ausflugslokal. Wir befinden uns ungefähr auf dem Grundstück Badstraße 56 und der heutigen Bastianstraße – also kurz neben der Kreuzung Badstraße Ecke Pankstraße. Bereits damals war es eine Gegend im Umbruch, wo ganz unterschiedliche Unternehmer mit viel Spekulationsgeist ihr Glück suchten. Unter dem Aspekt jüdischen Lebens im Wedding soll diesmal an jüdische Veranstaltungen in Weimann’s Volksgarten erinnert werden. Hereinspaziert ins Vergnügen!
Volksgarten an der Badstraße, Karte von 1896.
Die ersten Jahre (1851−1889)
Henkel startete 1851 mit einem Lokal samt Garten und bot auch Vergnügen, denn es gab ein Karussell und einen Achterbahn-Vorläufer. Beide Attraktionen sorgten für ausgelassene Stimmung. Nach dem Tod von Henkel (1858) kaufte Eduard August Weimann das weitläufige Grundstück und investierte in weitere Attraktionen. Weimann meldete 1875 Insolvenz an und nachdem auch die nächsten Eigentümer scheiterten, versuchte 1879 der Sohn Max Weimann den Volksgarten weiter zu etablieren.
Innerhalb weniger Jahre war der Volksgarten bereits so bekannt, dass er 1883 im Baedeker – also dem “MARCO POLO” des 19. Jahrhunderts – neben dem Berliner Prater (Kastanien-Allee 6), der Neuen Welt (Hasenheide) und Happoldt’s Brauerei (Hasenheide) unter “Lokale für Volksvergnügungen aller Art” erwähnt wurde. Auch im Baedeker von 1890⁄91 wird der Volksgarten genannt. 1889 kaufte die Berliner Adlerbrauerei den Volksgarten und Max Weimann blieb Geschäftsführer.
Seinerzeit wurde der Volksgarten an der Badstraße von Wohn- und Geschäftshäusern begrenzt. Zwischen zwei pavillonartigen Gebäuden wechselten sich – ähnlich einer Kolonnade – Säulen und Wandstücke ab. Dies wirkte auf den ersten Blick klassisch elegant, wenngleich die Flächen hauptsächlich für Reklame genutzt wurden. Um 1886 gab es einen weiteren Eingang an der Pankstraße 25. Das Gelände umfasst 10 Morgen und wurde von 12.000 Lampions erleuchtet. Drinnen saßen die Gäste unter Bäumen, denn das Grundstück reicht bis weit in den Block hinein. Es gab eine Bühne und viele weitere Attraktionen. Gleich daneben, Badstraße 58, befand sich ab 1902 das Bernhard Rose-Theater: ein Restaurationstheater mit angeschlossener Sommerbühne für bis zu 2.000 Gäste. In diesem Bereich der Badstraße wurde die Nacht zum Tag gemacht.
Weimann’s Volksgarten, Anzeige von 1886.
1891: Volksfest für die aus Russland vertriebenen Juden
Ohne an dieser Stelle die komplexe Geschichte der Beziehung zwischen Russland und den dort lebenden jüdischen Menschen um 1880 zu erklären, soll nur erwähnt werden, dass es zwischen 1881 bis 1884 zu zahlreichen Pogromen kam und ab 1891 die systematische Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aus Moskau begann. Nachweislich gab es in Berlin bereits 1882 ein Zentralasyl für jüdische Flüchtlinge aus Russland. Es befand sich am Schlesischen Bahnhof (heute Ostbahnhof). Dort wurden in einem großen Gehöft mit mehreren Speichern und Fabrikräumen die Frauen, Kinder und Männer mit Kleidung, Decken, Arznei etc. versorgt.
Viele unterschiedliche jüdische Vereine und Privatpersonen engagierten sich für die jüdischen Flüchtlinge aus Russland. Alleine im Juni 1891 gab es in Berlin drei Wohltätigkeitsveranstaltungen: am 15. Juni im Wallner-Theater eine Wohltätigkeitsvorstellung, am 18. Juni ein Konzert und Sommerfest in der Philharmonie und am 23. Juni ein Volksfest in Weimann’s Volkgarten. Alle drei Veranstaltungen stießen auf großes Interesse. Für das Volksfest auf dem Gesundbrunnen wurden 20.000 Eintrittskarten verkauft, so ein Bericht im Der Israelit vom 6.7.1891. Das Sommerfest in der Philharmonie brachte einen Überschuss von 18.000 Mark. Mit den Geldern konnten die Fürsorgeangebote für die aus Russland vertriebenen notleidenden jüdischen Familien weiter finanziert werden.
Unter freiem Himmel, Bühne im Volksgarten, um 1900.
1892 und 1893: “Esra” veranstaltet Sommerfeste
Der jüdische Verein “Esra” wurde 1884 in Berlin mit dem Ziel gegründet, dass neue jüdische Kolonien in Palästina entstehen. In erster Linie ging es um Siedlungen, die über den Ackerbau neues Land erschließen und sich so eine wirtschaftlich unabhängige Stellung schaffen. An diesem Ziel arbeiteten jüdische Vereine aus dem In- und Ausland, denn die Bewegung setzte Ende der 1870er Jahre ein. In erster Linie waren es russisch-jüdische Flüchtlinge, die in Palästina ein neues Leben begannen. Beim Aufbau der neuen Ansiedlungen halfen Studenten und innerhalb weniger Jahre gab es im Getreide- und Weinbau wachsende Erträge.
“Esra” konnte einen schnellen Mitgliederzuwachs verzeichnen: vom 1. Januar 1891 bis 22. März 1892 von circa 900 auf 1.800. Es wurden Zweigvereine in Breslau, Frankfurt am Main, Hamburg und Leipzig gegründet. Auch hatte der Verein einen Vertreter vor Ort, der dafür seinen Wohnsitz von Berlin nach Jerusalem verlegte. Nach den zahlreichen Unterstützungen in der Landwirtschaft wollte der Verein ab 1905 die Gründung einer Kunstgewerbeschule in Jerusalem mitfinanzieren, damit durch den Export der Kunsthandwerkswaren neue Einnahmen entstehen.
Volksgarten, Ansicht Badstraße, um 1905.
Im Der Gemeindebote: Beilage zur Allgemeinen Zeitung des Judenthums erschien am 17.6.1892 folgende Ankündigung: “Der Verein “Esra” veranstaltet am Dienstag den 21. Juni (1892) ein Volksfest zum Besten der Ackerbau treibenden russischen Juden in Palästina. Dasselbe findet in Weimann’s Volksgarten auf dem Gesundbrunnen statt und beginnt um 4 Uhr. Der Eintrittspreis beträgt 50 Pfennige, für Kinder die Hälfte”. Leider gibt es über diese Veranstaltung keine weiteren Informationen.
Ein Jahr später: Im Der Gemeindebote: Beilage zur Allgemeinen Zeitung des Judenthums erschien am 30.6.1893 folgender Bericht: “Der Verein “Esra” zur Unterstützung der ackerbautreibenden Juden in Palästina und Syrien hat in letzter Zeit eine rege propagandistischer Thätigkeit entwickelt. Am 21. d.M. beging der Berliner Lokalverband hierselbst im Weimannschen Volksgarten auf dem Gesundbrunnen sein diesjähriges Sommerfest, zu dem die Mitglieder mit ihren Familien und zahlreichen Gästen aus allen Stadttheilen herbeigeeilt waren.” Es wird berichtet, dass zu dieser Veranstaltung bei schönstem Wetter über 5.000 Gäste anwesend waren. “Zur Belustigung der bereits am Nachmittag zahlreich anwesenden Kinderschar waren Gesellschaftsspiele arrangiert, ein Marionettentheater rief lebhafte Heiterkeit durch seine drolligen Darbietungen hervor”. Nach Ansprachen, Theateraufführungen und Chorgesang gab es zu später Stunde noch ein prächtiges Feuerwerk, was den Höhepunkt des Sommerfestes markierte.
1896: Sommerfest des Humanitäts-Vereins “Linath Hazedek I”
Um 1880 lebten in Berlin circa 54.000 Juden und bereits 15 Jahre später waren es 86.152, so die Jüdische Gemeinde. Viele jüdische Menschen waren auf Hilfsangebote angewiesen. Daher gründeten sich zahlreiche neue Vereine. Im Jahr 1890 wurde der Humanitäts-Verein „Linath Hazedek“ gegründet. Er hatte 1893 bereits 200 Mitglieder. Für einen Monatsbeitrag von anfänglich 75 Pfennig bekamen die Mitglieder Krankenpflege, ärztliche Behandlung, Arznei und eine religiöse Begleitung bei Sterbenden. Der große Unterschied zu anderen Vereinen war, dass die Fürsorge nicht auf das zahlende Mitglied beschränkt war, sondern die gesamte Familie das Angebot in Anspruch nehmen konnte.
Der Verein plante für den 10.6.1896 ein Sommerfest in Weimann’s Volksgarten. Es sollten sowohl Gelder für den Reservefonds als auch zur Begründung einer Witwenkasse gesammelt werden. Von dem Fest berichtete Der Berliner Vereinsbote am 19.6.1896, dass die gemütliche Feststimmung bei den Gästen zu einem Aufenthalt bis nach Mitternacht verleitete. Für die tausenden Besucher gab es Ansprachen, ein Doppelkonzert (u.a. trat Vörös Miska auf) und ein Feuerwerk. “Ganz besonders sei noch erwähnt, dass die Comitémitglieder sich vollkommen der wahrlich nicht leichten Aufgabe gewachsen zeigten, bei einem Menschenandrang von einigen Tausenden soweit thunlich den Wünschen der einzelnen Festteilnehmern in aufmerksamster Weise nachzukommen. Doch wo das einmal nicht anging, zeigten sich auch die Besucher liebenswürdig und entgegenkommend, so dass das wirklich großartige Fest ohne jeden Misston und in echter jüdischer Geselligkeit verlief”, so Der Berliner Vereinsbote. Insgesamt konnte der Verein durch das Sommerfest 1.500 Mark für die neuen Ziele einnehmen.
Badstraße 58: Bernhard Rose-Theater und ein Stück weiter Adlerbrauerei
Zusammenfassung
Bislang ist über jüdisches Leben auf dem Gesundbrunnen und im Wedding vor 1900 kaum etwas bekannt. Es gibt industrielle Familien wie die Gattels, die hier eine neue Fabrik eröffneten, aber ansonsten nur wenige Anhaltspunkte. Umso bemerkenswerter ist, dass jüdische Vereine Veranstaltungen mit mehreren tausenden Besuchern in Weimann’s Volksgarten organisierten. Die Feste dienten wohltätigen Zwecken und waren überaus erfolgreich.
1903 ging der Volksgarten in den Besitz von Moritz Ollendorf über. Zu Ostern 1905 öffnete er letztmalig seine Tore, denn danach folgte der Abriss, die Anlage der Bastianstraße und schließlich auch die Bebauung. Damit waren Weimann’s Volksgarten und große Veranstaltungen von jüdischen Vereinen auf dem Gesundbrunnen endgültig Geschichte.
Bildquelle Titelbild: Weimann’s Volksgarten, 1905, Heimatmuseum Wedding.
Ich schreibe dies aus Australien und verwende Google Translate, da mein Deutsch nicht mehr so gut ist wie früher.
Im Jahr 1832 gründete mein Ururgroßvater Emanuel Meyer (1811−83) in Halberstadt eine Handschuhfabrik.
Er eröffnete 1853 in der Spandauerstraße in Berlin, Ecke Papenstraße 70 (heute Karl-Liebknecht-Straße), einen Handschuhgroßhandel.
Drei Jahre später, 1856, erwarb er für seine Fabrik ein fünf Hektar großes Grundstück in der Prinzenallee 54–56 in Berlin-Gesundbrunnen. Das Gelände grenzte an Pankow, die hintere Grenze bildete der Fluss Panke. 1857 folgte ihm die Familie nach Berlin und zog in die Prinzenallee 54, neben der Fabrik.
Am 8. Oktober 1882 feierte die heutige Lederfabrik Emanuel Meyer ihr 50-jähriges Bestehen. Die Feierlichkeiten begannen am Samstagnachmittag, einen Tag vor dem eigentlichen Jubiläumstermin. Als Dankeschön an seine Mitarbeiter veranstaltete das Unternehmen für alle Mitarbeiter und deren Angehörige ein großes Fest im Weimannschen Volksgarten. Die Party beinhaltete ein Abendessen, einen kostenlosen Bierball und Unterhaltung, während ein Chorgesang sang und Freunde und Kollegen, darunter viele ehemalige Auszubildende und Assistenten, den ganzen Tag über ihre Glückwünsche überbrachten.
Wenn jemand weitere Informationen über das Unternehmen von Emanuel Meyer hat, wäre er sehr dankbar.
1908 erfolgte der Umzug nach Guben.
Hallo Herr Nash, es gibt viele spannende Details zur Fabrik Ihrer Familie. Sie kommt auch in meinem Buch “Bittersweet: Jüdisches Leben im Roten Wedding, 1871–1933” vor. Gerne können wir uns dazu weiter austauschen.
Sehr interessant meinen Namen hier zu lesen. Bin 1972 aus dem Ruhrgebiet nach Berlin gekommen. Mein Großvater hat um 1900 in Gelsenkirchen Hessler ein Kolonialwarengeschäft, eine Futtermittelhandlung und einen Fuhrbetrieb gegründet. Mein Vater, Johann Weimann wurde 1904 in Essen geboren. Nach seinen Erzählungen stammt die Familie aus Ostpreußen.
Danke für die interessante Bescheibung. Ich bin an der Plumpe aufgewachsen.Liebe Grüsse, OJ. Fichtner