Immer wieder geht es in der öffentlichen Diskussion um die (fehlende) Infrastruktur für gute Bildung: um Schulplätze, um Lehrkräfte, um ganze Schulgebäude. Im Computerbereich würde man von Hardware sprechen. Doch auch die Software ist wichtig. Um eher weiche, inhaltliche Bedingungen im Bezirk ging es kürzlich bei einem Fachtag in der Willy-Brandt-Schule in der Grüntaler Straße. Unter dem etwas bürokratisch klingenden Titel „Unterstützung von Kindern und Jugendlichen im Autismusspektrum am Ort Schule“ ging es um Inklusion in der Schule.
Inklusion ist ein weites Feld. In jeder Klasse lernen heutzutage Kinder mit besonderen Bedürfnissen, mit Förderbedarf oder mit Behinderungen. Von Matheschwäche über mangelnde Deutschkenntnisse oder Aufmerksamkeitsdefizit, von körperlichen Beeinträchtigungen bis hin zu Verhaltensauffälligkeiten sind Lehrerinnen und Lehrer mit vielen verschiedenen Herausforderungen gleichzeitig konfrontiert. Auch autistische Kinder sind heutzutage in jeder Schule und es werden stetig mehr. Im Bezirk Mitte werden aktuell knapp 100 Schülerinnen und Schüler mit diesem Förderbedarf inklusiv in den Grund- und Oberschulen und etwa 50 in Kleinklassen in Förderzentren unterrichtet. Warum ihre Zahl stetig steigt, erklärte Juliane Succow vom AutismusThearapieZentrum in ihrem Einführungsvortrag zum Thema Autismus. „Mediziner und Kinder- und Jugendpsychiater, die vor 1994 studiert haben, hatten das nicht in ihrer Ausbildung“, sagte Juliane Succow. Erst danach wurde vermittelt, wie man eine Autismusspektrumstörung feststellt und beurteilt. Mit der zunehmenden Kenntnis über Autismus würden auch mehr Diagnosen gestellt.
Juliane Succow gab den Anwesenden einen groben Überblick, was eine Autismusspektrumstörung ist. Es handelt sich um eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, die im Kindesalter beginnt. Autismus ist eine Behinderung und nicht heilbar. Das Problem für Diagnostik und Umgang in der Schule fasste die Rednerin in einem Satz zusammen: „Autismus ist so verschieden!“ Es gibt Autisten, die kaum sprechen können, intelligenzgemindert sind, aggressive und zurückgezogene Autisten und jene, die gerade durch besondere Intelligenz und Spezialinteressen auffallen. Allen ist gemeinsam, dass ihr Sozialverhalten auffällig ist. Einen der Gründe für das abweichende Verhalten erklärte Juliane Succow mit einer Besonderheit in der Wahrnehmung: „Neurotypische (normale) Menschen nehmen fünf bis zehn Prozent der Reize wahr, die sie umgeben. Autisten nehmen 30 bis 50 Prozent der Reize wahr. Die Reizfilterung funktioniert anders.“ Die vielen Reize führten unter anderem zu einer Überlastung des Gehirns und zu auffälligem Verhalten.
Mit diesem auffälligen Verhalten sind viele der anwesenden Lehrkräfte bereits konfrontiert gewesen. Das zeigte sich in der Fragerunde und in den Pausengesprächen. In elf Workshops konnten sich die Pädagoginnen und Pädagogen dazu mit Fachleuten austauschen und erfahren, welche pädagogischen Hilfen im Umgang mit diesen besonderen Schülerinnen und Schüler hilfreich sind: Routinen, Rückzugsmöglichkeiten, Vereinbarungen, eine reizarme Umgebung, Ja- statt Nein-Regeln. Auch eine klare Sprache und uneindeutige Ausgabenstellungen seien wichtig, denn viele autistische Menschen verstehen keine Ironie, keine Zwischentöne. Dabei wurde oft betont, dass viele der Hilfen für Kinder im Autismusspektrum auch allen anderen Kindern in der Klasse helfen, besser zu lernen. In weiteren Workshops ging es um Themen wie den Nachteilsausgleich, um Schulassistenz oder um Empowerment für Eltern. Am Ende des Fachtags stellten sich auf einem Marktplatz verschiedene mit dem Thema Autismus befasste Initiativen, Vereine und Selbsthilfegruppen mit ihren Angeboten vor.
Das Interesse an dem Weiterbildungstag am 20. November war groß. Schulleiterin Andrea Franke, die die Hardware (die Räume) für den Fachtag zur Verfügung gestellt hatte, begrüßte mehr als 200 Lehrerinnen und Lehrer aus ganz Mitte in der voll besetzten Aula ihrer Schule. Auch die Weddinger Schulen waren vertreten, die Namensschilder zeigten, dass jede Schule mehrere Vertreterinnen und Vertreter geschickt hatte. Der Fachtag wurde unter Federführung des Schulpsychologischen und Inklusionspädagogischen Beratungs- und Unterstützungszentrums (SIBUZ) Mitte organisiert. Weitere Veranstaltungen zum Thema Inklusion autistischer Kinder, so wurde bei der Begrüßung mitgeteilt, sollen folgen, wenn auch vielleicht in kleinerem Rahmen.
Wo sind die Untersuchungen und Studien inwieweit die 6‑Fachimpfungen für Kinder diese hier besprochenen “besonderen Bedürfnissen”, mit “Förderbedarf” oder mit “Behinderungen” hervorrufen.
Es gibt sie nicht. Gäbe es Studien könnte diese Tagung entfallen.
Man geht heute davon aus, dass Vererbung bei Autismus eine Rolle spielt. Das kann fast jede betroffene Familie, die ich kenne (und ich kenne einige), leicht bestätigen. Denn meist gibt ist bei näherer Betrachtung schon der Onkel betroffen gewesen oder der Opa. Und unabhängig von den Ursachen macht das ja auch keinen Unterschied: Heute und jetzt gibt es Autisten, die auch beschult werden müssen. Insofern ist ein Austausch über den Umgang mit ihnen wichtig. Unabhängig von dem Grund, warum Autisten Autisten sind. Damit können sich Mediziner beschäftigen, hier geht es um Lehrerinnen und Lehrer.