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Aus alt mach jung: Senior:innenheim im Wedding als Schule?

5. Februar 2022
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Foto: Wed­ding­wei­ser

Ber­lin braucht Schu­len! Des­halb soll das denk­mal­wür­di­ge Senior:innenheim von Wer­ner Dütt­mann einem Schul­neu­bau wei­chen. Ist ein Abriss sinn­voll im Hin­blick auf die Kli­ma­kri­se oder ist eine Umnut­zung mög­lich? Zwei Stu­den­tin­nen der Stadt­pla­nung und der His­to­ri­schen Urba­nis­tik haben sich damit auseinandergesetzt.

Unweit des Naue­ner Plat­zes im Wed­ding, an der Schul­stra­ße, ste­hen Bau­zäu­ne: dahin­ter ein lang­sam ver­wil­dern­der Gar­ten und ein in sanf­tem Gelb gehal­te­nes Gebäu­de. Ent­lang der Zäu­ne infor­mier­ten im ver­gan­ge­nen Som­mer Tafeln des Brü­cke Muse­ums im Rah­men einer Aus­stel­lung anläss­lich des 100. Geburts­tag des Archi­tek­ten Wer­ner Dütt­mann. In ers­ter Linie bekannt für Gebäu­de wie die Han­sa-Biblio­thek oder die Aka­de­mie der Küns­te sowie gro­ße Woh­nungs- und städ­te­bau­li­che Pro­jek­te wie das Mär­ki­sche Vier­tel, hin­ter­ließ Dütt­mann als ehe­ma­li­ger Senats­bau­di­rek­tor vie­le Spu­ren in der Stadt. Dazu gehört auch das zwi­schen 1952 und 1953 im Auf­trag des Bezirks­amts Wed­ding errich­te­te Senior:innenheim an der Schul­stra­ße . Nach­dem das Heim 2003 vom Jüdi­schen Kran­ken­haus Ber­lin über­nom­men und als Pfle­ge­zen­trum wei­ter­ge­führt wur­de, schloss es 2018 sei­ne Türen, weil die Bezirks­ver­wal­tung die Flä­che für eine Schu­le zurück­for­der­te. Das Pro­jekt ist Teil der Ber­li­ner Schul­bau­of­fen­si­ve (BSO).

Die Berliner Schulbauoffensive 

Die Ber­li­ner Schul­bau­of­fen­si­ve gilt als eines der größ­ten Inves­ti­ti­ons­pro­gram­me der Stadt. 2017 vom Ber­li­ner Senat beschlos­sen, soll­te bis 2026 mit 5,5 Mil­li­ar­den Euro Platz für rund 70.000 Schüler:innen geschaf­fen wer­den, unter ande­rem durch den Neu­bau von 60 Schu­len. Bis zum ver­gan­ge­nen Herbst waren jedoch erst 21.000 neue Schul­plät­ze geschaf­fen wor­den. Als die Links­frak­ti­on im Janu­ar 2021 nach einer aktu­el­len Schü­ler­zahl­pro­gno­se frag­te, ver­kün­de­te die Senats­ver­wal­tung für Bil­dung, Jugend und Fami­lie außer­dem, dass sie bis 2025 mit zusätz­li­chen 75.000 Schüler:innen rech­ne. Die Lage ist ernst und es scheint, als müss­ten Bau­vor­ha­ben schnel­ler umge­setzt werden.

Für den Neu­bau an der Schul­stra­ße im Wed­ding ist die lan­des­ei­ge­ne Woh­nungs­bau­ge­sell­schaft HOWOGE zustän­dig. Vor weni­gen Jah­ren beauf­trag­te das Bezirks­amt Mit­te das Stadt­pla­nungs­bü­ro STERN mit einer Unter­su­chung des Grund­stücks, bei der sich her­aus­stell­te, dass sich das viel­ecki­ge Grund­stück nur schwer­lich mit einem block­för­mi­gen Gebäu­de­kör­per bebau­en lässt. Die HOWOGE plant ein vier­zü­gi­ges Gym­na­si­um für 664 Schüler:innen zu errich­ten, sowie eine Dop­pel­sport­hal­le mit ins­ge­samt 6 Hal­len­tei­len. Für den Schul­sport soll außer­dem die Han­ne-Sobeck-Sport­platz­an­la­ge mit­ge­nutzt wer­den. Um das Gebäu­de bis 2026 fer­tig­zu­stel­len, soll in die­sem Jahr nun das Senior:innenheim abge­ris­sen werden.

Ein Fall für den Denkmalschutz?

Auf den ers­ten Blick wirkt das Gebäu­de wie ein schlich­ter Sied­lungs­bau, typisch für die 1950er Jah­re. Ein Blick auf den Stadt­plan offen­bart die raum­grei­fen­de, ster­nen­för­mi­ge Anla­ge, zwi­schen deren Gebäu­de­flü­geln sich meh­re­re mit Bäu­men bepflanz­te Höfe auf­tun. Zwei von ihnen sind von der Schul­stra­ße aus ein­seh­bar. Ins­be­son­de­re der Hof an der Ecke von Schul­stra­ße und Heinz-Galin­ski-Stra­ße öff­net sich einem Park ähn­lich zum öffent­li­chen Raum hin, mit einem ein­la­den­den Ron­dell an der Stra­ßen­ecke.

Beson­de­re Ele­men­te des detail­reich gestal­te­ten Gebäu­des sind ein von Wer­ner Dütt­mann ent­wor­fe­nes Glas­fens­ter im Trep­pen­haus sowie ein Wand­bild der Künst­le­rin Loni Lipin­si­ki im Spei­se­saal. Das far­bi­ge Glas­fens­ter mit Tier- und Gestirn­dar­stel­lun­gen ver­bin­det alle Eta­gen mit­ein­an­der, wäh­rend das Wand­bild in Gips­schnitt-Tech­nik den Spei­se­saal belebt, „mit Ber­li­ner Archi­tek­tur­mo­ti­ven und Stra­ßen­sze­nen, deren leicht­hän­di­ge umriss­be­ton­te Strich­füh­rung an die Buch- und Wer­be­gra­fik der Zeit den­ken lässt“ so Kers­tin Witt­mann-Eng­lert im Kata­log zur Aus­stel­lung 100 Jah­re Dütt­mann.

Unter­schied­li­che Per­so­nen set­zen sich für den Erhalt des Gebäu­des ein und for­dern sei­ne Unter­schutz­stel­lung. So haben nach Kers­tin Witt­mann-Eng­lert, Pro­fes­so­rin mit Schwer­punkt Archi­tek­tur­ge­schich­te „[d]er Spei­se­saal mit sei­ner geschwun­ge­nen Scha­len­be­ton­kon­struk­ti­on oder auch die Kunst­wer­ke in der Trep­pen­hal­le […] Denk­mal­wert“ (ebd.) Auch Hans Dütt­mann, Archi­tekt und Sohn Wer­ner Dütt­manns, enga­giert sich gegen den Abriss. Als Denk­mal-Ver­dacht wird das Heim aktu­ell vom Lan­des­denk­mal­amt über­prüft. Das allein ver­hin­dert kei­nen Abriss und die Prü­fung dau­ert an. Gleich­zei­tig ist der Zustand von etwa Loni Lipin­skis Wand­bild oder Wer­ner Dütt­manns Glas­fens­ter nach Jah­ren des Leer­stands ungewiss.

Umnutzung – die Alternative zum Abriss 

Ange­sichts der Kli­ma­kri­se scheint die weit­ver­brei­te­te Pra­xis des Abrei­ßens und Neu­bau­ens wider­sin­nig. 55 % des Müll­auf­kom­mens in Deutsch­land und 38 % der glo­ba­len CO2-Emis­sio­nen ver­ur­sacht der Bau­sek­tor. Nach­hal­ti­ger als Neu­bau­ten sind Instand­set­zun­gen und Erwei­te­run­gen von Bestands­ge­bäu­den. Das Heim im Wed­ding könn­te ein posi­ti­ves Bei­spiel für eine kli­ma- und somit gene­ra­tio­nen­ge­rech­te Umnut­zung sein. Nötig ist dazu eine Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Bestand – eine Vor­ge­hens­wei­se, die von vie­len Auftraggeber:innen und Pla­nen­den als umständ­lich, kos­ten- und zeit­in­ten­siv wahr­ge­nom­men wird. Spielt bei Umbau­vor­ha­ben der Denk­mal­schutz eine Rol­le, mögen die Pla­nun­gen durch­aus her­aus­for­dern­der sein. Im Fall des Heims an der Schul­stra­ße konn­te bis­her kein posi­ti­ver Bescheid zur Unter­schutz­stel­lung aus­ge­stellt werden.

Modellprojekt Schule

Die beson­de­re Form des Gebäu­des kre­iert vier Höfe, die für den Schul­be­trieb in unter­schied­li­cher Wei­se genutzt wer­den könn­ten. Die Höfe ber­gen das Poten­zi­al, den Unter­richt von den Klas­sen­räu­me in den Außen­raum zu erwei­tern, um so viel­fäl­ti­ge­re Lern­for­men zu ermög­li­chen. Hier lie­ße sich auch der his­to­ri­sche Baum­be­stand erhal­ten. Wo im Nor­den die Grün­flä­che flie­ßend in den Stadt­raum über­geht, könn­ten Schüler:innen ihre Pau­sen und Frei­zeit ver­brin­gen. Gemein­schafts­räu­me wie die Men­sa könn­ten wei­ter­hin in die­ser Funk­ti­on oder Aula genutzt wer­den. Das alles ist ohne gro­ße Pla­nung vor­stell­bar. Eine Neu­kon­zep­ti­on der Grund­ris­se und eine Ergän­zung, um Klas­sen­räu­me für 664 Schüler:innen zu schaf­fen, wären pla­ne­ri­sche Her­aus­for­de­run­gen des Pro­jekts. Es könn­te ein Modell­pro­jekt der Ber­li­ner Schul­bau­of­fen­si­ve wer­den, bei dem Denk­mal­schutz, Kli­ma- und Gene­ra­tio­nen­ge­rech­tig­keit eben­so wich­tig sind wie die Bau­kos­ten. Bau­li­che und städ­te­bau­li­che Pla­nun­gen dür­fen in Zukunft nicht vor­wie­gend an den Errich­tungs­kos­ten gemes­sen wer­den, son­dern müs­sen eben­so Aspek­te wie Kli­ma­ge­rech­tig­keit, die sich nicht ein­fach mone­tär erfas­sen las­sen, berück­sich­ti­gen. Die Gesell­schaft kann es sich nicht leis­ten, wei­ter­hin intak­te Bau­sub­stanz­ab­zu­rei­ßen und durch Neu­bau­ten zu erset­zen. Eine kla­re poli­ti­sche Posi­tio­nie­rung ist not­wen­dig, sowie recht­li­che und ver­wal­tungs­in­ter­ne Ver­än­de­run­gen, die Umnut­zun­gen begüns­ti­gen. Wir schla­gen des­halb einen neu­en Wett­be­werb zur Umnut­zung des Bestands und als zukünf­ti­gen Schul­na­men „Wer­ner-Dütt­mann-Gym­na­si­um“ vor.

Autorin­nen: Lil­ly Schnell, Lil­li Rast; Fotos: Lil­ly Schnell

Gastautor

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3 Comments

  1. ein abso­lut berech­tig­ter und guter kom­men­tar. dan­ke sehr!
    wie sieht es mit dem ver­ga­be­recht, bzw. juris­ti­schen feil­stri­cken des wett­be­werbs aus? ist es noch mög­lich die wett­be­werbs­ent­schei­dung zu ändern oder ist die zusa­ge des bezirks an das archi­tek­tur­bü­ro verbindlich?

  2. Die Stadt Ber­lin hat sich in einem Grund­ent­scheid dafür aus­ge­spro­chen, dass kei­ne Flur­schu­len mehr gebaut wer­den, son­dern alle neue Schu­len nach neu­en päd­ago­gi­schen Kon­zep­ten zu bau­en, den Com­part­ment­schu­len. Hier wird kein her­kömm­li­cher Unter­richts­raum mehr pro Klas­se benö­tigt, son­dern das Gebäu­de besteht aus qua­si einer rie­si­gen Aula, in der die Schü­ler selbst­stän­dig ler­nen, “Ecken” wo die Leh­rer sind und “Ecken” wo sich die Klas­se gele­gent­lich tref­fen kann.
    Das von ihnen gezeig­te ehe­ma­li­ge Alten­heim ist ein nied­ri­ges lang­ge­streck­tes Gebäu­de mit vie­len anein­an­der gereih­ten Zim­mern. Ich den­ke sie erken­nen sel­ber, dass in einem sol­chen Gebäu­de kein Unter­richt nach zeit­ge­mä­ßen päd­ago­gi­schen Kon­zep­ten mög­lich ist.

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