Berlin braucht Schulen! Deshalb soll das denkmalwürdige Senior:innenheim von Werner Düttmann einem Schulneubau weichen. Ist ein Abriss sinnvoll im Hinblick auf die Klimakrise oder ist eine Umnutzung möglich? Zwei Studentinnen der Stadtplanung und der Historischen Urbanistik haben sich damit auseinandergesetzt.
Unweit des Nauener Platzes im Wedding, an der Schulstraße, stehen Bauzäune: dahinter ein langsam verwildernder Garten und ein in sanftem Gelb gehaltenes Gebäude. Entlang der Zäune informierten im vergangenen Sommer Tafeln des Brücke Museums im Rahmen einer Ausstellung anlässlich des 100. Geburtstag des Architekten Werner Düttmann. In erster Linie bekannt für Gebäude wie die Hansa-Bibliothek oder die Akademie der Künste sowie große Wohnungs- und städtebauliche Projekte wie das Märkische Viertel, hinterließ Düttmann als ehemaliger Senatsbaudirektor viele Spuren in der Stadt. Dazu gehört auch das zwischen 1952 und 1953 im Auftrag des Bezirksamts Wedding errichtete Senior:innenheim an der Schulstraße . Nachdem das Heim 2003 vom Jüdischen Krankenhaus Berlin übernommen und als Pflegezentrum weitergeführt wurde, schloss es 2018 seine Türen, weil die Bezirksverwaltung die Fläche für eine Schule zurückforderte. Das Projekt ist Teil der Berliner Schulbauoffensive (BSO).
Die Berliner Schulbauoffensive
Die Berliner Schulbauoffensive gilt als eines der größten Investitionsprogramme der Stadt. 2017 vom Berliner Senat beschlossen, sollte bis 2026 mit 5,5 Milliarden Euro Platz für rund 70.000 Schüler:innen geschaffen werden, unter anderem durch den Neubau von 60 Schulen. Bis zum vergangenen Herbst waren jedoch erst 21.000 neue Schulplätze geschaffen worden. Als die Linksfraktion im Januar 2021 nach einer aktuellen Schülerzahlprognose fragte, verkündete die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie außerdem, dass sie bis 2025 mit zusätzlichen 75.000 Schüler:innen rechne. Die Lage ist ernst und es scheint, als müssten Bauvorhaben schneller umgesetzt werden.
Für den Neubau an der Schulstraße im Wedding ist die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft HOWOGE zuständig. Vor wenigen Jahren beauftragte das Bezirksamt Mitte das Stadtplanungsbüro STERN mit einer Untersuchung des Grundstücks, bei der sich herausstellte, dass sich das vieleckige Grundstück nur schwerlich mit einem blockförmigen Gebäudekörper bebauen lässt. Die HOWOGE plant ein vierzügiges Gymnasium für 664 Schüler:innen zu errichten, sowie eine Doppelsporthalle mit insgesamt 6 Hallenteilen. Für den Schulsport soll außerdem die Hanne-Sobeck-Sportplatzanlage mitgenutzt werden. Um das Gebäude bis 2026 fertigzustellen, soll in diesem Jahr nun das Senior:innenheim abgerissen werden.
Ein Fall für den Denkmalschutz?
Auf den ersten Blick wirkt das Gebäude wie ein schlichter Siedlungsbau, typisch für die 1950er Jahre. Ein Blick auf den Stadtplan offenbart die raumgreifende, sternenförmige Anlage, zwischen deren Gebäudeflügeln sich mehrere mit Bäumen bepflanzte Höfe auftun. Zwei von ihnen sind von der Schulstraße aus einsehbar. Insbesondere der Hof an der Ecke von Schulstraße und Heinz-Galinski-Straße öffnet sich einem Park ähnlich zum öffentlichen Raum hin, mit einem einladenden Rondell an der Straßenecke.
Besondere Elemente des detailreich gestalteten Gebäudes sind ein von Werner Düttmann entworfenes Glasfenster im Treppenhaus sowie ein Wandbild der Künstlerin Loni Lipinsiki im Speisesaal. Das farbige Glasfenster mit Tier- und Gestirndarstellungen verbindet alle Etagen miteinander, während das Wandbild in Gipsschnitt-Technik den Speisesaal belebt, „mit Berliner Architekturmotiven und Straßenszenen, deren leichthändige umrissbetonte Strichführung an die Buch- und Werbegrafik der Zeit denken lässt“ so Kerstin Wittmann-Englert im Katalog zur Ausstellung 100 Jahre Düttmann.
Unterschiedliche Personen setzen sich für den Erhalt des Gebäudes ein und fordern seine Unterschutzstellung. So haben nach Kerstin Wittmann-Englert, Professorin mit Schwerpunkt Architekturgeschichte „[d]er Speisesaal mit seiner geschwungenen Schalenbetonkonstruktion oder auch die Kunstwerke in der Treppenhalle […] Denkmalwert“ (ebd.) Auch Hans Düttmann, Architekt und Sohn Werner Düttmanns, engagiert sich gegen den Abriss. Als Denkmal-Verdacht wird das Heim aktuell vom Landesdenkmalamt überprüft. Das allein verhindert keinen Abriss und die Prüfung dauert an. Gleichzeitig ist der Zustand von etwa Loni Lipinskis Wandbild oder Werner Düttmanns Glasfenster nach Jahren des Leerstands ungewiss.
Umnutzung – die Alternative zum Abriss
Angesichts der Klimakrise scheint die weitverbreitete Praxis des Abreißens und Neubauens widersinnig. 55 % des Müllaufkommens in Deutschland und 38 % der globalen CO2-Emissionen verursacht der Bausektor. Nachhaltiger als Neubauten sind Instandsetzungen und Erweiterungen von Bestandsgebäuden. Das Heim im Wedding könnte ein positives Beispiel für eine klima- und somit generationengerechte Umnutzung sein. Nötig ist dazu eine Auseinandersetzung mit dem Bestand – eine Vorgehensweise, die von vielen Auftraggeber:innen und Planenden als umständlich, kosten- und zeitintensiv wahrgenommen wird. Spielt bei Umbauvorhaben der Denkmalschutz eine Rolle, mögen die Planungen durchaus herausfordernder sein. Im Fall des Heims an der Schulstraße konnte bisher kein positiver Bescheid zur Unterschutzstellung ausgestellt werden.
Modellprojekt Schule
Die besondere Form des Gebäudes kreiert vier Höfe, die für den Schulbetrieb in unterschiedlicher Weise genutzt werden könnten. Die Höfe bergen das Potenzial, den Unterricht von den Klassenräume in den Außenraum zu erweitern, um so vielfältigere Lernformen zu ermöglichen. Hier ließe sich auch der historische Baumbestand erhalten. Wo im Norden die Grünfläche fließend in den Stadtraum übergeht, könnten Schüler:innen ihre Pausen und Freizeit verbringen. Gemeinschaftsräume wie die Mensa könnten weiterhin in dieser Funktion oder Aula genutzt werden. Das alles ist ohne große Planung vorstellbar. Eine Neukonzeption der Grundrisse und eine Ergänzung, um Klassenräume für 664 Schüler:innen zu schaffen, wären planerische Herausforderungen des Projekts. Es könnte ein Modellprojekt der Berliner Schulbauoffensive werden, bei dem Denkmalschutz, Klima- und Generationengerechtigkeit ebenso wichtig sind wie die Baukosten. Bauliche und städtebauliche Planungen dürfen in Zukunft nicht vorwiegend an den Errichtungskosten gemessen werden, sondern müssen ebenso Aspekte wie Klimagerechtigkeit, die sich nicht einfach monetär erfassen lassen, berücksichtigen. Die Gesellschaft kann es sich nicht leisten, weiterhin intakte Bausubstanzabzureißen und durch Neubauten zu ersetzen. Eine klare politische Positionierung ist notwendig, sowie rechtliche und verwaltungsinterne Veränderungen, die Umnutzungen begünstigen. Wir schlagen deshalb einen neuen Wettbewerb zur Umnutzung des Bestands und als zukünftigen Schulnamen „Werner-Düttmann-Gymnasium“ vor.
Autorinnen: Lilly Schnell, Lilli Rast; Fotos: Lilly Schnell
ein absolut berechtigter und guter kommentar. danke sehr!
wie sieht es mit dem vergaberecht, bzw. juristischen feilstricken des wettbewerbs aus? ist es noch möglich die wettbewerbsentscheidung zu ändern oder ist die zusage des bezirks an das architekturbüro verbindlich?
Die Stadt Berlin hat sich in einem Grundentscheid dafür ausgesprochen, dass keine Flurschulen mehr gebaut werden, sondern alle neue Schulen nach neuen pädagogischen Konzepten zu bauen, den Compartmentschulen. Hier wird kein herkömmlicher Unterrichtsraum mehr pro Klasse benötigt, sondern das Gebäude besteht aus quasi einer riesigen Aula, in der die Schüler selbstständig lernen, “Ecken” wo die Lehrer sind und “Ecken” wo sich die Klasse gelegentlich treffen kann.
Das von ihnen gezeigte ehemalige Altenheim ist ein niedriges langgestrecktes Gebäude mit vielen aneinander gereihten Zimmern. Ich denke sie erkennen selber, dass in einem solchen Gebäude kein Unterricht nach zeitgemäßen pädagogischen Konzepten möglich ist.
meine ehemalige arbeitsstelle von 2008–2011