Wir geben unsere Kinder in ihre Obhut, verlassen uns darauf, dass sie alle Rahmenbedingungen vorfinden, um die Kinder betreuen zu können – hinter die Kulissen schauen wir bei Kita-Erziehern aber lieber nicht. Die “Lerngeschichten-Erzählerin” hat einmal eine Erzieherin aus dem Wedding beobachtet. Einen ganzen Tag lang. Hier geben wir ihre Beobachtungen wieder.
Liebe Maja,
heute habe ich dich bei einem ganz normalen Arbeitstag beobachtet und mal ganz genau hingeschaut, was du schon alles in der Kita gelernt hast. Am Morgen warst du schon ganz früh da, um in aller Ruhe das Frühstück vorzubereiten. Dein Dienst beginnt zwar erst um 08.00 Uhr, aber da sind schon die ersten Familien da, das Telefon klingelt im Minutentakt, die Leitung hat noch wichtige Informationen, die verteilt werden müssen, das Frühstück muss hoch gebracht und die Kinder aus dem Frühdienst abgeholt werden.
Gerne schenkst du dem Träger auf diese Weise wöchentlich eine Stunde Arbeitszeit, da du mit diesen Aufgaben vor 08.00 Uhr fertig bist. Immerhin bekommst du ja im Gegenzug auch faires Gehalt. Zwinkersmiley. Während des Frühstücks begrüßt du herzlich und individuell alle ankommenden Eltern und Kinder, stehst für Fragen zur Verfügung, triffst Absprachen und gibst Rückmeldungen zu Beschwerden. “Der Hausschuh wird bestimmt auftauchen, keine Sorge” geht dir noch mit einem beruhigenden Lächeln über die Lippen. “Der Ausflug muss leider ausfallen, akuter Personalmangel” scheint dir schon schwerer zu fallen. Nebenbei managt du das Frühstück, hast die Kinder im Blick und kümmerst dich gleichermaßen um überlaufende Teetassen, triefende Kindernasen, die den Eltern hinterher weinen, mitgebrachte Süßigkeiten, die als Bestechung mitgegeben wurden und natürlich um die Selbstständigkeitserziehung beim Essen selbst.
Ich kann mir vorstellen, dass deine Freude auf die pädagogische Arbeit am Vormittag riesig sein muss, hier kannst du dir Zeit nehmen mit den Kindern auf Entdeckungstour zu gehen und genau das zu machen, was sie gerade interessiert. Tatsächlich habe ich beobachtet, dass im Personalmangel nicht viel anderes als Schadensbegrenzung läuft. Du verzichtest auf deine Kollegin, damit sie woanders aushelfen kann, wo es noch dringender ist. Da dein Eingewöhnungskind bald kommt, kannst du aber auch kein komplexes Angebot mit 12 Kindern beginnen. Aber morgen sieht das bestimmt anders aus. Zwinkersmiley.
Wenn die Kinder mittags schlafen, hast du kurz Zeit zum Aufatmen! Das machst du am besten während du Dienstpläne schreibst, Fotos einklebst, dich um Dokumentation und Beobachtungen kümmerst, Absprachen im Team triffst, dich mit Azubis und Praktikanten austauschst. Und wenn das alles erledigt ist, werden die ersten Kinder wieder wach. Ein Glück bist du hochgradig effizient im Multi-Tasking und erledigst deinen Toilettengang, während in der Küche dein Tee zieht.
Deine Geduld beweist du darin, dass du den erst am Nachmittag zum Feierabend trinkst, denn vorher wird es wieder etwas trubelig. Der Wickelmarathon setzt sich fort, das übernimmst du jetzt allein, weil deine Halbtagskollegen schon Schluss haben. Wenn du es am Nachmittag in den Garten schaffst und eine kurze Übergabe mit dem Spätdienst machst, bevor du verspätet in den Feierabend gehst, reagierst du gelassen, wenn Eltern dich beim “Kaffee trinken und quatschen” kommentieren. Zwinkersmiley. Nun stelle ich mir die Frage: Wie geht es dir damit? Sicherlich hast du dir das anders vorgestellt, als du dir den wertvollen Beruf der Erzieherin ausgesucht hast. Kinder in ihrer Entwicklung begleiten anstatt Schadensbegrenzung zu betreiben. Vertrauensvolle Elternarbeit anstatt Beschwerdemanagement, das zum Großteil auf Personalmangel zurückgeht. Pädagogische Fachkraft sein anstatt Marionette in einem System, das dauerhaft im Notstand ist.
Liebe Maja, ich bewundere deine Wahl dieses Berufes und hoffe sehr, dass sich schleunigst etwas auf politischer Ebene tut, damit die Träger die Rahmenbedingungen so verbessern können, dass du alle deine Kompetenzen wieder für das nutzen kannst, was dieser Job Tag für Tag abverlangt. Und für dich und dein Team wünsche ich mir, dass ihr mit Eltern zusammenarbeitet, die eure Not sehen und ihr mit konstruktiven Ideen und Unterstützung begegnen und euch nicht in eine Position drängen, in der ihr euch rechtfertigen müsst und persönlich dafür verantwortlich gemacht werdet, was Politiker und Geschäftsführer auf ganz anderen Ebenen entschieden haben. Jeder, der genau hinschaut, wird sehen, dass du und deine Kolleg*innen euch jeden Tag bemüht, aus der Situation das Beste zu machen und das ist wertvoll für uns alle.
Deine Lerngeschichten-Erzählerin im Juni 2019
Ein früherer Beitrag auf dem Weddingweiser zum Thema Kita