Wo bekommt man heute noch etwas geschenkt? Überraschenderweise gibt es immer mehr Menschen, die darauf gleich mehrere Antworten wissen. Seit einigen Jahren bildet sich zunehmend die sogenannte Umsonst-Kultur hervor. Was aber ist darunter zu verstehen?
Mit weniger Dingen leben
Wenn wir uns umsehen, werden wir schon im Wedding fündig: Im Nachbarschaftsladen des SprengelHauses (Sprengelstr. 15) gibt es gleich im vordersten Raum ein paar Regale mit Büchern, die jeder mitnehmen und behalten darf. Nun mag sich mancher fragen, wie lange da wohl noch Bücher stehen. Der Witz ist, dass man auch Bücher dort hinstellen darf. Jeder von uns hat welche zuhause, die er nie wieder lesen wird, die aber viel zu schade zum Wegwerfen sind. Sie zu verkaufen ist hingegen aufwändig und wenig gewinnbringend. Auch aus diesem Grunde hat man die Regale als Tauschbörse eingerichtet. Nur, dass man nicht unbedingt tauschen muss, sondern nach Belieben geben und nehmen kann. Dies funktioniert sehr gut, weil viele Leute froh sind, wenn sie mal wieder Platz im heimischen Bücherschrank bekommen. Natürlich kann man auch vor Ort schmökern oder sich die Bücher nur für einmaliges Lesen sozusagen ausleihen und hinterher wieder zurückbringen. So spart man nicht nur eine Menge Geld und Lagerraum. Man bereitet anderen noch eine Freude mit Dingen, die man selbst nicht mehr behalten möchte. Ebenso wird weniger fortgeworfen; unsere Müllberge sind bekanntlich größer als genug. Ich spreche allgemein von Dingen, denn die Grundidee beschränkt sich natürlich nicht lediglich auf Bücher. Im Nachbarschaftsladen findet man vereinzelt auch Comics, Videos, CDs und andere Medien. Andere Läden haben sogar noch mehr zu bieten.
Verweilen wir jedoch noch kurz bei den Büchern. Verschiedene Initiativen haben aus alten Telefonzellen sogenannte Bücherboxen gebaut und diese an einigen Plätzen in Berlin aufgestellt. Wetterfest und mit Regalbrettern ausgestattet, beherbergen auch sie Bücher zum freien Mitnehmen. Der Vorteil liegt auf der Hand: Sie sind rund um die Uhr geöffnet. Die dem Kiez nächste der Zellen steht vor dem Centre Français (Müllerstr. 74), eine weitere vor der Fabrik Osloer Straße (Osloer Str. 12). Auf Kleidung hat sich dagegen die Umsonst-Boutique des Unabhängigen Jugendzentrums Pankow (Florastr. 84) spezialisiert. Hier gibt es immer viel Auswahl, auch wenn man als Besucher oft erstmal für Licht sorgen und die Rollläden heben muss. Normalerweise sieht man niemanden von den Betreibern, die sich in den Räumlichkeiten der gegenüberliegenden Wohnung aufhalten.
Orte der Umsonst-Kultur
Mir persönlich liegt Ula – kurz für Umsonstladen – an der TU Berlin (Einsteinufer 25, Keller) besonders am Herzen, weil ich dort selbst mitarbeite. Dass wir Räume der Uni benutzen dürfen, bedeutet natürlich keineswegs, dass dort nur Studenten und Dozenten willkommen seien! Auch hier gilt: Je mehr mitmachen, desto häufiger lohnt sich der Besuch, weil dann schneller wieder Neues zu finden ist. Ula war schon häufiger in der Zeitung und hat so ziemlich alles im Programm, was man mal eben unter dem Arm mitnehmen kann. Über die schon erwähnten Dinge hinaus bekommt man dort auch kleinere Elektronik, Geschirr, Spiele und vieles andere mehr. Nach mancher Antiquität müsste man anderswo sehr lange suchen. Im selben Gang befindet sich auch die Fahrradwerkstatt Unirad, in der man unter fachkundiger ehrenamtlicher Anleitung seinen geliebten Drahtesel reparieren kann. Mit dem Rad auch noch gut zu erreichen ist das Tauschmobil, welches samstags auf dem Wochenmarkt in der Seelower Straße steht und ebenfalls fast alles annimmt und anbietet. Im Internet gibt es schon seit einigen Jahren die Seiten von alles-und-umsonst.de, wo man Schenk-Angebote und Gesuche fast aus dem gesamten deutschen Sprachraum abrufen kann oder eben auch selbst eine Anzeige schalten. Ich bin selbst schon ein altes Bett darüber losgeworden, was ich sonst wohl nur in den Sperrmüll hätte geben können. Noch besser: Die Interessenten haben es sich selbst abgeholt! Gerade für große Dinge wie Möbel oder schwere elektronische Geräte, die in keinen der genannten Läden hineinpassen würden, ist dies also genau der rechte Platz. Zu guter Letzt sei auch noch der Leihladen Leila in Prenzlauer Berg (Fehrbelliner Str. 92) erwähnt, dessen Konzept ein wenig anders aufgebaut ist. Hier kann man sich Dinge ausleihen oder selbst verleihen, die man sowieso nur sehr selten benötigt. Zum Beispiel elektronische Werkzeuge wie Bohrer werde in ihrem Leben durchschnittlich nur wenige Stunden lang genutzt. Da ist es sinnvoll, sie nicht dauerhaft bei sich herumliegen zu haben.
Die Erträge eines Umsonstladens sind neben allerlei kostenfreien kleinen Schätzen auch Begegnungen mit besonderen Menschen und eine Entlastung der Natur. Hier darf man nicht nach etwas Bestimmten suchen, das man gerade dann natürlich in der Regel nicht findet. Man muss sich auf entspanntes Stöbern einlassen, auf die Entdeckung des Unerwarteten und auf erfrischende Gespräche mit anderen Schatzsuchern.
Und irgendwann erkennt man gar: Man muss nicht alles haben, selbst wenn es umsonst ist.
Alle genannten Läden und sonstigen Umsonst-Attraktionen sind auf der Webseite ohher.de/KiezboteUmsonstkultur.htm noch einmal ausführlich versammelt gelistet, inklusive der Öffnungszeiten.
Autor: Oliver Herde
Dieser Artikel erschien ursprünglich im Kiezboten, der Zeitung für den Sprengelkiez.