Ein sommerlicher Spaziergang führte mich neulich an die Panke. Das ist der Fluss, den viele von uns wohl nur kennen als linearen, eingegrenzten Kanal, in dem das Wasser ordentlich geradeaus fließt. Jetzt wird die Panke mit viel finanziellem und zeitlichem Aufwand renaturiert. Was mich sinnieren lässt über Natur versus Kultur, über Begrenzung versus Weite, über willkürliche Eingriffe versus natürlichem Flow.
Natürliche Flussläufe halten sich nicht an gerade Linien. Sie mäandern, also schlängeln sich durch die Welt. Ihr Wasser fließt mal schneller, mal langsamer und an einigen Stellen bietet die Natur ihnen genug Platz, um so richtig über die Ufer zu treten. Wenn es diese Ausweichgebiete nicht gibt, weil sie bebaut oder anderweitig genutzt werden, wächst die Gefahr von verheerenden Hochwassern.
Der Plan: schnurgerade und ordentlich
Im Grunde, so sinniere ich, ist es bei uns Menschen ähnlich. Wir kommen auf die Welt und haben unsere natürlichen Anlagen und Talente, unser Temperament und unsere Vorlieben. Wir sind wie ein Fluss, der dafür geschaffen ist, durchs Leben zu mäandern. Doch schon früh werden wir von außen begradigt. Müssen uns einfügen in Begrenzungen, die aus Schule, Beruf, Verpflichtungen und Erwartungen bestehen. Werden früh gefragt: „Was willst du später mal werden?“ (Als wären wir nicht von Geburt an Jemand.)
Wir sollen uns auf eine Ausbildung, ein Studium und andere Lebensmodelle festlegen. Sollen einen Plan haben – schnurgerade und immer schön ordentlich. Du willst mit deinem individuellen Flow gehen? Ok, wenn’s sein muss … aber nur am Sonntag Nachmittag.
Das Dumme ist jedoch: Wenn wir uns zu sehr begrenzen und von unserem natürlichen Lauf entfernen, tritt unser innerer Fluss – die Lebenskraft, die Lebensfreude und die Lebenslust – irgendwann über die Ufer. Dieses „Hochwasser“ kann sich nach innen und außen richten. Dann werden wir von Wut, Krankheiten oder auch Traurigkeit überflutet. Die ursprünglich positive Kraft wird zur schwer kontrollierbaren Flutwelle.
Die Natur: vielfältig und voller Kurven
Wenn ich mir die Panke vorstelle wie sie ihrem natürlichen Flow folgt, wie Fische und andere Tiere zurückkehren, der Uferbereich zum Verweilen und Erholen einlädt – dann glaube ich, dass es sich auch für uns Menschen lohnt, uns zu renaturieren. Auch wenn es selten von heute auf morgen klappen wird, können wir doch sofort erste Schritte machen. Indem wir uns Fragen stellen wie „Was macht mir wirklich Freude?“ oder „Was kann ich richtig gut?“ oder „Was wollte ich schon immer mal ausprobieren?“.
Aus den Antworten, die wir erhalten und in die Tat umsetzen, kann sich Kurve für Kurve der neue Verlauf unseres Flussbettes bilden. Dann werden die verheerenden Hochwasser ersetzt durch die Freude darüber, dass wir mit unseren natürlichen Talenten und Veranlagungen durchs Leben mäandern. So fühlt sich unser Leben weniger fremdbestimmt an und vielleicht immer mehr wie ein sommerlicher Spaziergang am Fluss.