Die Norweger sind clever. Ihre Hurtigruten, die sie so lieben, lassen sie sich zu großen Teilen von Touristen bezahlen. Erste Ansätze, die Dinge auch in Berlin auf diese Weise anzugehen, sind im Wedding und Gesundbrunnen zu beobachten. Angefangen beim Bahnhof Gesundbrunnen und nicht aufgehört beim Musikfestival Panke Parcour.
Ein ICE, der am Bahnhof Gesundbrunnen steht, ist ein Symbol für einen neuen Trend unter Berlinbesuchern. Sie kommen verstärkt mit der Bahn. Eine Grafik, die die Tourismusmarketing-Agentur Visit Berlin veröffentlicht hat, zeigt, dass Verkehrswende möglich ist. Die Zahl der Fluggäste und die der Berlinbesucher hat sich entkoppelt. Liefe alles so weiter, wie es bis zur Coronakrise lief, dann dürfte Berlin im vergangenen Jahr geschätzt 23 bis 24 Millionen Hotelübernachtungen gehabt haben. Es waren aber beinahe 30 Millionen.
Dass sich so viele Gäste für Berlin interessieren, das nützt auch den Gastgebern, also den Berlinern. Und der Vorteil liegt dabei nicht nur im Feld der Ökonomie, sprich Arbeitsplätze, Steuereinnahmen für das Land oder Umsatz für die Händler. Die Effekte sind auch kleinteilig und ganz praktisch, wie ein Blick ins Tourismuskonzept des Bezirks Mitte zeigt.
Traum vom Feierabend auf dem Parkdeck
War das nicht spektakulär, als der Stadtgewitter e.V. im Sommer die Operation Himmelblick auf dem Dach des Cittipoints veranstaltete (zur Erinnerung Beitrag Wedding oben ohne lesen)? In dem vom Bezirk im vergangenen Jahr beschlossenen Tourismuskonzept steht: "Flexiblere Nutzung von Parkhäusern / Tiefgaragen ... Umnutzung nicht benötigter Parkflächen, gastronomische Nutzung auf obersten Parkdecks". An Parkhäusern mangelt es im Wedding und Gesundbrunnen nicht (siehe Beitrag Im Parkhaus geh’n die Lichter aus). Es wird auf die Mühe ankommen, die darauf verwendet wird, das Belebung von Parkhausdächern auch umzusetzen. Der Verantwortliche, der das erreicht, dem dürfte Applaus von nicht wenigen Weddingern sicher sein.
Melodien für Weddinger und ihre Gäste
Der Panke Parcours und die Hurtigruten in Norwegen haben gemeinsam, dass beides den jeweiligen Menschen vor Ort ans Herz gewachsen ist. Ein Sommer ohne Musikfest entlang der Panke? Mittlerweile kaum noch vorstellbar. In der Vergangenheit wechselte die Finanzierung des Festivals. Im letzten Jahr war es Geld der sogenannten City-Tax, der Berliner Übernachtungssteuer, die den Panke Parcours möglich machte. Das heißt, wenn Berlingäste einen Aufschlag von fünf Prozent auf ihre Hotelrechnung zahlen, dann halten sie damit viele Projekte in der Stadt und auch den Rock'n'Roll an der Panke am Leben. Im Tourismuskonzept des Bezirks liest sich das so: "Sicherung attraktiver Veranstaltungen, bspw. Musikfestival 'Panke Parcours' mit unterschiedlichen Bühnen entlang der Panke, Einbindung lokaler Kulturschaffender und weiterer lokaler Akteur*innen aus Gastronomie und Einzelhandel".
Saubere Stadt für die Gäste
Müll nervt viele. Wer nicht in maulige Depression verfallen will, schließt sich einer Gruppe der Litterpicker an. Müllpicken in der Gruppe hilft bei Stimmungsschwankungen. Um das Problem grundsätzlich anzugehen, schlägt das Tourismuskonzept vor: "Fortführung der Parkreinigung der Berliner Stadtreinigung". Und geht noch einen Schritt weiter: "Prüfung der Ausweitung auf weitere touristisch und freizeitorientiert relevante Parkanlagen und Plätze". Herausputzen für Touristen? Was vielleicht seltsam klingt, erinnert den einen oder anderen an seine eigene, private Strategie: Wenn sich Gäste ankündigen, wird noch mal schnell gesaugt.
Berlingäste sind nicht nur Touristen
Visit Berlin hat Ende Februar zu einer Pressekonferenz auf den Fernsehturm eingeladen. Stolz präsentieren die Geschäftsführer der Marketing-Gesellschaft, Sabine Wendt und Burkhard Kieker, Rekordzahlen. Dabei rutscht ihnen in der Begeisterung am Höher, Schneller, Weiter auch manches Kritikwürdiges heraus. Zum Beispiel der hinterfragbare Schluss, Berlin habe aufzuholen, weil der durchschnittliche Hotelpreis von 120 Euro für ein Doppelzimmer nur halb so hoch sind wie in Rom. Man kann eben geteilter Meinung darüber sein, was Stärken und was Schwächen sind. Interessant für Fans eines unbebauten Tempelhofer Feldes: Eine Folie während der Präsentation zeigte ein Foto von einem idyllischen Moment auf dem Feld. Offenbar ist der ehemalige Flughafen, so unbebaut wie er nun ist, ein Vorzeigeobjekt.
Und die Visit Berlin-Manager machen darauf aufmerksam, dass nicht alle Berlingäste Touristen sind. So gibt es auch Geschäftsreisende und außerdem die große Zahl von Messe- und Kongressbesuchern. Wedding und Gesundbrunnen haben mit der letzteren Gruppe wenig zu tun. Abgesehen von den drei Hotels direkt am Bahnhof Gesundbrunnen, von wo aus mit der S-Bahn in einer Viertelstunde die Messe zu erreichen ist.
Für Touristen interessant ist die Gedenkstätte Berliner Mauer in der Bernauer Straße. Dieses Ziel gehört nicht nur für Schulklassen zu den Berliner Top-Zielen. Auch der Verein Berliner Unterwelten zieht viele Neugierige an. 279.773 Besucher bei 12.565 Führungen zählte der Verein im vergangenen Jahr. Die Einnahmen gehen auch in die Sicherung und Erschließung von Denkmalen unter der Erde. Zum Beispiel bargen die Berliner Unterwelten den Stier vom Humboldthain. Die Skulptur lag Jahrzehnte lang verschüttet im Volkspark. Nun überlegt der Verein, wie das einstige Wahrzeichen des Humboldthains wieder zugänglich gemacht werden kann. Der Dank gebührt den Unterweltlern für ihren Einsatz und den Touristen für ihre Euros.
Zurück zum Bahnhof Gesundbrunnen. Die meisten Berlingäste kommen aus Deutschland. Nur einer von drei Besuchern kommt aus dem Ausland. So wird verständlich, warum es immer öfter die Bahn ist, die Geschäftsleute und Touristen nach Berlin bringt. Schließlich verfolgen einige Unternehmen mittlerweile die Philosophie ihre Mitarbeiter mit dem Zug zu Geschäftsterminen zu schicken. Und das Gute an dieser Entwicklung ist: Je öfter ein Zug ein Berlin eintrifft, desto öfter fährt auch einer ab. Und das freut die Berliner, die auch mal eine Reise machen wollen. In vier Stunden nach Prag, in sechs nach Amsterdam.
PS: Die Hurtigruten sind eine Schiffsverbindung entlang der norwegischen Küste, die "im Selbstverständnis der Norweger, insbesondere im Norden des Landes, einen zentralen Stellenwert besitzt" (Wikipedia) und die die Ehrenbezeichnung Riksvei Nr. 1 (Reichsstraße Nr. 1) trägt. Doch so wichtig die Fährlinie für Fracht und fürs norwegische Herz ist, Mitfahrer sind vor allem Touristen. Wieder Wikipedia: "Mittlerweile haben sich die jährlichen Passagierzahlen auf jährlich etwa 450.000 eingependelt; rund 70 Prozent davon entfallen auf Rundreisen-Passagiere, also Touristen."
Wenn jetzt noch die Deutsche Bahn so zuverlässig wird wie Hurtigruten, kommt man vielleicht auch mal wieder aus dem Wedding weg nach Westdeutschland oder auch nur nach Brandenburg. Meine Versuche im vergangenen Jahr, mit der Familie mit der Bahn einen entspannten Wochenendausflug zu machen scheiterten an ausgefallen, gestrichenen oder überfüllten Zügen. Aber dass das Tourimuskonzept für Berlin jetzt die Parkhäuser entdeckt hat, freut mich. Das Event auf dem Parkhaus des Citiy Point war wirklich ein Highlight.
Erinnere ich mich an einen solchen Beitrag von dir (über Warten und Harren mit dem Regionalexpress)? Oder kommt der noch?